Langsames Impftempo verlängert Pandemie

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Kopenhagen, 31. März 2021

Während sich besorgniserregende Varianten weiter ausbreiten und die Belastung für die Krankenhäuser wächst, steigt aufgrund der Feiertage die Reisetätigkeit. Nun kommt es entscheidend auf eine Erhöhung des Impftempos an, da in der Europäischen Region der WHO alle Altersgruppen mit einer Ausnahme einen Anstieg der Fallzahlen verzeichnen.

Vergangene Woche wurde in einer Mehrheit der Länder der Europäischen Region eine Zunahme der Übertragung von COVID-19 registriert: insgesamt waren es 1,6 Mio. neue Fälle und knapp 24 000 Todesfälle. Europa ist weiterhin die am zweitstärksten von SARS-CoV-2 betroffene Region weltweit: Die Gesamtzahl der Todesfälle nähert sich rasch der Eine-Million-Marke, und die Gesamtzahl der Fälle wird bald über 45 Mio. liegen.

„Vor nur fünf Wochen war die Zahl der wöchentlichen neuen Fälle in der Europäischen Region auf unter eine Million abgesunken, doch inzwischen ist die Situation unserer Region so besorgniserregend wie schon Monate nicht mehr. Die erhöhte Reisetätigkeit und die vermehrten Zusammenkünfte während der Feiertage sind mit Risiken verbunden. Viele Länder führen neue notwendige Maßnahmen ein, und alle Bürger sollten sich nach besten Kräften daran halten“, erklärte Dr. Dorit Nitzan, Direktorin für gesundheitliche Notlagen in der Europäischen Region der WHO.

Regionsweit haben bisher 50 Länder oder Gebiete die besorgniserregende Variante B.1.1.7 gemeldet, die zuerst im Vereinigten Königreich entdeckt wurde und inzwischen zur vorherrschenden Variante in der Europäischen Region geworden ist. Da diese Variante leichter übertragbar ist und die Gefahr einer Krankenhauseinweisung erhöhen kann, hat sie stärkere Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, sodass zu ihrer Bekämpfung zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

Frühe Wirkung der Impfung

In der Europäischen Region steigen die Fallzahlen in allen Altersgruppen mit Ausnahme der über 80-Jährigen. Nur in dieser anfälligsten Bevölkerungsgruppe erleben wir einen stetigen Rückgang der Fallzahlen und einen rückläufigen Anteil der durch COVID-19 bedingten Todesfälle seit Anfang 2021 – erste Anzeichen für einen Effekt der Impfung.

Neue Daten von Public Health England deuten darauf hin, dass die Impfung gegen COVID-19 seit Beginn der Impfkampagnen im Dezember 2020 mindestens 6000 Menschenleben in der Altersgruppe über 70 Jahre gerettet haben. Ebenso zeigen Daten aus Israel, dass der Impfstoff von Pfizer–BioNTech nach Verabreichung der zweiten Dosis eine Wirksamkeit von 90% bei der Verhinderung von Infektionen, schweren Krankheitsverläufen und Krankenhauseinweisungen besitzt.

„Impfstoffe sind unser sicherster Weg aus dieser Pandemie. Sie funktionieren nicht nur, sondern sind auch in hohem Maße wirksam bei der Verhinderung von Infektionen. Doch das Tempo der Impfungen ist unannehmbar langsam. Und solange die Durchimpfung niedrig ist, müssen wir uns an dieselben gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen halten wie zuvor, um die Verzögerungen zu kompensieren. Ich will es ganz klar sagen: Wir müssen den Prozess beschleunigen: durch Forcierung der Herstellung, Abbau von Barrieren für die Impfungen und die Verimpfung jeder einzelnen Ampulle“, sagte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

Falsches Sicherheitsgefühl

Bisher haben nur 10% der Gesamtbevölkerung der Europäischen Region eine Dosis Impfstoff erhalten, und 4% sind vollständig geimpft.

„Das Risiko, dass die laufende Impfung den Behörden und der Öffentlichkeit ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelt, ist beträchtlich – und mit einer erheblichen Gefahr verbunden“, erläuterte Dr. Kluge.

