Konzepte für die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken: Die meisten Länder hinken bei der Förderung gesünderer Entscheidungen hinterher

Einem neuen Bericht zufolge ist die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken in vielen Ländern der Europäischen Region der WHO nicht einheitlich oder gar durchdacht. Der neue zusammenfassende Bericht des Health Evidence Networks (HEN) über die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken in der gesamten Region ist die erste systematische Untersuchung, die sich mit den unterschiedlichen Arten der Kennzeichnung dieser Art von Getränken in den Ländern befasst und Strategieoptionen für die entsprechenden Behörden darlegt.

Verbraucher haben das Recht, mehr zu erfahren

Die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken, eine von der WHO empfohlene Praxis, ist in vielen Ländern der Region nicht vorgeschrieben. Dieser Mangel an wichtigen Informationen ist Besorgnis erregend. Verbraucher haben ein Recht darauf, mehr über die Zusammensetzung alkoholischer Getränke und die mit ihrem Konsum verbundenen möglichen Risiken zu erfahren. Dies sind Mindestanforderungen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.

Dies gilt insbesondere in der Europäischen Region, da sie von allen WHO-Regionen den höchsten Alkoholkonsum, die höchste Prävalenz für alkoholbezogene Störungen und die meisten alkoholbedingten Todesfälle in der Bevölkerung (rund 10% der Gesamtmortalität) aufweist. Im Jahr 2016 war Alkoholkonsum Ursache von über 900 000 Todesfällen in der Europäischen Region und von rund 3 Mio. Todesfällen weltweit.

Alkoholkonsum erhöht das Risiko für Krebs, Schlaganfälle, Herzerkrankungen und übertragbare Krankheiten und schwächt das Immunsystem. Darüber hinaus erhöht ein hoher Alkoholkonsum das Risiko für das akute Atemnotsyndrom (ARDS), eine der schwersten Komplikationen von COVID-19. Ferner wird Alkoholkonsum mit Verletzungen, Gewalt und einer Reihe psychischer Störungen, wie u. a. Depressionen und Angstzuständen, in Verbindung gebracht.

Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union: strengere Regeln für die Branche

„Der HEN-Bericht macht deutlich, dass die Kennzeichnungspraktiken in jenen Ländern, die der Branche die Selbstregulierung ihrer Kennzeichnungspolitik erlauben, insgesamt ungenügend ausfallen, da sie für die Verbraucher unzureichende Informationen bereitstellen“, erklärt Carina Ferreira-Borges, Leiterin des Programms für Alkohol und illegale Drogen beim WHO-Regionalbüro für Europa.

Grundsatzüberlegungen bezüglich der Ausarbeitung einer erfolgreichen Gesetzgebung für eine entsprechende Kennzeichnung sollten Gesundheitsinformationen, Inhalts- sowie Nährwertangaben einschließen, eine regulierte Präsentation entsprechender Botschaften gewährleisten und unabhängig überwacht und evaluiert werden.

Dem HEN-Bericht zufolge erfüllen die Länder, die nicht der Europäischen Union angehören, die Empfehlungen aus dem WHO-Diskussionspapier zu Strategieoptionen für die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken in mehr als einem Drittel der Fälle (36%, insgesamt 8 Länder). Doch nur ein Land der Europäischen Union kommt den gleichen Empfehlungen voll und ganz nach.

