Eliminierung der Tuberkulose gefährdet, wenn Europa nicht dringend gefährdete, arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen und Migranten versorgt

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Gemeinsame Presseerklärung des WHO-Regionalbüros für Europa und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC)

Kopenhagen und Stockholm, 17. März 2016

Aus neuen Daten, die vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und vom WHO-Regionalbüro für Europa zum bevorstehenden Welt-Tuberkulose-Tag veröffentlicht wurden, geht hervor, dass 2014 geschätzte 340 000 Menschen in der Europäischen Region an Tuberkulose litten, was einer Quote von 37 Fällen je 100 000 EW entspricht.

Da die Zahl der neuen Tuberkulosefälle zwischen 2010 und 2014 um durchschnittlich jährlich 4,3% sank, hat die Europäische Region der WHO das für 2015 gesteckte Ziel einer Trendumkehr hinsichtlich der Inzidenz der Tuberkulose erreicht. Dennoch stehen die hohen Raten einer multiresistenten Tuberkulose (MDR-Tb) und die Tuberkulosefälle in besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie Obdachlosen, Drogenkonsumenten, Trinkern und Migranten aus Ländern mit hohen Fallzahlen von Tuberkulose weiterhin einer Eliminierung der Tuberkulose entgegen.

„2014 entfiel ein Viertel der weltweit 480 000 an MDR-Tb Erkrankten auf die Europäische Region. Diese besorgniserregend hohe Zahl stellt eine große Herausforderung für die Bekämpfung der Tuberkulose dar", erklärt Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, darunter einkommensschwache und marginalisierte Gruppen wie Migranten und Flüchtlinge, tragen ein größeres Risiko in Bezug auf MDR-Tb. Aufgrund ihrer Lebensumstände erhalten sie oft erst spät eine Diagnose und haben es auch schwerer, eine Behandlung ordnungsgemäß abzuschließen. Wenn wir wirklich die Tuberkulose in Europa eliminieren wollen, darf keiner auf der Strecke bleiben. Dies entspricht der Zielsetzung des Rahmenkonzepts Gesundheit 2020 und den global geltenden Zielen für nachhaltige Entwicklung."

„Manche soziale Lebensbedingungen oder -gewohnheiten machen es den Menschen schwerer, die Symptome der Tuberkulose zu erkennen, sich untersuchen und behandeln zu lassen oder regelmäßige Arzttermine wahrzunehmen. Wir müssen passgerechte Interventionen für diese gefährdeten Gruppen finden, was durch mobile Teams oder direkt überwachte Therapie geschehen kann", erklärt die Geschäftsführende Direktorin des ECDC, Dr. Andrea Ammon. „In den Ländern der EU und des EWR geht die Zahl der Tuberkulosefälle nur langsam zurück – um ca. 5% pro Jahr, und wenn die Tuberkulose bei den besonders gefährdeten Gruppen nicht erfolgreich bekämpft wird, wird eine Eliminierung in dem vorgesehenen Zeitrahmen nicht möglich sein. Deshalb veröffentlicht das ECDC heute wissenschaftliche Empfehlungen, um die Länder dabei zu unterstützen, einkommensschwache und marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die für Tuberkulose besonders anfällig sind." 

Kein systematischer Zusammenhang zwischen Migration und Übertragung von Tuberkulose

Die Gefahr, dass Migranten und Flüchtlinge von Tuberkulose infiziert sind oder aktive Tuberkulose entwickeln, ist von mehreren Einflussfaktoren abhängig, namentlich der Tuberkuloserate im jeweiligen Herkunftsland. In einigen der Herkunftsländer ist der Anteil der Neuerkrankungen an Tuberkulose geringer als im Durchschnitt der Europäischen Region. In der Arabischen Republik Syrien etwa liegt die Rate der Neuerkrankungen an Tuberkulose bei 17 je 100 000 EW – dies entspricht weniger als der Hälfte des Durchschnitts für die Europäische Region (37) und liegt nicht viel über dem Durchschnitt für die Staaten der EU und des EWR (12). Da die Tuberkulose außerdem nicht leicht übertragbar ist und es nur zu begrenzten Kontakten kommt, besteht nur ein geringes Risiko, dass die Migranten die Krankheit auf die ortsansässige Bevölkerung übertragen. 

Eine allgemeine Gesundheitsversorgung sollte nicht nur für die ortsansässige Bevölkerung, sondern auch für alle Flüchtlinge und Migranten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus sichergestellt werden. Europa ist die einzige unter den WHO-Regionen, die über ein Konsensdokument über ein Mindestpaket an Tuberkulosebekämpfungsmaßnahmen und Versorgungsleistungen an Grenzübergängen verfügt. Dazu gehören die Gewährleistung eines Zugangs zur Gesundheitsversorgung unabhängig vom Registrierungsstatus eines Migranten und eine Unterlassung von Deportationen bis zum Abschluss einer intensiven Tuberkulosetherapie.

Die WHO empfiehlt gezielte Reihenuntersuchungen für die am stärksten gefährdeten Gruppen. Unter den Flüchtlingen und Migranten sind jene am stärksten gefährdet, die aus Ländern mit einer hohen Zahl von Neuerkrankungen an Tuberkulose stammen oder die unter prekären Umständen leben oder reisen und möglicherweise einer Infektion mit Tuberkulose ausgesetzt waren. Die vor kurzem veröffentlichte Publikation Systematische Reihenuntersuchungen auf aktive Tuberkulose: ein operativer Ratgeber bietet Orientierungshilfe in Bezug auf eine zielgruppengerechte Gestaltung von Reihenuntersuchungen auf Tuberkulose, um Fälle einer aktiven Erkrankung nachweisen und sofort behandeln zu können und so eine etwaige Übertragung unter Flüchtlingen und ihren engen Kontaktpersonen zu unterbrechen. Die Ergebnisse der Untersuchungen dürfen nie als Grund dafür dienen, einem Flüchtling oder Migranten die Einreise zu verweigern.