Besorgniserregend hohe Zahl von HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region trotz Fortschritten in EU- und EWR-Staaten

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Kopenhagen und Stockholm, 28. November 2018

Mit fast 160 000 neu diagnostizierten HIV-Fällen war 2017 ein weiteres Jahr mit besorgniserregend hohen Zahlen von HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region der WHO. Erfreulicherweise verläuft der Anstieg insgesamt nicht mehr so steil wie zuvor.

Doch im östlichen Teil der Europäischen Region wurde mit über 130 000 HIV-Neudiagnosen ein neuer Negativrekord verzeichnet. Dagegen meldeten die Länder der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) einen Rückgang der Neudiagnosen, der primär auf eine Abnahme um 20% unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten seit 2015 bedingt ist.

Zum 30. Jahrestag der ersten Begehung des Welt-Aids-Tages veröffentlichen das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und das WHO-Regionalbüro für Europa die neuesten Daten über die HIV-Epidemie in der Europäischen Region.

„Nach einem weiteren Jahr mit unannehmbar hohen Zahlen von HIV-Infektionen fällt es nicht leicht, von guten Nachrichten zu sprechen. Denn auch wenn die Anstrengungen zur Prävention von HIV-Neuinfektionen allmählich erste Fortschritte bringen, so sind wir doch nicht auf Kurs, um die Zielvorgaben der 90–90–90-Strategie bis zur gesetzten Frist im Jahr 2020 zu erreichen. Deshalb mein direkter Appell an die zuständigen Regierungen, Gesundheitsminister und anderen politischen Entscheidungsträger: Verstärken Sie jetzt Ihre Gegenmaßnahmen“, sagt Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Um die mit HIV lebenden Menschen zu unterstützen und die besonders infektionsgefährdeten Gruppen zu schützen, müssen wir die Gegenmaßnahmen beschleunigen, indem wir maßgeschneiderte Interventionen einsetzen. Das bedeutet: Wenn wir die Aids-Epidemie wie versprochen beenden wollen, müssen wir vor allem in den Risikogruppen mit Umsicht in Präventions-, Test- und Therapieangebote investieren.“

Vytenis Andriukaitis, Europäischer Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, erklärt: „Trotz unserer Anstrengungen richtet HIV immer noch Schaden im Leben so vieler Menschen an – nicht nur aufgrund von Krankheit und Leiden, sondern auch durch die damit verbundene Diskriminierung und Stigmatisierung. Zwar sind schon erhebliche Fortschritte erzielt worden, doch gibt es immer noch großen Handlungsbedarf. Wir müssen das Potenzial unserer gemeinsamen anhaltenden Maßnahmen und unserer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen voll ausschöpfen, wenn wir in Europa und weltweit die Vorgabe aus den Zielen für nachhaltige Entwicklung in Bezug auf die Eliminierung von HIV bis 2030 erfüllen wollen. Wir müssen das mit HIV-Infektionen und ihrer Behandlung verbundene Stigma überwinden und weiterhin hartnäckig an der Widerlegung von Falschinformationen über die Ausbreitung von HIV und Aids arbeiten. Es ist wichtig, dass unsere öffentlichen Gesundheitsdienste einen problemlosen und bezahlbaren Zugang zu Tests und zur medizinischen Versorgung für besondere Risikogruppen ermöglichen.“

„Es ist ein wichtiges Signal für die Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV, dass wir in den EU- und EWR-Staaten einen Rückgang der Neudiagnosen verzeichnen. Besonders wichtig ist hier die Abnahme unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten. Denn dies war die einzige Bevölkerungsgruppe in den EU- und EWR-Staaten, die in den vergangenen zehn Jahren eine stetige Zunahme der gemeldeten HIV-Fälle verzeichnete“, betont ECDC-Direktorin Andrea Ammon. „Für den Rückgang in den EU- und EWR-Staaten kann es mehrere Gründe geben. Dazu gehören erfolgreiche Programme mit häufigeren und gezielteren HIV-Testangeboten, die eine frühzeitigere Diagnose ermöglichen sollen. Dies erlaubt eine schnelle Verknüpfung mit der Gesundheitsversorgung und eine unverzügliche Einleitung der antiretroviralen Therapie für positiv Getestete und schafft eine breitere Akzeptanz für evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen wie die Präexpositionsprophylaxe. Der Rückgang verdeutlicht auch, dass ein verstärkter Fokus auf die Einbeziehung gefährdeter Bevölkerungsgruppen in die Bekämpfung von HIV, wie in den neuen Leitlinien des ECDC erläutert, Wirkung zeigt.“