Die Impfungen gegen COVID-19 sind in jedem Land mit hohem Volkseinkommen in der Europäischen Region im Gange, aber nur in 80% der Länder mit höherem mittlerem und in 60% der Länder mit niedrigem oder niedrigerem mittlerem Volkseinkommen. Bisher haben zehn Volkswirtschaften mit mittlerem Einkommen in der Europäischen Region Dosen von der COVAX-Fazilität erhalten.

„In den vergangenen Wochen haben wir eine bemerkenswerte grenzüberschreitende Solidarität in unserer Region erlebt, aber auch Länder, die Impfstoffe horten. Die Impfung von Gesundheitspersonal und älteren Menschen ist für alle Länder eine moralische Verpflichtung. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen in den Genuss dieses globalen öffentlichen Gutes kommen. Auch wenn ich den Wunsch von Regierungen anerkenne, ihre eigene Bevölkerung zu schützen, bevor die Impfstoffe an andere Altersgruppen weitergegeben werden, so appelliere ich doch dringend an die Regierungen, überschüssige Dosen der von der WHO zugelassenen Impfstoffe der COVAX-Fazilität oder bedürftigen Ländern zur Verfügung zu stellen, sobald das Gesundheitspersonal und die anfälligsten Bevölkerungsgruppen geimpft sind. Alles andere wäre kontraproduktiv“, sagte der Regionaldirektor.

Eindämmung der Ausbreitung

Da die höchsten Zahlen neuer COVID-19-Fälle in noch nicht geimpften Bevölkerungsgruppen auftreten, ruft die WHO im Zuge der steigenden Durchimpfung weiter zu frühzeitigem Handeln zur Umsetzung gesundheitlicher und sozialer Maßnahmen auf der Grundlage epidemiologischer und anderer Daten aus den Gesundheitssystemen auf.

Derzeit befinden sich insgesamt 27 Länder in der Europäischen Region in einem partiellen oder landesweiten Lockdown, in 21 wurden sogar nächtliche Ausgangssperren verhängt. In den vergangenen beiden Wochen haben 23 Länder ihre Beschränkungen verschärft, während 13 sie gelockert haben und weitere 9 diesem Beispiel folgen wollen.

Auch wenn sog. Lockdowns durch frühzeitige und gezielte gesundheitliche Interventionen vermieden werden sollten, so müssen sie doch zum Einsatz kommen, wenn die Krankheit eine ausreichende Versorgung der Patienten durch das Gesundheitswesen unmöglich macht und um die Bereitschaft der öffentlichen Gesundheitsdienste auf kommunaler und nationaler Ebene zu erhöhen.
„Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer besorgniserregender Varianten erhöht sich mit der Rate, mit der das Virus sich vermehrt und ausbreitet; deshalb ist eine Reduzierung der Übertragung durch grundlegende Maßnahmen der Krankheitsbekämpfung unverzichtbar. Heute haben wir verglichen mit vor einem Jahr bessere Test- und Kontaktverfolgungssysteme und einen schnelleren Informationsaustausch, und wir wissen viel mehr über die Versorgung von schwer erkrankten Patienten“, sagte Dr. Nitzan.

Die Ausweitung von Tests sowie Isolation, Kontaktverfolgung, Quarantäne und genetische Sequenzierung sind die grundlegenden gesundheitlichen Instrumente, die es anzuwenden und kontinuierlich zu verbessern gilt.

Der Gefahr bewusst

Impfungen werden in Verbindung mit kontinuierlichen gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen schließlich eine Beendigung der Pandemie ermöglichen. Doch dazu müssen Herstellung und Verabreichung von Impfstoffen beschleunigt und die geltenden gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen weiter eingehalten werden.

„Die größte Determinante dafür, wie viele Menschen sich in den nächsten Wochen infizieren und wie viele sterben werden, ist, was Sie als Einzelperson tun oder nicht tun. Wir haben immer wieder festgestellt: es ist möglich, die Ausbreitung des Virus aufzuhalten. Meine Botschaft an die Regierungen in unserer Region lautet deshalb: Jetzt ist nicht die Zeit, die ergriffenen Maßnahmen zu lockern. Wir können es uns nicht leisten, die Gefahr zu ignorieren. Wir alle haben Opfer gebracht, aber wir dürfen es nicht zulassen, dass die Erschöpfung uns überwältigt. Wir müssen immer weiter daran arbeiten, das Virus einzudämmen“, lautete Dr. Kluges Fazit.