Fragen und Antworten: COVID-19-Varianten und was sie für die Länder und für Einzelpersonen bedeuten

WHO

Wir haben mit Dr. Richard Pebody gesprochen, dem Leiter des Teams für hochgefährliche Erreger bei WHO/Europa, um herauszufinden, warum sich das COVID-19 verursachende Virus verändert, welche Folgen das für die öffentliche Gesundheit hat und was man als Einzelner tun kann, um seinen Beitrag zu leisten und sich zu schützen.

Warum verändern sich Viren?

„Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass alle Viren, auch das COVID-19 verursachende Virus, sich mit der Zeit verändern. Das ist ein natürliches Phänomen. Gleichwohl stellen neue besorgniserregende Varianten unsere Reaktion auf die Pandemie weiterhin vor große Herausforderungen.

Wenn ein Virus sich repliziert, sich also bei seiner Ausbreitung vervielfältigt, verändert sich oft das Virusgenom (die Gesamtheit der genetischen Erbinformationen des Organismus) ein wenig. Diese Veränderungen werden als Mutationen bezeichnet und sind normalerweise nicht signifikant. Ein Virus mit einer oder mehrerer neuer Mutationen wird als Variante des ursprünglichen Virus bezeichnet.

Je mehr Viren zirkulieren, desto stärker können sie sich verändern. Diese Veränderungen können gelegentlich zu einer Virusvariante führen, die besser an ihre Umgebung angepasst ist als das ursprüngliche Virus. Dieser Prozess der Veränderung und Selektion erfolgreicher Varianten wird als Viren-Evolution bezeichnet.“

Warum sind einige Varianten von COVID-19 besorgniserregender als andere?

„Die WHO und ihre Partner verfolgen die Veränderungen bei SARS-CoV-2 (dem COVID-19 verursachenden Virus) seit Januar 2020 sehr genau. Die meisten Veränderungen hatten nur geringen oder gar keinen Einfluss auf die Eigenschaften des Virus. Mittlerweile wissen wir jedoch von einigen, die sich etwa auf die Übertragung (das Virus breitet sich also leichter aus) oder den Schweregrad der Erkrankung (sie bewirken also möglicherweise einen schwereren Krankheitsverlauf) auswirken.

Es wurden Systeme eingerichtet, um die verschiedenen Signale möglicher besorgniserregender Varianten zu erkennen und diese auf Grundlage der von ihnen ausgehenden Gefahr für die weltweite öffentliche Gesundheit zu beurteilen. Die WHO verfolgt diese Varianten auf der ganzen Welt.“

Was sind derzeit die wichtigsten besorgniserregenden Varianten und wo breiten sie sich aus?

„Gegenwärtig gibt es vier besonders besorgniserregende Varianten, die nach wie vor in einer zunehmenden Zahl von Ländern und Gebieten auf der ganzen Welt identifiziert und überwacht werden.

Die häufigste Variante, die gegenwärtig in der Europäischen Region der WHO zirkuliert, ist SARS-CoV-2 B.1.1.7. Diese Variante wurde erstmals im Vereinigten Königreich identifiziert und hat sich inzwischen auf zahlreiche Länder in der Region und anderswo ausgebreitet. Zwei weitere besorgniserregende Varianten wurden in Südafrika und Brasilien entdeckt.

Am 11. Mai 2021 wurde der Virusstamm B.1.617 (die ursprünglich in Indien identifizierte Variante) ebenfalls zur Liste der von der WHO als weltweit besorgniserregend eingestuften Varianten hinzugefügt. Seit ihrer ersten Identifizierung im Oktober 2020 wurden diese Varianten in Ländern auf der ganzen Welt nachgewiesen. Die meisten Fälle wurden Indien gemeldet, gefolgt vom Vereinigten Königreich (wo die Untervariante B.1.617.2 als landesweit besorgniserregende Variante eingestuft wurde).“

Ist davon auszugehen, dass noch viele weitere Varianten auftreten werden? Gibt dies Grund zur Besorgnis?

„Während sich COVID-19 weiter ausbreitet, werden auch vermehrt Varianten auftreten. Die meisten von ihnen bleiben folgenlos. Doch es ist möglich, dass wir weitere Varianten sehen werden, die leichter übertragbar sind oder einen schwereren Krankheitsverlauf zur Folge haben.

Die WHO und ihre Partner verfügen über ausgefeilte Surveillance-Systeme, um neuen Varianten zu identifizieren, ihre Ausbreitung zu verfolgen und ihren Schweregrad zu beurteilen.“

Wie genau werden neue Varianten identifiziert und verfolgt?

„Seit Beginn des Ausbruchs arbeitet die WHO mit einem weltweiten Netzwerk von Fachlaboren zusammen, um die Durchführung der Tests zu unterstützen und ein besseres Verständnis des COVID-19 verursachenden Virus zu gewinnen.

Forschungsgruppen haben die Virusvarianten sequenziert – d. h. sie haben den genetischen Code „gelesen“, der das Genom des Virus bildet – und diese über öffentliche Datenbanken geteilt, u. a. über die GISAID-Initiative. Diese globale Kooperation ermöglicht es Wissenschaftlern, auf weltweite Daten zuzugreifen, um das Virus besser zu verfolgen und genauer zu erforschen, wie es sich verändert.

Das globale SARS-CoV-2-Labornetzwerk der WHO umfasst auch eine spezielle Arbeitsgruppe, die sich mit der Evolution des Virus befasst und deren Ziel es ist, neue Mutationen schneller auszumachen und ihre möglichen Folgen für die öffentliche Gesundheit zu beurteilen.

