Gewalt gegen Kinder: Bekämpfung versteckten Kindesmissbrauchs

WHO/Malin Bring

Jahr für Jahr erleiden mindestens 55 Mio. Kinder in der Europäischen Region der WHO in irgendeiner Form körperliche, sexuelle, emotionale oder physische Gewalt. Trotz dieser Größenordnung gilt als sicher, dass die Dunkelziffer für zwischenmenschliche Gewalt deutlich höher liegt.

Das WHO-Regionalbüro für Europa wird mit Unterstützung durch die Nordische Kooperation und die Globale Partnerschaft zur Beendigung von Gewalt gegen Kinder am 14. und 15. Januar 2020 in Tallinn einen Workshop abhalten, auf dem eine Bestandsaufnahme der bisherigen Fortschritte durchgeführt und Empfehlungen für die Bewältigung dieses versteckten sozialen Problems ausgetauscht werden sollen. Die Veranstaltung wird von der estnischen Regierung ausgerichtet.

Auf dem Workshop werden Experten zusammen mit Vertretern der Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Justizpolitik sowie mit Parlamentariern über Leitlinien und bewährte Praktiken für die Umsetzung des von der WHO entwickelten fachlichen Pakets INSPIRE diskutieren, in dem sieben Strategien zur Beendigung der Gewalt gegen Kinder erläutert werden.

Emotionale und finanzielle Kosten

Hinsichtlich der Dunkelziffer für Kindesmissbrauch gehen Experten davon aus, dass von den 204 Mio. Kindern unter 18 Jahren in der Europäischen Region 9,6% sexuellen Missbrauch, 22,9% körperliche Misshandlung und 29,1% emotionale Misshandlung erleben. Darüber hinaus fallen in der Europäischen Region jedes Jahr 700 Kinder Tötungsdelikten zum Opfer.

Die Kosten dieser Gewalt gegen Kinder summieren sich. Nach Schätzungen werden jährlich 581 Mrd. US-$ für die Behandlung von Gewaltopfern ausgegeben. Doch im Vergleich zu den Folgen für die Gesundheit der Betroffenen nehmen sich die finanziellen Kosten noch gering aus.

Untersuchungen haben ergeben, dass Kinder mit Gewalterfahrungen im späteren Leben in Bezug auf psychische Erkrankungen, Drogen- und Alkoholkonsum und Adipositas, aber auch chronische Erkrankungen stärker gefährdet sind.

„Gewalt gegen Kinder ist erschreckend und nimmt uns mit“, sagte Dr. Bente Mikkelsen, Leiterin der Abteilung Nichtübertragbare Krankheiten und Gesundheitsförderung im gesamten Lebensverlauf beim Regionalbüro für Europa. „Die Traumata von Kindern haben schreckliche Folgen, nicht nur für die Kinder selbst und die Erwachsenen, die aus ihnen werden und deren Leben sie zerstören, sondern auch für das Wohlergehen und die Volkswirtschaften aller Länder. Doch mit dem nötigen politischen Willen können wir alle etwas dagegen tun. Alle Bereiche der Gesellschaft können wirksam dazu beitragen, eine sicherere Welt für unsere Kinder zu schaffen. Doch wir müssen schneller handeln.“

Fortschritte bei der Initiative INSPIRE

Insgesamt gesehen ist eine Zunahme des politischen Willens zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder erkennbar: 66% der Länder in der Europäischen Region haben körperliche Züchtigung in allen Umfeldern verboten. Doch die Einführung von Gesetzen ist nur ein Teil der Lösung. In den letzten Jahren haben 83% der Länder der Region einen nationalen Aktionsplan zur Beendigung von Kindesmisshandlung ausgearbeitet, doch weniger als die Hälfte dieser Aktionspläne sind finanziert.

Das vom WHO-Regionalbüro für Europa erstellte Paket INSPIRE ist ein evidenzbasiertes Hilfsmittel, das jene Länder unterstützt, die zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche entschlossen sind, indem es Strategien aufzeigt, die erfolgreich zur Verringerung von Gewalt beigetragen haben.

Die von INSPIRE empfohlenen sieben Strategien sind: Einführung und Vollzug von Gesetzen; Normen und Wertvorstellungen; sichere Umfelder; Unterstützung von Eltern und Betreuern; Stärkung von Einkommen und wirtschaftlichen Verhältnissen; Gegenmaßnahmen und Unterstützungsangebote; und Aufklärung und Vermittlung von Lebensfertigkeiten.

Die Globale Partnerschaft zur Beendigung von Gewalt gegen Kinder bezeichnet als „Pfadfinder“-Länder all jene, die sich öffentlich und offiziell zu umfassenden Maßnahmen zur Beendigung aller Formen von Gewalt gegen Kinder verpflichtet haben. Die Beendigung von „Missbrauch, Ausbeutung, Kinderhandel, Folter und allen Formen von Gewalt gegen Kinder“ ist auch ein Bestandteil der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung.

In der Europäischen Region setzt die WHO auf die Führungskompetenz solcher „Pfadfinder“-Länder bei Maßnahmen zur Intensivierung der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder.