Verhinderung katastrophaler Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Bezug auf Antibiotikaresistenzen

WHO

Dr. Soldani bei der Arbeit

Forschungsarbeiten des WHO-Regionalbüros für Europa und Berichten aus der Praxis zufolge besteht in der Europäischen Region der WHO die Gefahr einer beschleunigten Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen. Die langfristigen Auswirkungen eines unangemessenen Gebrauchs von Antibiotika durch Einzelpersonen und in Gesundheitseinrichtungen verschärfen sich infolge der COVID-19-Pandemie. Die in diesem Jahr in der Woche vom 18. bis 24. November stattfindende Weltwoche für den verantwortungsvollen Gebrauch von antimikrobiellen Mitteln bietet Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf die diesbezüglichen Entwicklungen zu richten.

Obwohl Antibiotika nicht zur Behandlung von Virusinfektionen wie COVID-19 geeignet sind und diese auch nicht verhindern können, zeigten die Ergebnisse von Forschungsarbeiten zur Gewinnung von verhaltensbezogenen Erkenntnissen in neun Ländern und Gebieten der Europäischen Region, dass mit steigenden COVID-19-Fallzahlen im Laufe der Pandemie auch ein zunehmender Gebrauch von Antibiotika zu verzeichnen ist. Von den Befragten, die zum Zeitpunkt der Befragung Antibiotika einnahmen, berichteten 79–96%, nicht mit COVID-19 infiziert zu sein. Stattdessen nahmen sie die Mittel eigenen Aussagen zufolge auf unsachgemäße Weise ein, da sie der Überzeugung sind, dass sie eine Infektion verhindern. Die Evidenz deutet darauf hin, dass bis zu 15% aller COVID-19-Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf zusätzlich eine bakterielle Koinfektion entwickeln und auf Antibiotika angewiesen sein könnten; jedoch erhalten tatsächlich 75% aller Patienten Antibiotika.

„Antibiotika retten Leben, und wir sollten ihre Wirksamkeit so lange wie möglich gewährleisten. Einige COVID-19-Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf entwickeln zudem bakterielle Koinfektionen und brauchen Antibiotika, um zu überleben“, erläutert Dr. Nino Berdzuli, Leiter der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder beim WHO-Regionalbüro für Europa. „Dies ist eine sehr schwierige Zeit für Gesundheitseinrichtungen. Insbesondere jetzt während der Pandemie ist es wichtig, dass es eindeutige Richtlinien gibt, um den unsachgemäßen Gebrauch von Antibiotika zu verhindern. Jeder muss einen Beitrag leisten, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu schützen, von Eltern über verschreibende Gesundheitsfachkräfte bis hin zu Politikern.“

Dr. Fabio Soldani ist Spezialist für Infektionskrankheiten in Verona (Italien) und berät verschiedene Krankenstationen im Krankenhaus Azienda Ospedaliera Universitaria Integrata. Seine Erfahrungen an vorderster Front im Norden Italiens – dem ersten Gebiet in der Europäischen Region, das hart von COVID-19 getroffen wurde – bestätigen, wie schwer es anfangs war, den Gebrauch von Antibiotika einzuschränken.

Antibiotika für Patienten mit klaren Anzeichen einer bakteriellen Infektion zurückhalten

„Zu Beginn gaben wir COVID-19-Patienten in meinem Krankenhaus auf die gleiche Weise Antibiotika, wie wir sie üblicherweise bei einer ambulant erworbenen Pneumonie ausgeben würden. Das heißt, wir gaben ihnen Breitbandantibiotika wie Cephalosporine und Azithromycin, bis dass mögliche bakterielle Superinfektionen ausgeschlossen werden konnten“, erläutert er. „Im weiteren Verlauf der Pandemie, nachdem wir mehr Erfahrungen gesammelt hatten, begannen wir Antibiotika nur bei Patienten mit Anzeichen einer im Labor nachgewiesenen bakteriellen Infektion einzusetzen. Nach Möglichkeit versuchten wir, die Dauer der Antibiotika-Behandlung zu verkürzen.“

Im Krankenhaus von Dr. Soldani halfen gute Praktiken für einen verantwortungsbewussten Umgang mit antimikrobiellen Mitteln aus der Zeit vor der Pandemie, dem unsachgemäßen Gebrauch von Antibiotika nach Beginn der Krise vorzubeugen.

„Auf Intensivstationen vermeiden wir üblicherweise den Gebrauch von Antibiotika zur Verhinderung bakterieller Infektionen bei Patienten, die an Beatmungsgeräte angeschlossen sind. Diese Praxis haben wir auch während der COVID-19-Epidemie beibehalten. Für die Erkennung von Infektionen nutzen wir mehr denn je neue diagnostische Verfahren.“

Erhöhte Antibiotikaresistenz von Bakterien

Trotz dieser Maßnahmen hatte das Krankenhaus, wie so viele andere in der Europäischen Region, während der Pandemie mit einer erhöhten Antibiotikaresistenz von Bakterien zu kämpfen.

„Es gab einige bakterielle Infektionen, verursacht durch Pseudomonas und Enterokokken, die oftmals eine hohe Resistenz aufwiesen. Ich bin der Überzeugung, dass ein übermäßiger Einsatz von Cephalosporinen der dritten Generation zu einer erhöhten Resistenz führen kann, insbesondere in Krankenhäusern.“

Dr. Soldani verweist auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Evaluation und ist der Ansicht, dass größere Investitionen erforderlich sind, um die Auswirkungen von COVID-19 auf den Gebrauch von Antibiotika in Krankenhäusern zu bewerten. Die Situation ist komplex, da einige Aspekte der Pandemiebekämpfung in Krankenhäusern den Gebrauch von Antibiotika tatsächlich einzudämmen schienen. Während das Spektrum der Tätigkeiten im Krankenhaus zurückgefahren wurde und der Fokus allein auf der Behandlung von Notfällen lag, gab es weniger nosokomiale Infektionen, die oft resistent gegenüber Antibiotika sind.

„Anhand der gesammelten Erfahrungen würden wir nun, glaube ich, einen anderen Ansatz wählen, wenn wir uns erneut in einer ähnlichen Situation wiederfinden würden. Der Gebrauch von Antibiotika würde wahrscheinlich deutlich beschränkt. Ich denke, dass nach einem Nachweis von COVID-19 im Labor – was mittlerweile viel weniger Zeit in Anspruch nimmt als zuvor – der Gebrauch von Antibiotika vermieden werden sollte, sofern es keine Anzeichen einer bakteriellen Infektion gibt.“