Innovation im Mittelpunkt der Maßnahmen im Kampf gegen COVID-19: Wenn Flüchtlinge nicht zu Anbietern von Gesundheitsleistungen gelangen können, müssen diese eben zu ihnen kommen

WHO Turkey implementing Partner Doctors Worldwide

Pelşin Ülgen, eine Expertin für psychosoziale Betreuung des Ausbildungszentrums für die Gesundheit von Flüchtlingen in Istanbul.

Für viele Flüchtlinge, die aus dem kriegsgebeutelten Syrien in die Türkei geflüchtet sind, stellen die von der Europäischen Union finanzierten Ausbildungszentren für die Gesundheit von Flüchtlingen weiterhin einen wichtigen Zugangspunkt zur primären Gesundheitsversorgung dar. Mit Durchsetzung der Präventionsmaßnahmen gegen COVID-19 im ganzen Land verzeichneten die Zentren jedoch einen spürbaren Rückgang der Besucherzahlen.

Das Zentrum in Istanbul stellte sich dieser beispiellosen Herausforderung und fand schnell eine innovative Lösung: wenn die Leistungsempfänger nicht zu den Anbietern der Gesundheitsleistungen gelangen konnten, mussten diese eben zu ihnen kommen.

Rafas Geschichte

„Mit der Ausbreitung des Virus wurde uns bewusst, dass die permanente Berichterstattung in den Medien und die verhängten Ausgangssperren den Bedarf an psychosozialer Unterstützung unter den syrischen Flüchtlingen beträchtlich erhöhten“, erklärt Pelşin Ülgen, eine Expertin für psychosoziale Betreuung des Zentrums in Istanbul.

„Die Auswirkungen der Pandemie auf das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft führen zu Verunsicherung, die sich durch Anspannung und Angstzustände in der Flüchtlingsgemeinschaft manifestiert. Wir wissen, dass Flüchtlingsgemeinschaften besonders gefährdet sind, daher mussten wir gewährleisten, dass unsere psychosozialen Angebote auch weiterhin zur Verfügung stehen, gleichzeitig aber auch die von der Regierung eingeführten Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 einhalten.“

Das erste virtuelle Einzelgespräch zur psychosozialen Unterstützung wurde für die 16-jährige Rafa arrangiert. Sie leidet an der mit dem zwanghaften Ausreißen der eigenen Haaren einhergehenden psychischen Erkrankung Trichotillomanie.

„Anfangs hatte ich meine Zweifel, ob eine virtuelle Sitzung ebenso hilfreich sein würde wie ein persönliches Gespräch“, sagt Pelşin. „Doch im Verlauf unserer virtuellen Sitzungen wurde mir klar, dass eine Unterbrechung unserer Gespräche katastrophal gewesen wäre und die Sitzungen auch in virtueller Form dringend benötigte Unterstützung leisteten.“

Darüber hinaus boten die virtuellen Gespräche Gelegenheit, auch mit den anderen Familienmitgliedern zu sprechen und sie zur Versorgung und zu anderen Symptomen von Rafas Erkrankung zu beraten.

„Vor den virtuellen Sitzungen litt ich unter Schlafstörungen. Ich verpasste Unterrichtsstunden und fühlte mich durch die Schulschließung und das Eingesperrtsein zu Hause ohne jegliches Sozialleben gestresst“, erläutert Rafa. „Mir war nicht bewusst, wie angespannt ich war. Ich stritt mich oft mit meinen Eltern und sogar mit meinen Freunden, wenn wir miteinander telefonierten.“

Mit Hilfe der einmal wöchentlich stattfindenden regelmäßigen Online-Sitzungen mit dem Zentrum ging es Rafa schnell besser. „Ich verstehe die Situation nun besser und ich weiß, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine dastehe. Ich habe mich mit den Umständen, mit denen wir alle aufgrund der COVID-19-Pandemie zu kämpfen haben, arrangiert“, erklärt sie. Rafa schläft nun wieder besser, hat begonnen regelmäßig zu lesen und treibt sogar Sport, wenn sie Zeit dazu findet.

Kooperation zugunsten einer gezielten, maßgeschneiderten Unterstützung

Das Projekt zur Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung für syrische Flüchtlinge in der Türkei und die Ausbildungszentren für die Gesundheit von Flüchtlingen werden vom WHO-Länderbüro in der Türkei in Kooperation mit dem türkischen Gesundheitsministerium betrieben. Sie bieten Zugang zur primären Gesundheitsversorgung in sieben Provinzen des Landes.

Das Projekt unterstützt die nationalen Gesundheitsdienste durch die Ausweitung der Kapazitäten mit Hilfe syrischer Gesundheitsfachkräfte und das Angebot hochwertiger, erschwinglicher und kultursensibler Gesundheitsleistungen für syrische Flüchtlinge und die betroffenen Gastgemeinden in der Türkei. Es unterstützt Betroffene auf vielfältige Weise, etwa durch:

  • den kostenfreien Zugang zu psychosozialen Angeboten, von dem bislang bereits 42 812 Menschen profitierten;
  • Fortbildungsmaßnahmen für bislang 173 Ärzte, 110 Pflegekräfte und 606 bilinguale Patientenratgeber;
  • Schulungen zu Angeboten der psychischen und psychosozialen Unterstützung, die bislang von 402 syrischen und türkischen Ärzten in Anspruch genommen wurden, die nun entsprechend zertifiziert sind; und
  • die Anstellung 126 neuer Gesundheitshilfskräfte zur Unterstützung der Gesundheitsdienste bei der Bereitstellung von Gesundheitsangeboten, etwa im Bereich psychosoziale Beratung, für syrische Flüchtlinge in den Provinzen Ankara, Gaziantep, Hatay, Istanbul, Izmir, Mersin und Şanlıurfa.