Ansprache Ihrer Königlichen Hoheit Kronprinzessin Mary von Dänemark auf der 62. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa

San Giljan (Malta), 10. September 2012

Sehr geehrter Herr Premierminister, sehr geehrte Damen und Herren Minister, sehr geehrte Frau Generaldirektorin, sehr geehrter Herr Kommissar, sehr geehrter Herr Stellvertretender Generalsekretär, sehr geehrte Frau Regionaldirektorin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zunächst einmal möchte ich mich für die Einladung zur Teilnahme an der 62. Tagung des Regionalkomitees für Europa der Weltgesundheitsorganisation bedanken.  Als Schirmherrin des Regionalbüros ist es mir Freude und Ehre zugleich, erneut vor einer so bedeutsamen und einflussreichen Gruppe von gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern sprechen zu können.  Gemeinsam vertreten Sie 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region als Politikgestalter und Experten; wir erhoffen uns von Ihnen, dass Sie die Herausforderungen bewältigen und uns den Weg zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden für jeden Bürger unserer Region weisen.

Ich bin seit 2005 Schirmherrin des Regionalbüros und habe schon in meiner ersten Rede auf Ebene der Region im Jahr 2006 gesagt, dass ich keine Expertin bin. Das ist immer noch so. Doch heute verfüge ich über viel mehr Erfahrung und Wissen. Mein Beweggrund zur Annahme des Amtes der Schirmherrin war die feste Überzeugung, dass Gesundheit unser höchstes Gut ist und ihr Schutz sowie ihre Förderung von elementarer Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Gesellschaften sind. Ich sehe meine Rolle als Schirmherrin darin, Ihre Bemühungen durch Überzeugungsarbeit und Bewusstseinsbildung für Gesundheit und gesundheitsbezogene Themen zu unterstützen.

Heute steht die Europäische Region vor vielen gesundheitlichen Herausforderungen, die Sie zum Großteil in den kommenden Tagen unter dem Schlagwort „Gesundheit 2020“ erörtern werden. Und hier gibt es viel zu erörtern, denn Gesundheit ist das Fundament der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung. Da ich heute eine so bedeutsame Gruppe gesundheitspolitischer Entscheidungsträger an einem Ort versammelt antreffe, möchte ich kurz auf die drei Bereiche eingehen, auf die ich meine Arbeit zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden konzentriert habe: das Impfwesen, die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen und die Gesundheit von Müttern und Kindern.

Abgesehen von sicherem Trinkwasser hat keine andere Gesundheitsmaßnahme so wirksam und sicher zur Senkung von Morbidität und Mortalität beigetragen wie Impfungen. Jedes Jahr retten Impfungen weltweit drei Millionen Kindern das Leben. Allerdings hatten fast 650 000 Kinder bis zur Vollendung des ersten Lebensjahrs nicht die erforderlichen drei Dosen eines Impfstoffs gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten erhalten. Impfungen retten Leben, und es ist unumstritten, dass die Kosten einer Krankheit viel höher sind als die Kosten ihrer Prävention.

Im Rahmen der Europäischen Impfwochen, einer wirksamen und notwendigen Initiative der WHO, habe ich mich immer mit aller Kraft für flächendeckende Impfungen eingesetzt. Glücklicherweise ist die Durchimpfung in der Europäischen Region der WHO hoch, weil die Mitgliedstaaten in der Region ihre nationalen Impfprogramme und die ihnen zugrunde liegenden Gesundheitssysteme ausgebaut haben.

Trotzdem wäre in Bezug auf das Impfwesen Selbstgefälligkeit nicht angebracht. Denn Selbstgefälligkeit macht Krankheitsausbrüche möglich. Und in den vergangenen vier Jahren haben wir Ausbrüche von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten in der Region erlebt. Ein kontinuierliches Engagement ist erforderlich, und wir müssen sicherstellen, dass die Nachfrage nach Impfstoffen hoch bleibt.  

Als Mutter möchte ich, dass meine Kinder gegen diese Krankheiten geimpft werden, die auf diese Weise so leicht in Schach gehalten werden können. Vorsorge ist ungleich besser als Heilung. Ich glaube, es ist der Wunsch jeder Mutter, dass ihre Kinder eine optimale Chance erhalten, gesund aufzuwachsen. Es ist das Recht eines jeden Kindes, geimpft zu werden.

Zu einer Zeit und in einer Region, in der die meisten Menschen Zugang zu Impfstoffen haben, müssen wir das Bewusstsein weiter schärfen und dadurch hohe Durchimpfungsraten erreichen.

