Gemeinsame Pressemitteilung von WHO-Regionalbüro für Europa und ECDC: Die Eliminierung der Tuberkulose ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen Arzneimittelresistenzen

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Kopenhagen/Stockholm, 22. März 2021

Die Tuberkuloselast in der Europäischen Region der WHO geht insgesamt zurück und ist im Zeitraum 2015–2019 um insgesamt 19% gesunken, heißt es in dem jüngsten Bericht der WHO und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten Tuberkulose-Surveillance und -Kontrolle in der Europäischen Region 2021 (Daten von 2019).

Auch die regionsweite tuberkulosebedingte Sterblichkeit ist zurückgegangen und zwischen 2018 und 2019 um 9,4% gesunken. Dieser Anteil ist deutlich höher als der durchschnittliche globale Rückgang der tuberkulosebedingten Sterblichkeit (3,7%) und reicht aus, um die in der Endspielstrategie für Tuberkulose für 2020 gesetzte Zielvorgabe einer Senkung um 35% gegenüber 2015 zu erreichen.

Die Tuberkulose liegt jedoch in der Rangliste der Infektionskrankheiten, die zum Tode führen können, gleich an zweiter Stelle hinter COVID-19, und Arzneimittelresistenz gibt Anlass zu großer Sorge. Zudem gibt es besorgniserregende Anzeichen dafür, dass aufgrund der COVID-19-Pandemie Fortschritte ins Stocken geraten könnten oder die Pandemie deutliche Rückschläge im Kampf gegen die Tuberkulose verursachen könnte.

Die ungleich verteilte Belastung durch Tuberkulose

2019 verzeichnete die Europäische Region der WHO schätzungsweise 20 000 tuberkulosebedingte Todesfälle – das entspricht 2,2 Todesfällen je 100 000 Einwohner –, und davon ereigneten sich rund 3560 tuberkulosebedingte Todesfälle in der Europäischen Union bzw. im Europäischen Wirtschaftsraum (EU/EWR) – das entspricht 0,7 Todesfällen je 100 000 Einwohner. Im Jahr 2019 gab es in der gesamten Europäischen Region rund 216 000 neue Tuberkulosediagnosen, was 23,2 Fällen je 100 000 Einwohner entspricht. 29 Länder in der EU bzw. im EWR meldeten insgesamt 47 504 Tuberkulosefälle, was einer Rate von 9,2 Fällen je 100 000 Einwohner entspricht. In der gesamten EU bzw. dem gesamten EWR sind die meisten länderspezifischen Raten weiterhin rückläufig; doch die EU bzw. der EWR insgesamt ist gegenwärtig nicht auf Kurs, um das Ziel der Eliminierung der Tuberkulose bis 2030 zu verwirklichen.

Die Tuberkulose ist in der Europäischen Region keineswegs gleichmäßig verbreitet. Rund 83% der geschätzten Fälle treten allein in 18 Ländern auf, in denen die Inzidenz fünfmal höher ist als im Durchschnitt in der EU bzw. im EWR. Fünf der 18 Hochprävalenzländer liegen in der EU bzw. dem EWR, 13 liegen in Osteuropa und in Zentralasien.

Die Auswirkungen von COVID-19 auf die Tuberkulose

Der Rückgang der Tuberkuloselast brachte die Region im Hinblick auf die Erreichung der in der Endspielstrategie für Tuberkulose und dem Aktionsplan Tuberkulose für die Europäische Region für 2020 gesetzten Zielvorgabe einer Reduzierung der Tuberkuloseinzidenz auf Kurs. Doch es besteht die ernste Sorge, dass die COVID-19-Pandemie die jüngsten Fortschritte gefährden könnte.

In Hochprävalenzländern wurden bereits negative Auswirkungen bei der Erbringung von Tuberkuloseleistungen und entsprechenden Meldungen beobachtet. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass weniger Menschen getestet wurden, was bedeutet, dass Menschen mit nicht diagnostizierter Tuberkulose nicht die erforderliche Behandlung erhalten und Gefahr laufen, andere zu infizieren.

Die Ergebnisse einer laufenden Bewertung der Auswirkungen von COVID-19 auf Tuberkuloseleistungen und die Ausbreitung der Krankheit in der Europäischen Region sollen im Frühjahr 2021 vorliegen.

Behandlungsergebnisse weiterhin suboptimal

Trotz des allgemeinen Zugangs zu qualitätsgesicherten Antituberkulotika sind die Behandlungsergebnisse in der Region weiterhin suboptimal. Nur 77% der Patienten schlossen 2019 ihre Behandlung erfolgreich ab. Das ist deutlich unter der globalen Rate von 85%. Der Behandlungserfolg in der EU bzw. im EWR ist sogar noch geringer: hier schlossen entsprechenden Meldungen zufolge nur 64% aller im Jahr 2018 gemeldeten Tuberkulosefälle erfolgreich ihre Behandlung ab.

Tuberkulosestämme, die nicht auf die üblichen Behandlungsregime ansprechen, werden entweder als multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb) oder extensiv resistente Tuberkulose (XDR-Tb) bezeichnet. Nur 59% aller 2017 in der Region gemeldeten MDR-Tb-Fälle wurden erfolgreich behandelt. Das ist deutlich unter der Zielvorgabe von 75%. Bei 2016 gemeldeten XDR-Tb-Fällen lag die Behandlungserfolgsrate bei lediglich 43%.

