Erklärung – Länder müssen angesichts der sich beschleunigenden COVID-19-Pandemie zusammenarbeiten
Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
Kopenhagen, 31. März 2020
Guten Morgen Exzellenzen, und vielen Dank für Ihre erneute Teilnahme an der heutigen Informationsveranstaltung.
Auch bei Ihnen, Eure Königliche Hoheit, Kronprinzessin von Dänemark und Schirmherrin des WHO-Regionalbüros, möchte ich mich für Ihre freundlichen Worte bedanken. Wir danken Ihnen für Ihr unerschütterliches Bekenntnis zu WHO und öffentlicher Gesundheit und für das Angebot Ihrer Unterstützung in diesen beispiellosen Zeiten. Auch Dr. David Nabarro, der von Dr. Tedros zu einem der sechs Sonderbeauftragten für COVID-19 ernannt wurde, möchte ich für seine Teilnahme an dieser Veranstaltung danken. Es ehrt uns, dass er uns mit seiner außergewöhnlichen Kompetenz strategisch berät und auf hoher Ebene politische Überzeugungsarbeit in Bezug auf diese globale Pandemie leistet.
Starker Anstieg der Fallzahlen
Nach wie vor sind unsere Gedanken vor allem bei jenen, deren Leben und Gesundheit unmittelbar von diesem Virus betroffen sind. Wir durchleben zurzeit einen Moment unseres Lebens, in dem wir alle – Bürger, Familienmitglieder, Experten für öffentliche Gesundheit und Entscheidungsträger – zutiefst besorgt über die Entwicklung der Situation in unseren Ländern und Gemeinschaften sind. Welche Folgen haben die kurzfristig von uns getroffenen Entscheidungen, welche langfristigen Auswirkungen gibt es? Wie wird die Welt am Ende dieser Reise aussehen?
Seit unserem letzten Gespräch vor 12 Tagen ist die Zahl der bestätigten Fälle und gemeldeten Todesfälle in der gesamten Europäischen Region der WHO um mehr als das Fünffache auf 393 285 (bestätigte Fälle) bzw. 23 966 (Todesfälle) angestiegen. Und innerhalb eines Zeitraums von gerade einmal einer Woche hat sich die Zahl der Fälle weltweit verdoppelt und wird bald 700 000 übersteigen.
Über eines müssen wir uns im Klaren sein: viele andere Länder, insbesondere im westlichen Teil der Region, verzeichnen mittlerweile eine großflächige Übertragung von Mensch zu Mensch. Europa und Nordamerika sind mittlerweile zu Epizentren der Pandemie geworden.
Am gestrigen Tag verzeichnete Italien über 100 000 Fälle, und auch Spanien ist auf dem besten Weg, diese Fallzahl zu erreichen. Positiv zu vermerken ist, dass wir einige ermutigende Ergebnisse sowie eine geringere Zunahme der neuen Krankheitsfälle in Italien beobachten.
Die Länder in der Region befinden sich in sehr unterschiedlichen Stadien der Pandemie. Selbst ein einziger Fall ist ein Fall zu viel und unsere Gegenmaßnahmen müssen in sämtlichen Ländern der Region mutig und entschlossen sein.
Zu diesem Zeitpunkt werden in Italien 4000 Patienten auf Intensivstationen behandelt. In Spanien benötigen 6% der Patienten Zugang zur Intensivversorgung, was die Kapazitäten der Gesundheitssysteme, die sonst unter normalen Umständen in der Lage wären, kritische Patienten zu versorgen, an ihre Grenzen bringt. Alles ist anders unter den gegenwärtigen Umständen.
Diese Zahlen vermitteln eine ausdrückliche Warnung: Die Pandemie beschleunigt sich.
Zentrale Botschaften für die Länder
Ich habe am heutigen Tag drei Botschaften für Sie.
Exzellenzen, Sie verstehen, welche Stärke von globaler Solidarität ausgeht, und das bringt mich zu meinem ersten Punkt: wir müssen zusammenarbeiten, an allen Fronten gemeinsam handeln. Dies ist eine globale Krise, die globale, koordinierte Gegenmaßnahmen erfordert. Entscheidungsträger auf den höchsten Ebenen des Staates und der Industrie müssen gemeinsam Empfehlungen aussprechen, sich auf eine Strategie einigen, Protokolle festlegen und die Menschen schützen – jetzt ebenso wie in der Zeit nach der Krise.
Dreizehn Wochen sind vergangen, seit wir von diesem neuartigen Virus erfahren haben. Doch die weltweiten Engpässe bei persönlicher Schutzausrüstung gefährden auch weiterhin den Schutz der Ersthelfer – und damit uns alle. Ich appelliere eindringlich an Ihre Regierungen, Produktionsstätten umzurüsten, Exportverbote aufzuheben und unsere Versorgungskette effizient und effektiv arbeiten zu lassen, ohne schädigende Hindernisse an den Grenzen. Wir sind nur so stark wie unser schwächstes Glied. Darüber hinaus bitten wir Sie, unseren WHO-Experten Zugang zu den hilfsbedürftigen Gemeinschaften zu gewähren und ihnen zu erlauben, die Länder bei ihrem Kampf um den Schutz von Menschenleben zu unterstützen und den am stärksten gefährdeten Menschen zu helfen. Soweit wie möglich arbeiten wir aus der Ferne, doch das ist nicht immer realisierbar. Einige Länder brauchen die Unterstützung und Hilfsgüter der WHO, während wir an der Grenze bereitstehen und auf Einlass ins Land warten.