Wichtigste Resultate

  • Insgesamt hielt die Zunahme der HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region an, wobei sie sich jedoch gegenüber früheren Jahren verlangsamte. Ein Grund für die anhaltende HIV-Epidemie ist die weiterhin problematische verspätete Diagnose in allen Teilen der Europäischen Region. Jede zweite mit HIV diagnostizierte Person hat bereits ein fortgeschrittenes Stadium der Infektion erreicht.
  • Mit über 130 000 HIV-Neudiagnosen im Jahr 2017 verzeichnete der östliche Teil der Europäischen Region im Zeitraum 2008–2017 einen Anstieg um 68%; im Zeitraum 2007–2016 waren es noch 95% gewesen. Im mittleren Teil der Europäischen Region betrug der Anstieg 121% gegenüber zuvor 142%.
  • Von den HIV-Neudiagnosen im östlichen Teil der Europäischen Region gehen 59% auf eine heterosexuelle Übertragung zurück. Die Daten müssen sorgfältig geprüft werden, da sie von dem von den Betroffenen angegebenen Übertragungsweg abhängen.
  • In der gesamten Europäischen Region sind Männer unverhältnismäßig häufig von HIV betroffen: 70% der HIV-Neudiagnosen entfallen auf Männer.
  • 2017 wurden in 30 der 31 EU- und EWR-Staaten mehr als 25 000 Menschen mit HIV diagnostiziert. Dies entspricht einem Rückgang von einer Rate von 6,9 Fällen je 100 000 Einwohner (2008) auf 6,2 Fälle im Jahr 2017.
  • Der Rückgang in den EU- und EWR-Ländern war primär auf eine Abnahme der Neudiagnosen um 20% unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten zwischen 2015 und 2017 zurückzuführen; dieser Übertragungsweg ist in diesem Teil der Europäischen Region weiterhin der häufigste (38% der Fälle im Jahr 2017). Bei Personen aus Ländern mit einer generalisierten HIV-Epidemie gab es auch einen Rückgang der auf heterosexuelle Übertragung zurückgeführten Diagnosen.
  • Trotz dieser messbaren Fortschritte beim Rückgang der Zahl der HIV-Neudiagnosen zeigen die Gesamtraten in etwa einem Drittel der EU- und EWR-Staaten weiterhin ansteigende Tendenz.
  • Die Zahl der Aids-Fälle war in der Europäischen Region insgesamt weiter rückläufig. Im östlichen Teil stabilisiert sich die Situation allmählich, und die Zahlen der Aids-Fälle gingen zwischen 2012 und 2017 um 7% zurück. In den EU- und EWR-Staaten erfolgten 2017 rund neun Zehntel (89%) aller Aids-Diagnosen innerhalb von nur 90 Tagen nach der HIV-Diagnose, was darauf hindeutet, dass die Mehrzahl der Aids-Fälle in diesen Ländern bei einer frühzeitigen Diagnose hätten vermieden werden können.

Weil es besser ist, Bescheid zu wissen: Verbesserung der HIV-Tests

In der gesamten Europäischen Region ist es nach wie vor eine Herausforderung für die Gesundheitspolitik, die in Bezug auf eine HIV-Infektion besonders Gefährdeten zu erreichen und zu untersuchen. Um HIV frühzeitig diagnostizieren, bestehende Übertragungsketten unterbrechen und weitere Infektionen verhindern zu können, müssen die Länder der Europäischen Region enger mit den anfälligen Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten.

Die neuen Leitlinien des ECDC über integrierte Tests für HIV und Virushepatitis liefern den Ländern die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie für die Entwicklung, Umsetzung, Verbesserung, Überwachung und Evaluation nationaler oder lokaler Testleitlinien und -programme für HIV und Virushepatitis benötigen. Solche Programme sollten erheblich zu der in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) vorgesehenen Eliminierung von Virushepatitis und HIV als Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit bis 2030 beitragen.

Neubelebung des Engagements der Politik: die entscheidenden Züge

Die Dynamik für eine Neubelebung des Engagements der Politik zur Beendigung von Aids bis 2030 war in der Europäischen Region noch nie so stark wie heute.

An dem von der WHO in Zusammenarbeit mit der niederländischen Regierung und dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) organisierten Grundsatzdialog auf Ministerebene zum Thema HIV, der im Juli 2018 in Amsterdam stattfand, nahmen elf Gesundheitsminister bzw. ihre Stellvertreter teil – mehr als je zuvor bei einer vergleichbaren Tagung. Die Teilnehmer brachten die feste Entschlossenheit ihrer Regierungen zum Ausdruck, die Bemühungen zur Umsetzung des Aktionsplans für Maßnahmen des Gesundheitswesens gegen HIV in der Europäischen Region der WHO und zur Erfüllung der Zielvorgaben der 90–90–90-Strategie zu intensivieren. Deshalb werden inzwischen länderspezifische Fahrpläne erstellt, um politische Entscheidungsträger, Partnerorganisationen, Finanzierungsträger und umsetzende Stellen zu verstärkten Anstrengungen für gemeinsame Ziele zusammenzuführen.

Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Beendigung von Aids in jüngster Zeit war das Gemeinsame Positionspapier der Vereinten Nationen zur Beendigung von HIV, Tuberkulose und Virushepatitis durch ressortübergreifende Zusammenarbeit, das auf der 73. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 27. September 2018 angenommen wurde. Zum ersten Mal haben sich 14 Organisationen der Vereinten Nationen zusammengeschlossen, um die Epidemien der tödlichsten übertragbaren Krankheiten in der Europäischen Region zu beenden. Das von der WHO koordinierte Gemeinsame Positionspapier ist ein beispielloser Schritt, mit dem die Vereinten Nationen ihre Anstrengungen bis 2030 forcieren wollen, wie im SDG 3 gefordert.