Darüber hinaus nehmen viele Länder eine eigene Sequenzierung der COVID-19-Varianten vor und teilen diese Daten auf internationaler Ebene, um zur globalen Überwachung und der entsprechenden Reaktion beizutragen.“

Wirken sich Veränderungen des Virus auf die Wirksamkeit der Impfstoffe aus?

„Es wird davon ausgegangen, dass die derzeit durch die Impfprogramme bereitgestellten COVID-19-Impfstoffe zumindest einen gewissen Schutz vor neuen Virusvarianten bieten, da sie alle zu einer breiten Immunantwort führen.

Wenn sich einer dieser Impfstoffe als weniger wirksam gegen eine oder mehrere Varianten herausstellt, besteht die Möglichkeit, die Zusammensetzung des Impfstoffs zu ändern, um vor diesen Varianten zu schützen.

Die WHO wird auch weiterhin mit Forschern, Gesundheitsbeamten und Wissenschaftlern zusammenarbeiten, um zu verstehen, inwiefern diese Varianten das Verhalten des Virus beeinflussen, also etwa inwiefern sie sich auf die Wirksamkeit der Impfstoffe auswirken.“

Wird sich die Ausbreitung neuer Varianten auf die Lockerung von Lockdowns und die Wiedereröffnung der Gesellschaft auswirken?

„Varianten sind ein weit verbreitetes Phänomen und sind an sich nicht gefährlich, doch sie können zu einer Gefahr werden, wenn sie das Verhalten des Virus verändern. Daher müssen wir diese Entwicklungen sehr genau beobachten, die Ausbreitung der Varianten in der Bevölkerung genau verfolgen und die am besten geeigneten Maßnahmen ergreifen, um sie einzudämmen und zu kontrollieren. Dies ist entscheidend, um zu verhindern, dass sie außer Kontrolle geraten.

Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es zu weiteren Lockdowns kommen wird, doch können diese als eines der Instrumente zur Eindämmung des Virus in der Gesellschaft nicht ausgeschlossen werden, insbesondere, wenn eine spezifische besorgniserregende Variante mit einer höheren Übertragbarkeit einhergeht.“

Sollten die Menschen Auslandsreisen unternehmen, während Varianten zirkulieren?

„Wir befinden uns noch immer inmitten der Pandemie, verzeichnen weiterhin hohe COVID-19-Fallzahlen, es zirkulieren eine Reihe von besorgniserregenden Varianten und ein Großteil der europäischen Bevölkerung ist noch nicht geimpft. Die WHO empfiehlt weiterhin, Reisen nur aus wichtigem Grund zu unternehmen: in Notfällen, für humanitäre Maßnahmen, für die Beförderung unentbehrlichen Personals und für jene, die in bestimmten Verkehrssektoren tätig sind.

Kranke und gefährdete Menschen, einschließlich älterer Reisender und Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen oder Vorerkrankungen, sollten internationale Reisen in und aus Gebieten, in denen das Virus kursiert, verschieben.“

Was sollten die Menschen tun, um sich vor einer Infektion mit einer COVID-19-Variante zu schützen?

„Eine Impfung wird diese Pandemie nicht beenden, bis alle Menschen überall in der Welt die Chance auf eine Impfung hatten. Während die Impfmaßnahmen voranschreiten, müssen wir die Übertragung des Virus weiterhin eindämmen und unser eigenes Risiko für eine Infektion wie auch das Risiko, andere mit dem Virus anzustecken, verringern.

Unsere Botschaft ist klar: Die Menschen sollten sich auch weiterhin an die empfohlenen Maßnahmen – die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und sozialen Maßnahmen, wie wir sie bezeichnen – halten, um die Übertragung des Virus einzudämmen. Hierzu zählen häufiges Händewaschen, das Tragen einer Schutzmaske, die Einhaltung eines Abstands von mindestens 1 Meter zu anderen Menschen, häufiges Durchlüften von Innenräumen und die Vermeidung großer Menschenansammlungen oder beengter Räumlichkeiten. Diese Maßnahmen wirken gegen alle Varianten, da sie die Übertragung des Virus eindämmen und die Chancen des Virus auf eine weitere Mutation verringern.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Menschen die Chance auf eine Impfung nutzen, wenn sie ihnen angeboten wird. Mit zunehmender Zahl der geimpften Menschen gehen wir davon aus, dass die Zirkulation des Virus zurückgehen wird, was wiederum zu weniger Mutationen führen wird.“

Was empfiehlt die WHO den Ländern in Bezug auf die Veränderungen des Virus?

„Die Länder müssen sich verstärkt um die Sequenzierung der SARS-CoV-2-Varianten bemühen und die Ergebnisse melden, damit wir unser Wissen über sie kontinuierlich ausbauen und wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln können.

Die WHO fordert die Länder eindrücklich dazu auf, alle grundlegenden bewährten Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und sozialen Maßnahmen fortzusetzen und zu verstärken. Für die Länder umfasst dies auch etwa die Durchführung von Tests, die Isolation und Behandlung bekannter Fälle, die Ermittlung von Kontaktpersonen und Quarantäne für Kontaktpersonen.

Auch wenn die Übertragungsraten derzeit weiterhin hoch sind, verzeichnen wir insgesamt einen Rückgang der COVID-19-Fälle in der gesamten Europäischen Region.

Doch das ist nicht das erste Mal: Wenn die Kurve flacher wird, dürfen wir nicht in unserer Wachsamkeit nachlassen, sondern müssen sie noch verstärken, damit wir einen weiteren Lockdown verhindern können. Wir dürfen uns nicht zu Selbstzufriedenheit verleiten lassen.“