Wo stehen wir in Bezug auf die Gesundheit von Frauen im Jahr 2020?

WHO/Malin Bring

Dieses Jahr markiert den 25. Jahrestag seit die Länder sich im Rahmen der Aktionsplattform von Peking zur Intensivierung ihrer Anstrengungen um die Selbstbestimmung von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter verpflichtet haben. Am heutigen Tag begehen wir den Internationalen Frauentag 2020 und richten unsere Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen der Gleichstellung auf die Gesundheit von Frauen in der Europäischen Region der WHO in ihrem gesamten Lebensverlauf.

„Die Befähigung von Frauen zu selbstbestimmtem Handeln ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir Gesundheit für alle Menschen in allen Teilen der Europäischen Region der WHO erzielen wollen. Am heutigen Internationalen Frauentag möchten wir darauf aufmerksam machen, dass mehr getan werden muss, um seit langem bestehende Probleme zu bewältigen, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung sexueller und reproduktiver Gesundheit von Frauen und der damit verbundenen Rechte“, erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

„Die gute Nachricht ist, dass die Bemühungen um die Verwirklichung einer Gleichstellung der Geschlechter weiterhin ein vorrangiges Anliegen in den Ländern sind, und neue Entwicklungen, darunter etwa die Einbindung von Frauen als aktive Teilnehmer an der Digitalisierung der Gesundheitssysteme, begrüßt werden“, fügt Dr. Kluge hinzu.

Europa zählt weltweit zu den Regionen, in denen die Gleichstellung der Geschlechter am weitesten fortgeschritten ist, doch Fortschritte werden nur langsam erzielt und es bestehen weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Laut den vorhandenen Indizes zur Gleichstellung der Geschlechter hat kein Mitgliedstaat in der Region bislang eine vollständige Gleichstellung erreicht. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern wirken sich auf vielfältige Weise auf die Gesundheit von Frauen aus.

Europäische Regierungen setzen Prioritäten im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter

In der Bestandsaufnahme der Aktionsplattform von Peking +25 haben die Länder der Europäischen Region Maßnahmen und künftige Prioritäten für die Gleichstellung der Geschlechter skizziert. Nahezu alle europäischen Mitgliedstaaten haben nationale Berichte vorgelegt. Eine Beurteilung der in diesen Berichten genannten Prioritäten in Zusammenhang mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zeigt Folgendes:

  • Die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die Umsetzung von Maßnahmen zur Anerkennung, Wertschätzung und Umverteilung der von Frauen geleisteten unbezahlten Betreuungsarbeit zählen weiterhin zu den wichtigsten Prioritäten in der gesamten Europäischen Region. Sie zählen zu den Zielvorgaben der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) und sind unabdingbar für die Verbesserung der Gesundheit von Frauen in der Region.
  • Die Gewährleistung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Frauen und der damit verbundenen Rechte bildet den Kern der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern und ist zudem eines der SDG-Zielvorgaben. Ihr wird jedoch heute oftmals weniger Priorität durch die Länder eingeräumt als noch vor wenigen Jahren.
  • Der Umgang mit schädlichen Geschlechternormen und -stereotypen sowie eine vermehrte digitale Einbindung von Frauen – die beide essentiell sind für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen – zählen zu den aufkommenden bzw. neuen Prioritäten, denen die Länder in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken wollen.

Im September 2020 werden die Mitgliedstaaten in der Europäischen Region die im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter erzielten Erfolge sowie deren Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen wie Männern im Rahmen der Erfolgskontrolle gemäß der Strategie zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Frauen in der Europäischen Region der WHO (2016) und der Strategie zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Männern in der Europäischen Region der WHO (2018) überprüfen.

Geringere Lebenszufriedenheit bei Mädchen

Geschlechtsspezifische Stereotype wirken sich bereits in jungen Jahren auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus. Daten der Studie über das Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter zeigen, dass unter den europäischen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren 43% der Mädchen unzufrieden mit ihrem Körper sind, während der Anteil unter Jungen bei 22% liegt. Von den Mädchen berichteten 26%, auf Diät zu sein, obwohl nur 13% tatsächlich übergewichtig waren (im Vergleich dazu berichteten 11% der Jungen, auf Diät zu sein, und 22% waren tatsächlich übergewichtig).

Die gleichen Daten verweisen auf ein Kluft zwischen den Geschlechtern im Hinblick auf die Lebenszufriedenheit unter Jugendlichen. Sie zeigen, dass Mädchen in allen Ländern häufiger ins Hintertreffen geraten als Jungen.

Hohe Raten von Gewalt gegen Frauen

Eine von vier Frauen in der Europäischen Region wird ab einem Alter von 15 Jahren Opfer physischer Gewalt oder von Gewalt durch einen Intimpartner. Daten der Vereinten Nationen deuten darauf hin, dass mehr als Dreiviertel der Opfer von Menschenhandel Frauen sind, und dass ein Großteil dieser Frauen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung verschleppt werden.

Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern betreffen im Gesundheitswesen tätige Frauen

Frauen machen den Großteil der Gesundheitsfachkräfte in der Europäischen Region aus, dennoch bestehen innerhalb der Gesundheitssysteme weiterhin Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Weibliche Gesundheitsfachkräfte müssen bei Bewerbungen um Führungspositionen, bei der Verwirklichung von Einkommensgleichheit und bei der Beseitigung von geschlechtsbezogenen Stereotypen über normalerweise den Frauen zugewiesene Aufgaben im Gesundheitswesen immer noch erhebliche Hindernisse überwinden.

Wenngleich die Zahlen sich von Jahr zu Jahr ändern, waren im März 2020 nur 19% der Gesundheitsminister in den Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region Frauen. Im August 2019 waren es noch 34%. Und dennoch machen Frauen in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 90% der formellen Belegschaft im Gesundheits- und Sozialwesen aus.

Gesundheitsdienste sind in hohem Maße auf Frauen angewiesen, die als informelle Betreuungspersonen, insbesondere für Kinder und ältere Menschen, einen Beitrag leisten. Daten aus der Europäischen Union zeigen, dass nach wie vor Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die unbezahlte Betreuung bestehen und diese sogar zunehmen.

Viele Jahre bei schlechter Gesundheit

Frauen in der Europäischen Region weisen weltweit mit die höchste Lebenserwartung auf, doch die letzten Lebensjahre sind oftmals von Krankheit oder Behinderung und meist von einem niedrigen Niveau sozialer Absicherung gekennzeichnet. Dies ist zum Teil auf eine ungleiche Geschlechterverteilung auf dem Arbeitsmarkt und die Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern bei der Pflege zurückzuführen.

Frauen in Europa verbringen im Durchschnitt 10 Jahre bei schlechter Gesundheit, während es bei Männern nur 6 Jahre sind. Angesichts der Bevölkerungsalterung in der Region und der Tatsache, dass 70% der 14 Mio. Menschen, die gegenwärtig älter als 85 Jahre sind, Frauen sind, ist zu erwarten, dass der Anteil dieser Gruppe noch anwachsen wird.