Umgang mit milden Depressionen: „iCBT war genau das Richtige für mich“

WHO

Telepsychiatrie – auch unter dem englischen Schlagwort „eMental health“ bekannt – kommt heute zunehmend zur Anwendung, insbesondere in Form der internetbasierten kognitiven Verhaltenstherapie (iCBT). Nach einer ersten Einschätzung hinsichtlich der Eignung eines Patienten für die iCBT verschreibt ein Arzt die Online-Therapie, die dann Schritt für Schritt umgesetzt wird. Die Fortschritte des Patienten werden von einem Psychiater überwacht, der jederzeit erreichbar ist.

Die Bereitstellung von iCBT-Angeboten für weniger schwere psychische Probleme wie milde Depressionen und Angstzustände setzt sich in den skandinavischen Ländern, aber auch in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich zunehmend durch. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine solche Therapie unter geeigneten Bedingungen eine wirksame Alternative oder Ergänzung zur Präsenztherapie darstellt. Sie ist kostengünstig und für den Patienten relativ bequem und ermöglicht es, Menschen zu erreichen, die in abgelegenen Regionen leben und ansonsten für die Therapie große Entfernungen zurücklegen müssten.

So entschied sich Annika*, eine Lehrerin über 60, die im Raum Helsinki lebt, für eine iCBT wegen ihres praktischen Nutzens, als sie vor zwei Jahren erste Anzeichen für psychische Gesundheitsprobleme bemerkte.

Zugang zur Therapie rund um die Uhr

„Ich reagierte immer empfindlicher, und alles war irgendwie zu viel für mich. Im Beruf kam ich weiter gut zurecht, aber privat regte ich mich immer öfter auf, fing manchmal an zu weinen oder schrie meinen Mann an, oft ohne Grund. Ich fühlte mich so erschöpft, dass ich begann, bestimmte Situationen und sogar unsere Kinder und Enkel zu meiden. Ich probierte es mit einer Psychologin, aber die Termine waren kaum einzuhalten. Ich war sehr beschäftigt, und sie auch. Sie war offenbar der Meinung, dass es mir doch gut gehen müsse, wenn ich so beschäftigt war, aber das war nicht der Fall.“

Annika wünschte sich eine Therapie zu für sie passenden Zeiten, notfalls auch nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, deshalb überwies ihr Arzt sie an MentalHub.fi.

„Schon am ersten Tag fiel mir auf, wie machbar das alles doch war. Ich führte mein Aktivitäts-Tagebuch, und dabei wurde mir klar, dass sich Gedanken auch auf Emotionen auswirken. Meine automatischen Gedanken waren negativ und kritisch, also musste ich etwas an meinem internen Dialog ändern. Ich stellte immer höhere Anforderungen an mich selbst, weil ich wollte, dass alles perfekt ist. Aber natürlich kann nicht immer alles perfekt sein, und ich habe gelernt, auch mal nein zu sagen oder gewisse Dinge von anderen erledigen zu lassen. Man muss seine eigene beste Freundin sein und anfangen, sich selbst so zu behandeln.“

Annikas Therapie dauerte sieben Monate. Während dieser Zeit wurden ihre Fortschritte laufend bewertet.

„Deine Therapeutin liest alles und kann überprüfen, ob du deine Übungen gemacht hast. Ich habe kein Problem damit, offen zu sein, aber der Schutz der Privatsphäre ist für mich wichtig, und es ist tatsächlich nützlich, dass man mit nur einer Person zu tun hat, die man gar nicht persönlich kennt. Ich schreibe ihr nicht oft, aber sie antwortet immer schnell. Wenn man sich generell überfordert fühlt, ist es wirklich eine Erleichterung, mit niemandem sprechen zu müssen.“

Für Annika war es wichtig, etwas für die Verbesserung ihrer psychischen Gesundheit zu tun, bevor es zu schlimm wurde – umso mehr, als ihr bald darauf ein tragisches Ereignis bevorstand.

„Wenn ich mich seelisch gut fühle, erhole ich mich meist schnell, sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht. Dann starb am 1. November mein Patensohn an Herzversagen, am Tag vor seinem 40. Geburtstag. Er war für mich wie ein eigenes Kind. Sein Tod ging mir extrem nahe, und wenn ich zu dem Zeitpunkt an Depressionen gelitten hätte, so hätte mich das wohl umgebracht. Aber so gelang es mir, dieses Ereignis zu bewältigen, und das verdanke ich meiner Therapie. Ich konnte dem Rest der Familie helfen und mich auf all die großartigen Dinge besinnen, die wir miteinander teilen. Mein Patensohn und ich hatten im Oktober ein sehr ernstes Gespräch, bei dem wir einander versicherten, dass wir uns lieben. Wenn ich damals noch unter Depressionen gelitten hätte, wäre es vielleicht nie zu diesem Gespräch gekommen. Trotz dieses Trauerfalls leide ich überhaupt nicht mehr unter Angstzuständen und Depressionen. Die iCBT war also genau das Richtige für mich.“

Telepsychiatrie kann zur Entlastung der psychischen Gesundheitsversorgung beitragen

Aus dem 2016 veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Von der Innovation zur Umsetzung – e-Gesundheit in der Europäischen Region der WHO“ geht hervor, dass die Gesundheitssysteme in allen Teilen der Europäischen Region erhebliche Fortschritte bei der Einrichtung von Telepsychiatrieprogrammen erzielt haben. Dies gilt in besonderem Maße für die nordischen Länder sowie jene Länder, die schon vor 2004 Mitglieder der Europäischen Union waren. Aber auch in den Staaten Südosteuropas, in den kleinen Ländern (mit einer Bevölkerung unter einer Million) und unter den neueren Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden zunehmend entsprechende Pilotprogramme eingeführt.

Clayton Hamilton, Leiter des Referats für e-Gesundheit und Innovation in der Abteilung Information, Evidenz, Forschung und Innovation beim WHO-Regionalbüro für Europa, erklärt: „Depressionen haben beträchtliche gesundheitliche Auswirkungen auf den Einzelnen wie auch die Gesellschaft insgesamt – mit steigender Tendenz. Durch Telepsychiatrie kann die Möglichkeit einer Therapie auf eine große Zahl von Personen ausgedehnt werden, und das zu einem Bruchteil der Kosten einer Präsenztherapie. Natürlich ist sie nicht in jedem Fall und immer nur nach einer sorgfältig erwogenen Verschreibung durch einen Psychiater möglich, doch bei einer sinnvollen Anwendung kann sie äußerst positive Auswirkungen haben, die Reichweite der psychischen Gesundheitsversorgung beträchtlich erhöhen und die überlasteten Gesundheitssysteme entlasten.“

* Für die Zwecke dieses Interviews wurde ein Pseudonym verwendet.