Wir verdanken es Ihrem konzentrierten und kontinuierlichen Einsatz, dass unsere Region in diesem Jahr den zehnten Jahrestag ihrer Zertifizierung als poliofrei feiern kann. Dies ist ein wichtiger Erfolg für die öffentliche Gesundheit, der uns Grund zur Freude gibt und wertvolle Erkenntnisse beschert, denn er verdeutlicht, was wir alle wissen: hohe Durchimpfungsraten verhindern die Ausbreitung der Krankheit.

Im vergangenen Jahr beschloss ich nach Absprache mit dem Regionalbüro, mich an den Bemühungen zur Bewältigung der neuen Herausforderung durch antimikrobielle Resistenzen oder kurz AMR zu beteiligen. AMR stellen eine Bedrohung für Gesundheit und Wohlbefinden von Mensch und Tier dar. Wie Sie wissen, sind Antibiotika ein kleines Wunder der modernen Wissenschaft, und viele von uns sehen es als selbstverständlich an, dass wir Infektionskrankheiten behandeln können.  Doch werden Antibiotika leider so oft unsachgemäß oder übermäßig eingesetzt, dass wir jetzt mit Folgen wie der zunehmenden Bildung von Resistenzen gegen antimikrobielle Arzneimittel konfrontiert sind. Dies gibt Anlass zu Besorgnis, und hier herrscht ein erhöhter Handlungsbedarf.  

Deshalb hat Dänemark während seiner Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union zu Recht diese Thematik zu einer seiner Prioritäten gemacht und eine Konferenz zum Thema Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenz veranstaltet. Ich hatte das Vergnügen, gemeinsam mit WHO-Generaldirektorin Margaret Chan und Kommissar Dalli auf dieser Konferenz das Wort ergreifen zu können.

Damals hatten alle Redner eine klare Botschaft: Wir müssen eine verantwortungsvolle Verschreibung und Anwendung von Antibiotika sicherstellen (das gilt auch für die Viehwirtschaft); wir müssen den Einsatz von Antibiotika und das Auftreten von Resistenzen beobachten und zurückverfolgen; und wir müssen die Entwicklung neuer Antibiotika fördern.

Da resistente Bakterien vor Ländergrenzen nicht Halt machen, ist es so wichtig, dass alle Länder in der gesamten Europäischen Region im Kampf gegen AMR zusammenarbeiten. Wie ich schon auf der Konferenz in Kopenhagen sagte, so besteht kein Zweifel daran, dass heute immer mehr Bakterien Resistenzen entwickeln und dass wir uns möglicherweise auf eine Situation zubewegen, wie sie vor der Entdeckung des Penicillins herrschte – als Menschen an gewöhnlichen bakteriellen Infektionen starben. Dies ist eine Angst einflößende Situation, denn wir riskieren, eine der fundamentalen Errungenschaften aufs Spiel zu setzen, die so große Fortschritte für die öffentliche Gesundheit gebracht hat.

Auch meine Initiative zur Förderung von Impfmaßnahmen entstammt der gleichen Überzeugung, dass wir diese großen Erfolge für die öffentliche Gesundheit nicht aufs Spiel setzen dürfen. Wir alle haben dabei spezielle Aufgaben – Festlegung politischer Handlungskonzepte und Strategien; Verschreibung von Arzneimitteln; ihre Anwender; und die Hersteller, namentlich die Industrie –, allesamt Aufgaben, die dazu beitragen, die Wirksamkeit von Antibiotika für künftige Generationen zu erhalten.

Die Bedeutung der Millenniums-Entwicklungsziele (MZ) ist unbestritten. Und das Engagement der Weltgemeinschaft zu ihrer Verwirklichung trägt Früchte. Allerdings ist der Abstand zum Erreichen des Ziels im Bereich der Müttergesundheit (MZ 5) noch am größten. Wir wissen, dass Frauen für ihre Kinder, ihre Familien, ihre Gemeinschaften und ihre Länder da sind. Investitionen für Frauen sind daher von entscheidender Bedeutung. Und es wird anerkannt, dass ohne die Verwirklichung von MZ5 keines der übrigen MZ wirklich erfüllt werden kann. Daher ist es schwer zu verstehen, dass wir solche Schwierigkeiten mit der Erreichung dieses Ziels haben, obwohl wir doch wissen, was zu tun ist.

Doch es gibt auch gute Nachrichten in der Europäischen Region. Die Zahl der während der Schwangerschaft und unter der Geburt verstorbenen Mütter ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Wir haben bedeutende Fortschritte erzielt, aber immer noch gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Ländern und auch innerhalb der Länder.

