Vorschriftsgemäße Anwendung führt zum Tod – Tabakindustrie umgarnt Mädchen mit neuen Tricks

Kopenhagen, 30. Mai 2012

Ein tödlicher Cocktail aus neuen Medien und neuen Märkten gefährdet die öffentliche Gesundheit, wobei kreative Marktstrategien zu einem Anstieg der Zahl rauchender Mädchen und Frauen in der Europäischen Region der WHO führt. Das Vorgehen der Tabakindustrie ist Thema des Weltnichtrauchertages 2012.

In der Europäischen Region sind 22% aller Frauen Raucherinnen, ein im Vergleich zu den 3 bis 5% in Afrika, Asien und Nahost relativ hoher Anteil. Früher war Tabakkonsum vorwiegend Männersache, doch heute ist der Abstand zwischen den Geschlechtern in Ländern wie Dänemark, Irland, Norwegen und Österreich nur noch sehr gering und in anderen Ländern schrumpft er ein. In Schweden und Norwegen gibt es mehr Frauen als Männer, die täglich rauchen. In Bulgarien, Kroatien, Polen und Slowenien rauchen mehr Mädchen als Jungen.

Während andere Teile der Gesellschaft für Gesundheitsbotschaften empfänglich sind, bilden junge Frauen und Mädchen ein für die Tabakindustrie sehr lohnendes Marktsegment, das durch neue Formen der Kommunikation sogar leichter zu erschließen ist.

„Zum Raucher wird man in der Regel schon als Jugendlicher und die Tabakindustrie nutzt die Anfälligkeit junger Mädchen geradezu schamlos aus, indem sie auf deren künftige Abhängigkeit von Zigaretten setzt. Es gibt hier einen echten Zielkonflikt zwischen der Gesundheit der Bevölkerung und dem Profit einer Tabakindustrie, die in niedrigen Raucherquoten nur neue Vermarktungschancen erblickt“, sagt hierzu die WHO-Regionaldirektorin für Europa Zsuzsanna Jakab.

Warum Mädchen?

Mit zunehmender Kaufkraft der Mädchen und Frauen stellt die Tabakbranche Rauchen zusehends als ein Symbol der Befähigung zum selbstbestimmten Handeln, der Emanzipation und des Erfolgs dar.

In der Russischen Föderation nimmt die Zahl rauchender Frauen rapide zu, was den Erfolg der Vermarktungsstrategien belegt. Ein international renommiertes Frauenmagazin brachte zum Beispiel 2009 in seiner russischen Ausgabe eine Anzeigenreihe, in der eine Frau mit Zigarette in der Hand und in Begleitung eines Mannes abgebildet war. Diese Kampagne war eine der Ursachen für einen Anstieg des weiblichen Tabakkonsums um 117%, wobei die beworbene Marke heute die bevorzugte Zigarette russischer Frauen ist. 

In manchen Ländern ist das Bewusstsein über die gesundheitlichen Gefahren durch Rauchen unzureichend und das Suchtrisiko wird unterschätzt. Die Preise sind niedrig, ein Verkauf ist ohne Lizenz überall möglich und irreführende Begriffe wie „leicht“ und „milde“ sind zulässig. Fast 19% der Rumänen glauben, dass „Light“-Zigaretten ungefährlicher sind als gewöhnliche Zigaretten, und fast 18% der Polen denken, dass gewisse Zigarettenmarken weniger schädlich sind als andere.

Neue Formen der Kommunikation

Auch wenn Tabakreklame derzeit in vielen Ländern verboten ist, gibt es noch Schlupflöcher für andere Vermarktungsansätze. Tabakfirmen versuchen durch virale Vermarktung und soziale Vernetzung, selbst über Mobiltelefone, das enorme Potenzial der neuen Medien für den Kontakt mit Kindern und jungen Menschen zu nutzen. Eine Studie aus Frankreich zeigte, dass in drei Viertel aller französischen Filme Raucher vorkommen. In Rumänien ist ein neues Phänomen zu beobachten, das durch die weltweite Befragung der WHO zum Tabakkonsum 2010 bekannt wurde: junge Frauen bieten Rauchern an, bereits angebrochene Schachteln gegen eine ungeöffnete der Marke einzutauschen, für die sie werben.

Zigarettenschachteln und Zigaretten sollen so gestaltet sein („light“, „slim“ bzw. „super-slim“), dass sie das weibliche Segment ansprechen. In der Russischen Föderation wurden ca. 100 speziell auf Frauen zugeschnittene Marken auf den Markt gebracht und mit Glamour und Mode beworben. Schachteln in Lippenstiftform gibt es vielerorts in der Region (vom Vereinigten Königreich über Spanien und Italien zu Polen, Schweden und der Tschechischen Republik).

Die Branche nutzt weiter fast unbegrenzt Förderung durch Sponsoring für Sport und Kunst, freie Probepäckchen, Reklame-Websites und Produktplatzierung in Film und Fernsehen. Viele Länder beschränken Internetwerbung, Verkaufsnetz oder Markenausdehnung (Anwendung einer bekannten Marke auf eine andere Produktgruppe) nicht per Gesetz.

Kein fairer Kampf

Mit ihrer geballten ökonomischen Macht und ihrem Lobby- und Reklameapparat arbeitet die Tabakindustrie aktiv gegen eine Reglementierung, indem sie:

  • die durch Tabak verursachten Schäden trotz erdrückender wissenschaftlicher Beweise weiter anzweifeln,
  • insbesondere im Osten der Region den wirtschaftlichen Nutzen der Branche aufbauschen,
  • durch Strohmänner ihre Aktivitäten verdecken,
  • politische Entscheidungsträger und andere Akteure dazu drängen, Maßnahmen gegen den Tabakkonsum zu blockieren,
  • Wissenschaftler und Forscher sowie Universitäten finanzieren.

Eine im British Medical Journal veröffentlichte Studie wies nach, dass von den 90 Universitäten und 16 medizinischen Fakultäten eines nordamerikanischen Landes 39% Spenden von der Tabakindustrie erhalten hatten und dass 4 der 16 medizinischen Fakultäten Forschungsstipendien bezogen.

Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs – eine Art der Gegenwehr

Das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums ist das erste unter Federführung der WHO ausgehandelte internationale Vertragswerk. Es wurde als Antwort auf die globale Tabakepidemie entwickelt und von 174 Ländern ratifiziert.

„Das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs ist das Mittel der ersten Wahl zur Begrenzung der Aktivitäten der Tabakindustrie und wir werden es weiter entwickeln, um den neuen Vermarktungsmethoden Rechnung zu tragen. Nur das Abkommen kann die Schlupflöcher einer Branche schließen, die von der Vermarktung extrem schädlicher Produkte lebt und deren Strategie eben so giftig ist wie ihr Produkt“, sagt hierzu der Direktor der Abteilung für Nichtübertragbare Krankheiten und Gesundheitsförderung des Regionalbüros Gauden Galea.

Weitere Auskünfte erteilen:

Kristina Mauer-Stender
Programmleiterin (kommissarisch) Tabak, Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 15 01
E-Mail: kma@euro.who.int

Liuba Negru
Öffentlichkeitsarbeit, Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 13 44, +45 20 45 92 74 (Mobiltel.)
E-Mail: LNE@euro.who.int