Alkoholpolitik für die Europäische Region: neue Forschungserkenntnisse der WHO zeigen, dass Mitgliedstaaten im Osten der Region eine führende Rolle übernehmen

Auch wenn die Europäische Region der WHO insgesamt einen Rückgang beim Alkoholkonsum verzeichnet, hängt dieser Trend doch nur mit den in einer geringen Anzahl an Ländern erzielten Fortschritten zusammen, die vorwiegend im östlichen Teil der Region liegen. Von einigen nennenswerten Ausnahmen abgesehen, haben die westeuropäischen Länder, einschließlich der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), im Hinblick auf die Reduzierung des Alkoholkonsums nur geringe oder überhaupt keine Fortschritte erzielt.

Diese Dynamik wird in dem neuen Bericht von WHO/Europa „Die Europäische Region der WHO SICHERER machen. Entwicklungen bei Konzepten zur Eindämmung des Alkoholkonsums (2010–2019)“ hervorgehoben. Der Bericht beurteilt die neuesten Schritte, die in den Mitgliedstaaten zur allmählichen Umsetzung evidenzbasierter und wirksamer Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums ergriffen wurden.

Bis zu 2500 alkoholbedingte Todesfälle pro Tag

Alkohol ist eine psychoaktive Substanz mit Suchtpotenzial, die neben anderen krebserzeugenden Substanzen wie Asbest, Radium und Tabak als humanes Karzinogen der Gruppe 1 eingestuft wird. Alkohol wird für mehr als 200 Erkrankungen und Verletzungen als Ursache anerkannt, und allein in der Europäischen Region führt Alkoholkonsum zu nahezu 1 Mio. Todesfällen pro Jahr – das entspricht rund 2500 Todesfällen pro Tag.

„Alkohol ist keine übliche Handelsware und sollte nicht als solche betrachtet werden. Alkoholkonsum trifft die anfälligsten Bevölkerungsgruppen“, erläutert Dr. Nino Berdzuli, Direktorin der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder bei WHO/Europa. „Die alkoholbedingten Schäden sind für Trinker und ihre Familien mit geringerem Einkommen größer als für Menschen mit höherem Einkommen, und sie verschärfen bereits bestehende gesundheitliche Ungleichheiten. Alkoholkonsum und die durch ihn verursachte Krankheitslast stellen die Europäische Region der WHO vor einige ihrer größten gesundheitlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.“

Eindämmungskonzepte: positive Erfahrungen der osteuropäischen und zentralasiatischen Länder

Um einen Überblick über die gegenwärtige alkoholbedingte Krankheitslast in der Region und die Umsetzung entsprechender Konzepte zur Eindämmung des Alkoholkonsums zu geben, analysiert der neue Bericht von WHO/Europa Daten aus 51 Mitgliedstaaten. Von diesen Ländern meldeten 34 einen Rückgang beim Alkoholkonsum, 17 eine Zunahme.

Der Publikation zufolge verzeichnet die Region einen erheblichen Rückgang beim Alkoholkonsum pro Kopf
– und zwar um 12,5% von 11,2 Litern im Jahr 2010 auf 9,8 Liter im Jahr 2016. Diese Verbesserungen waren jedoch vorrangig durch einen Rückgang des Alkoholkonsums in den östlichen Ländern der Region bedingt, von denen viele in den letzten Jahren eine striktere Alkoholpolitik eingeführt haben.

So sind zum Beispiel die Hälfte der Länder, in denen der Alkoholkonsum um mindestens 10% zurückgegangen ist, Mitglieder oder assoziierte Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), einer im Jahr 1991 von den Ländern der früheren Sowjetunion gebildeten freien Vereinigung souveräner Staaten.

Die Statistiken für die EU sind beunruhigender, wie auch ein früherer WHO-Bericht offenbarte. Im gleichen Zeitraum verzeichneten 28 EU-Länder sowie Norwegen und die Schweiz beim Alkoholkonsum lediglich einen Rückgang um 1,5% – eine Veränderung, die unter Berücksichtigung von Messfehlern statistisch nicht signifikant ist.

Die Forschungsergebnisse von WHO/Europa deuten darauf hin, dass der Alkoholkonsum in der Region insgesamt in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich nahezu auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben wird, auch wenn die weltweite COVID-19-Pandemie aller Voraussicht nach zu einem allgemeinen Rückgang des Alkoholkonsums geführt hat, und zwar in erster Linie bedingt durch die Schließung von Restaurants, Bars und anderen Ausschankorten. Es bedarf jedoch größerer Anstrengungen bei der Kontrolle und Überwachung, da vorläufige Daten darauf hinweisen, dass dieser Rückgang nicht in allen Verbrauchergruppen einheitlich ist.

„Wir erkennen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die der Empfehlung der WHO bezüglich der Umsetzung einer evidenzbasierten Alkoholpolitik gefolgt sind, an und würdigen diese – sie zeigen positive Ergebnisse –, doch es besteht kein Anlass für Selbstzufriedenheit“, betont Dr. Carina Ferreira-Borges, kommissarische Leiterin des Europäischen Büros der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten), die die Forschungsleitung innehatte.

„In den osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, in denen die größten Erfolge erzielt wurden, war Alkoholkonsum lange Zeit einer der zentralen Risikofaktoren für die Krankheitslast, und das Ausmaß der gesundheitlichen Schäden ist noch immer untragbar groß und betrifft Einzelpersonen, Familien und ganze Gemeinschaften. Diese Länder gehen gegenwärtig bei der Umsetzung einer erfolgreichen Alkoholpolitik mit gutem Beispiel voran, doch sie dürfen in ihren Anstrengungen nicht nachlassen und müssen diese noch verstärken, und auch andere Länder in der Region müssen ihrem Beispiel folgen“, fügt Dr. Ferreira-Borges hinzu.

Eine SICHERERE Europäische Region: fünf vorrangige Interventionen zur Eindämmung des Alkoholkonsums

Der Bericht von WHO/Europa dokumentiert zudem, wo die Länder hinsichtlich der Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen der globalen Initiative für eine SICHERERE Europäische Region derzeit stehen. Der englische Name der Initiative, SAFER, ist ein Akronym, das für die fünf vorrangigen Handlungsfelder mit den wirksamsten und kosteneffektivsten politischen Maßnahmen steht, die die Länder zur Eindämmung des Alkoholkonsums und der durch ihn verursachten Schäden sowie zur Beschleunigung der Fortschritte auf dem Weg zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung ergreifen können:

  1. Verstärkung [Strengthening] von Beschränkungen bezüglich der Verfügbarkeit von Alkohol;
  2. Vorantreibung [Advancing] und Durchsetzung von Maßnahmen gegen Alkohol am Steuer;
  3. Erleichterung [Facilitating] des Zugangs zu Vorsorgeuntersuchungen, Kurzinterventionen und Behandlungen;
  4. Durchsetzung [Enforcing] von Verboten oder umfassenden Beschränkungen von Werbung, Sponsoring und Verkaufsförderung für Alkoholprodukte;
  5. Erhöhung [Raising] von Alkoholpreisen durch Verbrauchssteuern und Preisgestaltung.

Die Veröffentlichung dieses Berichts auf hoher Ebene ist ein wichtiger Schritt in der Arbeit von WHO/Europa, um die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von hochwirksamen Strategien für den Aufbau einer SICHEREREN Europäischen Region, frei von alkoholbedingten Schäden, zu unterstützen.