Europäische Region feiert zehnten Jahrestag ihrer Zertifizierung als poliofrei

Kopenhagen, 21. Juni 2012

Heute begeht die Europäische Region der WHO den zehnten Jahrestag ihrer Zertifizierung als poliofrei. Die Unterbrechung der Übertragung des indigenen Poliowildvirus in den 53 Ländern der Region war ein Meilenstein in der Kampagne zur weltweiten Eradikation der Poliomyelitis und hat auch auf internationaler Ebene die Verwirklichung dieses Ziels beflügelt.

Die Zertifizierung war das Ergebnis jahrelanger intensiver Bemühungen der Mitgliedstaaten, die von einer öffentlich-privaten Koalition aus WHO, Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), Rotary International und United States Centers for Disease Control and Prevention (CDC) unterstützt wurden. Mit ihr stellten die Länder unter Beweis, wie wichtig groß angelegte, international abgestimmte Impfkampagnen und besondere Anstrengungen zugunsten üblicherweise unterversorgter Bevölkerungsgruppen (z. B. Migranten, Nomaden) sind.

Am Tag ihrer Zertifizierung hatte die Europäische Region allen Grund zum Feiern, und heute – ein Jahrzehnt später – gibt es viele Gründe, die anhaltenden Anstrengungen der Region für ihre Aufrechterhaltung zu unterstützen. Dennoch verliefen die vergangenen zehn Jahre nicht problemlos, da sowohl die epidemiologische Überwachung als auch die Impfmaßnahmen nachgelassen haben. Obwohl das Poliovirus aus Endemiegebieten leicht in die Europäische Region gelangen konnte, kam es dank wirksamer Fallerkennungsverfahren und einer hohen Durchimpfung der Bevölkerung bis 2010 zu keinem Ausbruch. 2010 jedoch war die Immunität so weit gesunken, dass eine Einschleppung des Poliowildvirus vom Typ 1 einen großen Polioausbruch in Tadschikistan und drei benachbarten Ländern zur Folge hatte. Dabei wurden 478 Personen gelähmt – darunter auch zahlreiche Erwachsene – und 29 Menschen starben. Die Gefahr weiterer tödlicher Ausbrüche steigt, was die dringende Notwendigkeit einer weltweiten Eradikation der Poliomyelitis verdeutlicht.

„Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine Vielzahl von Erfolgen erzielt, auf die wir stolz sein sollten“, sagte Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Als wir vor Herausforderungen standen, wie bei dem Ausbruch im Jahr 2010, konnten wir mitverfolgen, wie unsere Mitgliedstaaten und internationalen Partner zügig wirksame Gegenmaßnahmen eingeleitet haben. Doch auch wenn dies in eindrucksvoller Weise gezeigt hat, was wir erreichen können, wenn wir gemeinsame Bedrohungen auch gemeinsam angehen, so müssen wir uns doch vor Augen halten, dass wir auf keinen Fall in Selbstzufriedenheit verfallen dürfen. Was wir hier in Europa tun, hat erhebliche Auswirkungen auf die Bekämpfung der Poliomyelitis auf der regionalen und globalen Ebene.“
Nach dem Ausbruch von 2010 lobte die Regionale Zertifizierungskommission für die Eradikation der Poliomyelitis in der Europäischen Region (RCC) die schnelle Reaktion der betroffenen Länder zur Unterbindung der Ausbreitung der Krankheit. Im August 2011 bestätigte sie, dass die Europäische Region ihre Zertifizierung als poliofrei behalten wird. Auf ihrer 26. Tagung in dieser Woche in Kopenhagen bestätigte die RCC erneut den Status der Region als poliofrei.