„Es bleibt noch viel zu tun, um die Handlungskonzepte für die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken in der Europäischen Region der WHO in Einklang mit den von der WHO empfohlenen Praktiken zu bringen. Es gibt jedoch auch einige positive Beispiele“, fügt Carina Ferreira-Borges hinzu. „Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union tendieren dazu, strengere Regeln umzusetzen. Darüber hinaus haben einige von ihnen bereits einen länderübergreifenden rechtlichen Rahmen für die Kennzeichnung festgelegt, über den die Europäische Union bislang noch immer nicht verfügt. Tatsache ist, dass die politischen Entscheidungsträger dringend benötigte Veränderungen herbeiführen können, von denen die Gesundheit der Bevölkerung stark profitieren könnte.“

Gegenwärtig verfügen lediglich 17% der Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region über Gesetze, aufgrund derer die Hersteller von alkoholischen Getränken verpflichtet sind, Informationen zur Zusammensetzung, Nährwertangaben und Gesundheitsinformationen gleichermaßen in die Etiketten ihrer Produkte aufzunehmen. Insgesamt verfügen 40% der Länder über Gesetze zur Auflistung der Inhaltsstoffe, 28% über Gesetze zur Aufnahme von gesundheitlichen Informationen auf Etiketten oder entsprechenden Warnhinweisen auf alkoholischen Getränken und 19% über Gesetze zur Aufführung von Nährwertangaben.

Positive Beispiele der Kennzeichnung

Laut dem HEN-Bericht sind sich mittlerweile eine Reihe von Mitgliedstaaten der Notwendigkeit bewusst, aktivere Konzepte zur Regulierung der Kennzeichnungspraktiken zu verfolgen.

Erfahrungen aus der Eurasischen Zollunion (ECU) (Belarus, Kasachstan und die Russische Föderation) geben wertvolle Einblicke darüber, inwiefern ein funktionierender länderübergreifender Ansatz für die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken zur Harmonisierung unterschiedlicher legislativer Systeme beitragen kann. Innerhalb der ECU wurden drei technische Vorschriften erlassen, welche die Hersteller dazu verpflichten, eine Liste der Zutaten und Nährwertangaben auf den Etiketten von Nahrungsmitteln und alkoholischen Getränken anzubringen. Bis 2019 wurden alle drei technischen Regelwerke finalisiert. Die Resultate dieses Handlungskonzepts müssen nun im Rahmen einer unabhängigen Prüfung bewertet werden.

In Frankreich wurde ein Gesetz eingeführt, das die verbindliche Kennzeichnung aller alkoholischen Getränke mit einer Warnung vor dem Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft vorsieht. Die Behörden des Landes betteten die Vorschrift in eine weiter gefasste Strategie zur Schärfung des Bewusstseins für die durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursachten gesundheitlichen Schäden ein. Jüngste Studien deuten bereits auf eine Verbesserung des Bewusstseins in der Öffentlichkeit hin. Der französische Gesundheitsminister kündigte die Einführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtbarkeit des Schwangerschaftslogos im Nationalen Plan für die öffentliche Gesundheit (2018–2022) an.

In der Russischen Föderation wurden strengere Vorschriften für die Kennzeichnung von alkoholischen Getränken eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde das umfassende Verfahren zur Einführung entsprechender Gesetze in kleinere Anträge unterteilt. Das russische föderale Gesetz Nr. 171 über die Herstellung und den Vertrieb alkoholischer Getränke (welches auch die Kennzeichnung der Produkte reguliert) wurde erstmals 1995 eingeführt, seitdem jedoch mehr als vierzigmal abgeändert. Diese schrittweise Strategie hat dem Land dabei geholfen, Fortschritte in Einklang mit den Empfehlungen der WHO zu erzielen.

Für eine erfolgreiche Umsetzung des Europäischen Aktionsplans der WHO zur Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums (2012–2020) und der Globalen Strategie der WHO zur Reduzierung des schädlichen Alkoholkonsums sollten die Länder der Region die Annahme strenger und umfassender Strategieoptionen für die Kennzeichnung in Erwägung ziehen. Der HEN-Bericht enthält umfassende, aktuelle Informationen, die für politische Entscheidungsträger entscheidend sind.

Die Untersuchungen wurden mit finanzieller Unterstützung der Regierungen Deutschlands, Norwegens und der Russischen Föderation im Kontext des Europäischen Büros der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten durchgeführt.