Auch in Bezug auf die Gesundheit der Kinder können wir solide Fortschritte verzeichnen. Insgesamt haben wir heute in der Europäischen Region die niedrigste Säuglings- und Kindersterblichkeit weltweit, doch auch hier bestehen große Unterschiede unter wie auch in den Ländern. Tatsächlich wird die Säuglingssterblichkeit in manchen Ländern mit dem 25-fachen Wert anderer Länder veranschlagt. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass täglich über 500 Kinder vor Vollendung des fünften Lebensjahrs sterben. Dies darf nicht hingenommen werden.

In den vergangenen Jahren habe ich mich gemeinsam mit der WHO, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) und Maternity Worldwide für die Schaffung von Bewusstsein für globale Fragen der Gesundheit von Müttern und der Kindersterblichkeit eingesetzt. Dies schließt auch das Recht von Frauen auf Reproduktionsgesundheit und ihren Zugang zu Angeboten der Familienplanung ein. Zusammen mit Vertretern nichtstaatlicher Organisationen und des dänischen Außenministeriums habe ich verschiedene Länder besucht, für die diese Themen eine große Herausforderung bedeuten.

Es liegt auf der Hand, dass es zwischen der Gleichstellung der Geschlechter und der Gesundheit von Frauen eindeutige Zusammenhänge gibt. Wenn Frauen zu selbstbestimmtem Handeln ermächtigt werden, haben sie bessere Chancen auf Beschäftigung, Bildung und Teilhabe an der Entwicklung ihrer Gesellschaft. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern.

Vor kurzem habe ich ein Angebot angenommen, Mitglied in der Hochrangigen Arbeitsgruppe für die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) zu werden, eine Sonderarbeitsgruppe, die sich die Bekämpfung der Müttersterblichkeit und die Förderung der Reproduktionsgesundheit und der Rechte von Frauen sowie den Zugang zu Angeboten der Familienplanung zum Ziel gesetzt hat. Diese Arbeitsgruppe wird im nächsten Monat in New York offiziell ihre Arbeit aufnehmen.

In diesem Jahr werde ich zusammen mit dem dänischen Minister für Entwicklungszusammenarbeit und Vertretern des UNFPA nach Mosambik reisen, um mich über die dortigen Fortschritte in Bezug auf die Millenniums-Entwicklungsziele und über die noch bestehenden Herausforderungen zu informieren. Nächste Woche werde ich ein Projekt in Brasilien besuchen, das von der WHO entwickelt und unterstützt wurde: eine menschliche Milchbank als Strategie zur Senkung der Neugeborenensterblichkeit.

Ich bin entschlossen, mich nach besten Kräften für die Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Kindern einzusetzen. Und ich freue mich darauf, Sie in den Ländern der Europäischen Region bei Ihren Anstrengungen auf diesem Gebiet unterstützen zu dürfen. Wir müssen dafür sorgen, dass jede Frau und jedes Kind Zugang zu einem leistungsfähigen Gesundheitssystem und zu hochwertigen Angeboten im Bereich der Reproduktionsgesundheit erhält.

Sie in der Europäischen Region haben allen Grund, auf die positiven Entwicklungen und Verbesserungen im Gesundheitsbereich stolz zu sein. Sie sind das Ergebnis Ihrer kontinuierlichen Anstrengungen und Ihres Engagements zur Verbesserung des Zugangs zu Präventions- und Behandlungsangeboten in Ihren Ländern.

Auf der diesjährigen 62. Tagung des Regionalkomitees steht unter dem Schlagwort „Gesundheit 2020“ ein neues Rahmenkonzept für mehr Gesundheit und Wohlbefinden in allen 53 Ländern der Region im Mittelpunkt der Diskussionen. Dies ist noch nicht das Ende des Prozesses, sondern vielmehr der Beginn nicht nur eines erneuerten Bekenntnisses der Gesundheitsministerien, sondern auch eines gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Engagements für mehr Gesundheit.

Abschließend möchte ich der Regierung Maltas für die Ausrichtung dieser Tagung danken. Die schöne und historische Umgebung kann uns nur als Inspiration und als perfekter Hintergrund für eine tief greifende Reflektion dienen.

Die nächsten Tage werden eine Herausforderung sein, doch mit Weitblick, Umsicht, Mut und Weisheit können Sie den Weg hin zu dem erreichbaren Höchstmaß an Gesundheit bewältigen, das ein Grundrecht jedes Menschen ist.

Ich danke Ihnen.