Ich kann Ihnen allen versichern, dass wir im WHO-Regionalbüro für Europa unser Bestes geben. Zusätzlich zu der unermüdlichen Arbeit unseres Teams für gesundheitliche Notlagen habe ich persönlich Kontakt zu Ministerpräsidenten, Ministern, Generaldirektoren und obersten Gesundheitsbeamten aufgenommen. Ich bringe häufig Ministerien aus allen Teilen der Region an einen Tisch, insbesondere auf subregionaler Ebene in den westlichen Balkanstaaten und in Zentralasien sowie auf Ebene der kleinen Länder. In den kommenden Tagen plane ich eine Videokonferenz mit dem Bürgermeister von Moskau, dem Ministerpräsidenten von Belarus und dem Exekutivsekretär des Rates der NUS. Unsere Arbeit mit Partnerorganisationen zeigt weiterhin Wirkung in der Region. So kündigte beispielsweise die Europäische Kommission gestern ein COVID-19-Unterstützungspaket für die Länder der Östlichen Partnerschaft an, das auch einen Beitrag in Höhe von 30 Mio. Euro für das WHO-Regionalbüro für Europa zur Unterstützung von sechs Mitgliedstaaten der Region vorsieht.
Als zweiter Punkt fordere ich Ihre Regierungen eindringlich dazu auf, ihr absolut Bestes zu geben, um das Gesundheitspersonal zu schützen, zu unterstützen und zu mobilisieren. Hierzu zählt auch der Schutz ihrer psychischen Gesundheit. Während die COVID-19-Pandemie vielen Menschen schadet, dürfen wir nicht vergessen, dass auch Menschen mit anderen Krankheiten, sowohl chronischer als auch akuter Art, versorgt werden müssen.
Wir müssen unser Bestes tun, um die Kontinuität der grundlegenden Gesundheitsangebote aufrechtzuerhalten, und durch bedarfsgerechte Schulungen, den vielfältigen Einsatz und entsprechende Mobilisierung von Gesundheitspersonal gleichzeitig Kapazitäten für Maßnahmen im Kampf gegen COVID-19 schaffen. Auch jene, die unter Quarantäne stehen oder zu Hause isoliert sind, brauchen Unterstützung, manche von ihnen brauchen eine spezielle Versorgung. Ich weiß, dass dies für all unsere Länder eine große Herausforderung ist. Doch es ist eine, die wir gemeinsam angehen müssen, damit niemand zurückgelassen wird.
Als Drittes möchte ich Ihre Regierungen eindringlich dazu anhalten, jene Maßnahmen umzusetzen, von denen wir wissen, dass sie Wirkung zeigen, und sich fest zu ihnen zu bekennen.
Gemischte Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitsdienste
Jene Länder, die dem Virus einen Schritt voraus waren – China, Singapur und Südkorea –, haben alles in ihrer Macht stehende getan, um jeden einzelnen Fall aufzuspüren, zu testen, zu isolieren und zu behandeln und jeden einzelnen Kontakt nachzuverfolgen. Sie haben mutige Maßnahmen ergriffen, um ihre Gesundheitssysteme an die Anforderungen und Bedürfnisse anzupassen. Ohne aggressive gemischte Maßnahmen, die auf die speziellen Umstände in jedem einzelnen Land zugeschnitten sind, könnten Millionen Menschen sterben.
Es ist wichtig, wertvolle Informationen darüber auszutauschen, welche Maßnahmen in den Ländern der Europäischen Region ergriffen werden, um die Reaktion ihrer Gesundheitssysteme zeitnah zu verbessern und zu stärken. Aus diesem Grund habe ich eine neue Initiative geschaffen: den Gesundheitssystem-Reaktionsmonitor. Ich habe das Europäische Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik damit beauftragt, die von den Ländern ergriffenen konzeptionellen Maßnahmen zu dokumentieren und auf einer Plattform zugänglich zu machen, die regelmäßig aktualisiert und ins Russische übersetzt werden soll. Ich fordere Ihre Regierungen nachdrücklich dazu auf, sich mit uns und untereinander über Ihre Erfahrungen auszutauschen.
Lassen Sie mich zum Abschluss meine drei zentralen Botschaften – ja Bitten – an Ihre Regierungen noch einmal wiederholen. Wir müssen:
- zusammenarbeiten, um Hindernisse für Gegenmaßnahmen zu beseitigen.
- unser Gesundheitspersonal unterstützen.
- jene Maßnahmen umsetzen, von denen wir wissen, dass sie Wirkung zeigen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte Ihrer Königlichen Hoheit Kronprinzessin Mary von Dänemark sowie Dr. David Nabarro meinen aufrichtigen Dank für ihre Teilnahme aussprechen.