David Salisbury, der Vorsitzende der RCC, warnte allerdings: „Die Gefahr einer Einschleppung des Poliovirus und dadurch ausgelöster Krankheitsausbrüche ist auch weiterhin durchaus real. Die Europäische Region darf in ihrem Handeln und in ihrem politischen Engagement zur Erhaltung der Zertifizierung als poliofrei nicht nachlassen. Ich bin zuversichtlich, dass die Kommission bei anhaltendem Engagement der Länder und Partnerorganisationen über ausreichend Indizien verfügen wird, um die Europäische Region auch weiterhin für poliofrei erklären zu können, bis das große Ziel einer weltweiten Eradikation der Poliomyelitis erreicht ist.“

Die Verbreitung der Kinderlähmung ist so gering wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen: weniger Fälle in weniger Gebieten in weniger Ländern. So ist das Poliovirus heute nur noch in einigen Gebieten von nur drei Ländern endemisch, nachdem Indien seit nunmehr über einem Jahr offiziell poliofrei ist. Doch bis zur weltweiten Eradikation der Krankheit sind alle als poliofrei zertifizierten Regionen, also auch die Europäische Region, weiter von einer Einschleppung bedroht. Gelingt die Eradikation nicht, so drohen nach einer mathematischen Modellierung innerhalb von zehn Jahren weltweit bis zu 200 000 neue Fälle pro Jahr. Voraussetzung für eine vollständige Beherrschung dieses Risikos sind eine schnelle Fallerkennung und eine hohe Durchimpfung in den Ländern der Europäischen Region, aber auch Maßnahmen zur Unterstützung der verbleibenden Endemieländer bei der Unterbrechung der Übertragung. Wie hoch die internationale Gemeinschaft diese Gefahr einschätzt, verdeutlicht die Tatsache, dass die Weltgesundheitsversammlung im Mai in der Resolution WHA65.5 die vollständige Eradikation des Poliovirus zu einer programmatischen Notlage für die öffentliche Gesundheit weltweit erklärt hat.

Für einen Erfolg von entscheidender Bedeutung ist die Überwindung einer gefährlichen Finanzierungslücke in Höhe von 945 Mio. US-$. Das Fehlen der dringend erforderlichen Mittel hat bereits dazu geführt, dass in diesem Jahr in 24 stark gefährdeten Ländern Impfmaßnahmen gestrichen oder im Umfang reduziert werden mussten, sodass für viele Kinder mittlerweile ein höheres Risiko besteht. Ein unabhängiges Überwachungsgremium hat vor kurzem die prekäre finanzielle Situation als größte Bedrohung für die Eradikation identifiziert.

„Vor nicht einmal 24 Monaten sind die Länder der Europäischen Region gemeinsam einem verheerenden Ausbruch an den östlichen Grenzen der Region entgegengetreten“, sagte Bruce Aylward, Beigeordneter Generalsekretär beim WHO-Hauptbüro für Poliomyelitis, Notfallmanagement und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. „Heute gibt es weniger Poliofälle an weniger Orten in der Welt als je zuvor, doch die Europäische Region bleibt weiterhin von derartigen Ausbrüchen bedroht, wenn sie nicht in den Notfallplan zur Eradikation des Poliovirus in seinen letzten Schlupfwinkeln investiert. Die Großzügigkeit der Menschen und Regierungen in Europa ist der Schlüssel zu einem dauerhaften Schutz künftiger Generationen von Kindern.

Hinweise an Redakteure

  • An der Spitze der Weltweiten Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung steht eine Koalition aus nationalen Regierungen, WHO, Rotary International, CDC und UNICEF, die von einer Reihe gewichtiger Partner, namentlich der Bill & Melinda Gates Foundation, unterstützt wird.
  • Seit Gründung der Initiative im Jahr 1988 ist die Zahl der Neuerkrankungen um mehr als 99% zurückgegangen. Damals lag die Zahl der Fälle von Kinderlähmung in den über 125 endemischen Ländern bei über 350 000 Kindern pro Jahr. Dagegen wurden 2012 bisher nur 73 Fälle gemeldet (Stand: 14. Juni), und Polio ist nur noch in drei Ländern endemisch: Afghanistan, Nigeria und Pakistan.
  • Im Jahr 2002 zertifizierte die RCC auf einer historischen Zeremonie in Kopenhagen die Unterbrechung der Übertragung des Poliowildvirus in der Europäischen Region.

Weitere Auskünfte erteilen:

Chelsea Hedquist
Durch Impfung vermeidbare Krankheiten und Immunisierung, WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 3917 1497
E-Mail: che@euro.who.int

Robb Butler
Fachreferent, Verhaltensänderungen/Gesundheitsförderung, Durch Impfung vermeidbare Krankheiten und Immunisierung, WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 21316128
E-Mail: rbu@euro.who.int