Länder der Europäischen Region zeigen neue Entschlossenheit bei der Bekämpfung der multiresistenten Tuberkulose

120 000 Menschenleben können gerettet und 5 Mrd. US-$ (und weitere 7 Mrd. US-$) eingespart werden

London/Baku, 14. September 2011

In dieser Woche werden sich in Baku (Aserbaidschan) die 53 Mitgliedstaaten auf der Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa, des beschlussfassenden Organs der Europäischen Region der WHO, hinter einen ehrgeizigen und strikten Plan zur Bekämpfung der multiresistenten und extensiv resistenten Tuberkulose (MDR/XDR-Tb) stellen.

„Mit diesem Aktionsplan betreten wir Neuland“, erklärte Zsuzsanna Jakab, die WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Die Tuberkulose ist eine Krankheit mit einer langen Geschichte, die nie verschwunden ist und sich jetzt rasant ausbreitet. Wir müssen neue Waffen finden, um sie bekämpfen zu können. Wir wissen, was funktioniert – und der Aktionsplan stützt sich auf die Evidenz. Das WHO-Regionalbüro für Europa und seine Partner werden unseren Mitgliedstaaten bei ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Aktionsplans mit fachlicher Unterstützung zur Seite stehen.“

Arzneimittelresistente Tuberkulose in der Europäischen Region

Die MDR-Tb breitet sich in der Europäischen Region der WHO alarmierend schnell aus. In den Ländern außerhalb von Westeuropa stehen Diagnose- und Empfindlichkeitstests nur äußerst begrenzt zur Verfügung, so dass kein repräsentatives Gesamtbild möglich ist; doch stiegen die offiziell gemeldeten XDR-Tb-Fallzahlen zwischen 2008 und 2009 um mehr als das Dreifache. Zur Europäischen Region gehören nicht nur die neun Länder mit den weltweit höchsten Raten an Arzneimittelresistenz unter neu diagnostizierten Patienten (bis zu 40%), sondern auch die sechs Länder mit den weltweit höchsten Raten an MDR-Tb unter den früher behandelten Tuberkulosepatienten (bis zu 70%).

Die Tuberkulose betrifft aber auch Westeuropa. So hat London von allen Hauptstädten Westeuropas die höchste Inzidenzrate, nämlich jährlich 3500 Fälle, was einen Anstieg von etwa 30% über die letzten zehn Jahre bedeutet. Die Fallzahlen von MDR-Tb haben sich in London zwischen 2005 und 2009 verdoppelt und machen mittlerweile fast 2% aller Fälle aus.

Die Behandlung von MDR-Tb-Patienten dauert bis zu zwei Jahre mit Zweitrang-Medikamenten und bzw. oder chirurgischen Eingriffen. Da die Lebensumstände mancher Patienten eine Behandlung erschweren, liegt die Erfolgsquote für MDR-Tb-Patienten in einigen westeuropäischen Ländern nicht einmal halb so hoch wie in den Ländern Osteuropas und Zentralasiens. In Westeuropa bleibt die Behandlung bei 23% der Patienten ohne Erfolg, 26% der Fälle werden statistisch nicht weiterverfolgt, 19% sterben und nur 32% werden erfolgreich behandelt. Dagegen wird die Erfolgsrate in Osteuropa und in Zentralasien auf 65% geschätzt.
 

Der neue Aktionsplan

„Der neue Konsolidierte Aktionsplan wurde in einem bisher noch nie so durchgeführten Konsultationsprozess ausgearbeitet, in den auch Patienten und von der Krankheit betroffene Bevölkerungsgruppen einbezogen wurden“, so Hans Kluge, der für die Bekämpfung von MDR- und XDR-Tb zuständige Sonderbeauftragte der Regionaldirektorin beim WHO-Regionalbüro für Europa. „Dieses Problem wurde vom Menschen verursacht und ist auf Defizite bei der Behandlung und auf unzureichende Atemschutzmaßnahmen zurückzuführen; deshalb brauchen wir ein umfassendes Engagement, um mit diesem von der Menschheit angerichteten Schaden fertig zu werden.“

Der Plan berücksichtigt neue diagnostische Verfahren, patientenzentrierte Modelle in Pflege und Betreuung sowie auf spezifische Bevölkerungsgruppen zugeschnittene Dienste. Er enthält Budgets, Ziel- und Zeitvorgaben und weist sechs strategische Schwerpunkte auf, wie die Zusammenarbeit im Hinblick auf wirksamere Arzneimittel, Impfstoffe und Testverfahren, sowie sieben Handlungsfelder, u. a. eine Verbesserung des Zugangs zu Tests und Therapie. Die Länder werden sich verpflichten, nationale Pläne zur Tuberkulosebekämpfung auszuarbeiten, gezielt Einrichtungen bereitzustellen, mit Hilfe des Internets und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft das Problembewusstsein der Bürger zu schärfen und sektorübergreifend zu arbeiten, z. B. mit Angeboten für Menschen mit HIV.

Die Handlungsfelder des Aktionsplans wurden auf den Globalen Plan „Stopp der Tb“ (2011–2015) und auf die Resolution WHA62.15 der Weltgesundheitsversammlung abgestimmt und verfolgen das gleiche Ziel, nämlich einen allgemeinen Zugang zu Diagnose und Behandlung von MDR- und XDR-Tb zu gewährleisten. Die bis Ende 2015 zu erreichenden Zielvorgaben für die Europäische Region lauten:

  • Senkung des Anteils der MDR-Tb-Fälle an den bereits behandelten Patienten um 20%;
  • Diagnose von mindestens 85% der geschätzten Zahl der Fälle von MDR-Tb; und 
  • erfolgreiche Behandlung von mindestens 75% der als MDR-Tb-Fälle gemeldeten Patienten.

Der Aktionsplan wird Leben retten

Durch die Umsetzung des Konsolidierten Aktionsplans würden ca. 250 000 neue Fälle von MDR-Tb und 13 000 neue Fälle von XDR-Tb verhindert; ferner könnten nach Schätzungen ca. 225 000 MDR-Tb-Patienten diagnostiziert und mindestens 127 000 von ihnen erfolgreich behandelt werden. Dadurch würde wiederum die Übertragung der MDR-Tb unterbrochen, und es könnten 120 000 Menschenleben gerettet und 5 Mrd. US-$ eingespart werden. Diese Zahlen errechnen sich durch Berücksichtigung direkter Einsparungen aufgrund der Vermeidung von Todesfällen im arbeitsfähigen Alter. Durch Vermeidung künftiger Fälle von MDR- und XDR-Tb könnten nochmals Einsparungen in Höhe von 7 Mrd. US-$ erzielt werden. Deshalb würden sich, wenn der Plan nicht durchgeführt würde, die Kosten für die Europäische Region auf 12 Mrd. US-$ belaufen.

Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat zu erkennen gegeben, dass er den Aktionsplan fest unterstützt und auch bereit ist, finanzielle Unterstützung zu leisten, sofern die betroffenen Länder auch ihr eigenes finanzielles Engagement verstärken.

Weitere Auskunft erteilen:

Viv Taylor Gee
Kommunikationsberaterin
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 12 31; + 45 22 71 36 91 (Mobiltel.)
E-Mail: vge@euro.who.int

Hans Kluge
Sonderbeauftragter der Regionaldirektorin für die Prävention
und Bekämpfung der MDR/XDR-Tb in der Europäischen Region der WHO
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 13 96; + 9595154158 (Mobiltel.)
E-Mail: hkl@euro.who.int