Neuer Bericht des WHO-Regionalbüros für Europa fordert sofortige Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor der digitalen Vermarktung von Lebensmitteln

Weitere Auskünfte erteilen:

Tina Kiaer
Kommunikationsreferentin
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
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João Breda
Leiter des Programms für Ernährung, Adipositasprävention und Bewegung
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Mobiltel.: Tel.: + 45 30 50 80 22 (portable)
E-Mail: rodriguesdasilvabred@who.int

Kopenhagen, 4. November 2016

Wissenschaftler und Gesundheitsexperten haben erstmals in einer umfassenden Analyse die besorgniserregenden Ausmaße der digitalen Vermarktung von Lebensmitteln mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt an Kinder in der Europäischen Region der WHO untersucht. Ihre Ergebnisse werden in einem neuen Bericht des WHO-Regionalbüros für Europa mit dem Titel Regulierung der Lebensmittelwerbung für Kinder in einer digitalen Welt: eine fachübergreifende Betrachtung veröffentlicht, in dem ein sofortiges Handeln der Politik und eine Erkennung und Bekämpfung der wachsenden Problematik der auf Kinder abzielenden Werbung in den digitalen Medien gefordert werden.

„Die Regierungen unserer Länder haben der Prävention der Adipositas im Kindesalter oberste politische Priorität eingeräumt. Trotzdem müssen wir ständig feststellen, dass unsere Kinder – die anfälligste Gruppe in unserer Gesellschaft – einer unendlichen Vielzahl von versteckten digitalen Methoden zur Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt ausgesetzt sind“, erklärt Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Die Eltern sind sich oft der schädlichen Wirkung digitaler Werbung nicht bewusst oder unterschätzen sie, doch dieser Bericht verdeutlicht die Folgen für unsere Kinder. Nun ist die Politik in der Pflicht, diese neue Bedrohung durch digitale Lebensmittelwerbung für Kinder zu erkennen und zügig darauf zu reagieren.“

In Ermangelung einer wirksamen Regulierung der digitalen Medien in vielen Ländern sind die Kinder in zunehmendem Maße stark suggestiven und individuell zugeschnittenen Werbepraktiken ausgesetzt, etwa in den sozialen Medien und in sog. „Advergames“. Dieser Trend hält an, obwohl es nahezu in allen Teilen der Europäischen Region dauerhaft hohe Raten an Adipositas im Kindesalter gibt.

Ausgeklügelte Werbepraktiken zielen speziell auf Kinder ab

Lebensmittelwerbung wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Beitrag zu einem „adipogenen Umfeld“ erkannt, in dem massiv für Lebensmittel mit einem hohen Fett-, Zucker- und Salzgehalt geworben wird und in dem diese besser sichtbar und oft billiger und leichter erhältlich sind als gesündere Ernährung. Es gibt übereinstimmende Belege dafür, dass Lebensmittelwerbung die Präferenzen und Wünsche von Kindern in Bezug auf Lebensmittel beeinflusst, ihre Ernährungsgewohnheiten prägt und ihr Risiko einer Erkrankung an Adipositas erhöht.

Digitale Vermarktung bietet der Werbebranche insofern ein Schlupfloch, als es bisher nur wenig oder keine wirksame Regulierung und kaum Kontrollen gibt. Darüber hinaus lässt sich Online-Werbung auf spezielle Zielgruppen zuschneiden und ist damit potenziell wesentlich wirksamer als andere Formen von Werbung, da sie speziell für Kinder und ihre sozialen Netzwerke konzipiert ist. Häufig sehen Eltern nicht dieselben Werbespots und gehen nicht denselben Online-Aktivitäten nach wie ihre Kinder – und unterschätzen daher oft das Ausmaß des Problems.

Digitale Plattformen können mit ausgeklügelten Verfahren umfassende persönliche Daten von Internet-Nutzern sammeln, um eine verhaltensbezogene Werbung zu ermöglichen, bei der bestimmte Zielgruppen genau ins Visier genommen werden können. Beispiele:

  • Geolokationsdaten von mobilen Geräten ermöglichen es der Werbeindustrie, Werbung und Sonderangebote in Echtzeit zu schalten, wenn sich die Nutzer in einem Bereich aufhalten, in dem bestimmte Produkte zum Verkauf angeboten werden, um sie zum „Hingehen und Kaufen“ zu ermutigen.
  • Manche Fast-Food-Ketten schließen sich mit Gaming-Unternehmen zusammen, etwa um die Restaurants der Kette zu einem zentralen Schauplatz von Videospielen zu machen.
  • Digitale Werbung kann auf zahlreichen Plattformen stattfinden, etwa durch Advergames, soziale Medien und Animationen, oder durch starke gleichaltrige Einflusspersonen wie Video-Blogger oder „Vlogger“.

Durch digitales Marketing werden Kindern oft emotionale und unterhaltsame Erfahrungen vermittelt, die sie dann mit ihren Freunden teilen sollen – ein fragwürdiges Konzept, wenn es zur Werbung für ungesunde Lebensmittel missbraucht wird.

Schritte zu einer wirksamen Politik

Da eine wirksame Regulierung der digitalen Werbung nach wie vor fehlt, sind die Bemühungen von Politikern gefährdet, der sich ausbreitenden Epidemie der Adipositas unter Kindern Einhalt zu gebieten. „Über 60% der Kinder, die vor Beginn der Pubertät übergewichtig sind, werden auch im frühen Erwachsenenalter übergewichtig sein, und in der Europäischen Region leiden schon geschätzt 25% der Kinder im schulpflichtigen Alter an Übergewicht oder Adipositas. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft, denn wir wissen, dass Übergewicht und Adipositas entscheidend zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes beitragen“, erklärt Dr. Gauden Galea, Direktor der Abteilung Nichtübertragbare Krankheiten und Gesundheitsförderung im gesamten Lebensverlauf beim WHO-Regionalbüro für Europa. „Wenn man es der Werbebranche und der Lebensmittelindustrie erlaubt, auf unzureichend regulierten digitalen Plattformen Produkte mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt an Kinder zu vermarkten, dann kann dies enorme gesundheitliche und ökonomische Folgen haben.“

Eine zentrale Handlungsempfehlung der WHO lautet, dafür zu sorgen, dass Kinder künftig allen Formen von Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt, auch über die digitalen Medien, weniger ausgesetzt sind. Dazu muss ein Gleichgewicht gefunden werden, bei dem die eindeutigen Vorteile einer Teilnahme an Online-Aktivitäten mit einem wirksamen Schutz vor Gesundheitsschäden, Verletzung der Privatsphäre und wirtschaftlicher Ausbeutung verbunden werden. Das WHO-Regionalbüro für Europa ermutigt die Regierungen der Länder der Region, sich ihrer Verpflichtung zum Schutz der Kinder im Internet zu stellen, indem sie gesetzliche Regulierungsmaßnahmen einführen, die den Schutz, den Kinder anderswo genießen, auch auf das Internet ausdehnen und die geschützte Altersgruppe sowie die betreffenden Arten von Werbung klar definieren.