In der gesamten Region sind die Behandlungsergebnisse für MDR-Tb weiterhin suboptimal. Neben einer schwach ausgeprägten Therapiebefolgung ist eine erfolglose Behandlung einer der Faktoren, die Resistenzen begünstigen, und ist oftmals durch fehlende wirksame Tuberkulosemedikamente in Behandlungsregimen für resistente Formen der Tuberkulose bedingt.

Insgesamt weist in der Europäischen Region jeder Dritte Patient mit Lungentuberkulose eine resistente Form der Krankheit auf. In der gesamten Region weist ein Viertel aller Patienten mit resistenter Tuberkulose XDR-Tb auf, und 70% der weltweiten XDR-Tb-Patienten leben in der Europäischen Region.

Der Anteil der neu gemeldeten Tuberkulosepatienten, die mit einem von der WHO empfohlenen Schnelldiagnosetest getestet wurden, ist von 45% im Jahr 2015 auf 69% im Jahr 2019 gestiegen. Damit bleibt er aber dennoch deutlich unter der Zielvorgabe von 90% aus der globalen Endspielstrategie für Tuberkulose. Schnelldiagnosetests ermöglichen eine schnellere Diagnose, wodurch wiederum Leid, Weiterübertragung und Tod minimiert werden.

Menschen, die mit HIV leben, sind besonders empfänglich für Tuberkulose, und häufig kommt es zu Koinfektionen. In der Europäischen Region schließen lediglich 52% aller Patienten mit einer Koinfektion ihre Tuberkulosebehandlung erfolgreich ab. Das ist deutlich unter der globalen Rate von 76% und bedeutet, dass es in der Europäischen Region weniger wahrscheinlich ist, dass Menschen mit einer Koinfektion erfolgreich behandelt werden und vollständig genesen.

Tuberkulose im Zentrum der gesundheitspolitischen Agenda

„Es ist höchst besorgniserregend, wie den Tuberkuloseleistungen aufgrund von COVID-19 Aufmerksamkeit und Ressourcen entzogen wurden. Ich habe keine Zweifel, dass wir die COVID-19-Pandemie unter Kontrolle kriegen werden. Doch der Preis dafür kann nicht sein, dass wir hart erkämpfte Fortschritte bei anderen gesundheitlichen Bedrohungen wie Tuberkulose einbüßen. Heutzutage ist das Risiko einer noch stärkeren Resistenz der resistenten Tuberkulose gegen entsprechende Arzneimittel sehr real, und dieses Risiko sollten wir nicht eingehen. Das müssen die Menschen realisieren und verstehen, wie dringend Maßnahmen erforderlich sind, und zudem wissen, dass uns bereits neue Möglichkeiten und Werkzeuge zur Verfügung stehen. Der Kampf um die Eliminierung der Tuberkulose ist ein wichtiger Bestandteil des Europäischen Arbeitsprogramms der WHO, und da ich als Arzt selbst Tuberkulosepatienten behandelt habe, ist es ein Bereich, der mir sehr am Herzen liegt. In den vergangenen Jahren wurden großartige Fortschritte erzielt, doch es bestehen weiterhin große Herausforderungen. Ich begrüße daher die verstärkten Bemühungen der Länder in unserer Region zur Bekämpfung der Tuberkulose, einer schrecklichen und doch heilbaren Krankheit, die großes Leid verursacht“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

Stella Kyriakides, Europäische Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erklärte: „Der Rückgang der Tuberkulose in den letzten Jahren ist eine gute Nachricht. Doch die Tuberkulose stellt in einigen Regionen der EU weiterhin eine Gefahr dar und betrifft nach wie vor insbesondere die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Wir wissen, dass es noch viel zu tun gibt. Gemeinsam mit unseren Agenturen hat sich die Kommission verpflichtet, ihren Beitrag zur Eliminierung der Tuberkulose zu leisten, und zwar zum Teil durch die Bereitstellung von Finanzmitteln, die Forschung und den Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen. Auch Prävention, frühzeitige Diagnose und der Zugang zu Behandlung und Versorgung werden hierbei eine wichtige Rolle spielen.“

ECDC-Direktorin Dr. Andrea Ammon merkte an: „In der EU bzw. im EWR ist die Gesamtzahl der gemeldeten Tuberkulosefälle im Jahr 2019 weiter zurückgegangen, was gewisse Fortschritte auf dem Weg zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen verdeutlicht. Trotz dieser Fortschritte ist die EU bzw. der EWR jedoch gegenwärtig nicht auf Kurs, um das Ziel der Beendigung der Tuberkuloseepidemie bis 2030 zu verwirklichen. Darüber hinaus liegt die Behandlungserfolgsrate in allen Kohorten in der EU bzw. im EWR nach wie vor deutlich unter den Zielvorgaben der WHO. Die großflächige Unterbrechung der Tuberkuloseleistungen aufgrund der COVID-19-Pandemie wird es für die Mitgliedstaaten noch schwieriger machen, die Zielvorgaben der SDG und die Behandlungsziele zu verwirklichen, doch ist es genau jetzt an der Zeit für die Länder, ihre Fortschritte auf dem Weg zur Eliminierung der Tuberkulose zu beschleunigen.“