Erklärung – COVID-19: Die ergriffenen ressortübergreifenden Maßnahmen sollten evidenzbasiert sein

Erklärung von Dr. Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektorin für Afrika, zur COVID-19-Situation in der Afrikanischen Region der WHO

Brazzaville (Republik Kongo), 19. März 2020

Sehr geehrte Mitglieder des diplomatischen Corps in Dänemark,

sehr geehrter Herr Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Kluge,

sehr geehrter Herr Regionaldirektor für den Westlichen Pazifikraum, Dr. Takeshi Kasai,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

guten Morgen.

Ich bin dankbar für die Gelegenheit, einige Überlegungen und Beobachtungen aus der Afrikanischen Region mit Ihnen zu teilen. Zunächst einmal möchte ich zum Ausdruck bringen, dass die Europäische Union eine der größten unterstützenden Kräfte für unsere entwicklungspolitische Arbeit in Afrika ist und dass die Europäische Union und die Afrikanische Union über enge Arbeitsbeziehungen verfügen, die auch beträchtliche Finanzmittel und fachliche Unterstützung für die Entwicklung in verschiedenen Politikbereichen einschließen. Deshalb ergreife ich nach meiner Einladung durch Dr. Kluge zu dieser Diskussion über die globale Pandemie die Gelegenheit, diese langjährigen und engen Beziehungen zwischen Europa und Afrika hervorzuheben, die sicherlich auch in Zukunft fortgesetzt werden.

In Bezug auf die Bedeutung globaler Solidarität für unsere gemeinsamen Anstrengungen zur Bekämpfung der Pandemie kann ich mich nur den Aussagen meiner Amtskollegen anschließen. Wir können bereits Anzeichen für eine solche Solidarität erkennen und sehen es als WHO als unsere Pflicht an, dies anzuerkennen und bestehende Ansätze zu fördern.

In der Afrikanischen Region hatten wir vor sechs bis acht Wochen nur wenige COVID-Fälle zu verzeichnen. Noch vor etwa einer Woche hatten wir nur fünf Länder mit Corona-Fällen. Heute werden schon aus 28 Ländern der Afrikanischen Region Fälle gemeldet. Somit haben wir in den letzten beiden Wochen eine exponentielle geografische Ausbreitung des Virus in der Afrikanischen Region erlebt. Inzwischen haben wir über 300 bestätigte Fälle, davon vier Todesfälle. Zwar nimmt sich dies im Vergleich mit der Situation in Asien und in Europa sehr gering aus, aber wir sind besorgt über die Dynamik der Entwicklung und die sozioökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen dies geschieht, sowie über die Fähigkeit unserer Gesundheitssysteme zur Bewältigung dieses Problems.

Bisher findet in nur vier Ländern der Afrikanischen Region, nämlich Algerien, Südafrika, Burkina Faso und Senegal, eine lokale Übertragung statt, die jeweils das Ergebnis von Reisen in Länder der Europäischen Region sind. Anfangs waren wir sehr besorgt angesichts der engen Kontakte zwischen den afrikanischen Ländern und China, einem unserer wichtigsten Handelspartner, aber es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der hiesigen Fälle auf die sporadische Einschleppung von Fällen aus Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten zurückzuführen war. Dies zeigt wiederum die engen Verknüpfungen zwischen den Ländern der Afrikanischen und der Europäischen Region.

Wir haben mit einer anfänglichen Risikoabschätzung die Handlungsbereitschaft unserer Länder bewertet und sind uns dabei dessen bewusst, dass unser Ausgangspunkt relativ schwache Gesundheitssysteme sind, deren Bereitschaftsplanung für Gegenmaßnahmen bei gesundheitlichen Notlagen generell nicht weit fortgeschritten ist.

Wir sind ermutigt angesichts der Investitionen in diese Arbeit seitens der Regierungen wie auch der internationalen Staatengemeinschaft. So hatten wir vor sechs Wochen nur zwei Länder und zwei Labore, die zur Diagnose des Virus in der Lage waren. Dank der Anstrengungen der Regierungen und der Unterstützung durch die WHO und die Seuchenbekämpfungsbehörde der Afrikanischen Region verfügen inzwischen 41 Länder über die Fähigkeit zur Diagnose.

Die Länder haben ihre Kapazitäten für Surveillance, Screenings an Grenzübergangsstellen und Arbeiten in Bereichen wie der Ermittlung von Kontaktpersonen ausgebaut. Die größten Herausforderungen bestehen noch in den Bereichen Infektionsschutz und -bekämpfung sowie Fallmanagement. Dies hat mit den mangelnden Kapazitäten für Intensivbehandlung in den meisten Ländern Afrikas zu tun, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor.

Wir stellen fest, dass Südafrika, das eines der modernsten Gesundheitssysteme in der Afrikanischen Region hat, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, schon jetzt einräumt, dass die Bewältigung der bei der schnellen geografischen Ausbreitung von COVID-19 zu erwartenden Fallzahlen problematisch sein wird.

Darüber hinaus haben wir eine demografische Situation, die unserer Ansicht nach besonderer Aufmerksamkeit bedarf. So sind einerseits ältere Menschen besonders gefährdet, andererseits gibt es eine hohe HIV-Prävalenz unter jungen Erwachsenen. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, was dies für die Anfälligkeit unserer Bevölkerung bedeutet. In den Ländern der Afrikanischen Region ist der Anteil der mangelernährten Kinder unter fünf Jahren sehr hoch. Ist diese Gruppe ebenfalls stärker gefährdet, als dies in anderen Regionen der Fall ist? Diese Frage müssen wir im Auge behalten, wenn wir die Entwicklung in unseren Ländern beobachten.

Wir haben mit unseren Ländern intensiv auf die Erstellung nationaler Pläne hingearbeitet, und inzwischen haben 40 Länder in unserer Region festgelegt, was sie tun wollen, und wir stellen diese Pläne nun auf der internationalen Plattform ein, um Finanzmittel von der internationalen Staatengemeinschaft einzuwerben.

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass aufgrund der Besonderheiten der Afrikanischen Region die soziale Distanzierung in manchen Bereichen sehr schwierig werden dürfte. In einkommensschwachen Umfeldern wie städtischen Slums ist es oft kaum möglich, jemanden in einem Raum zu isolieren, weil es einfach nicht genug Räume in einem Haus gibt. Deshalb müssen wir hier andere Wege suchen, um eine Eindämmung des Virus zu erreichen. Vielerorts haben Häuser keinen Zugang zur Wasserversorgung; wenn wir also die Menschen bitten, sich häufig die Hände zu waschen, brauchen wir große Mengen an Handdesinfektionsmittel für diese Haushalte, um dies zu ermöglichen.

Wir würden gerne aus den Erfahrungen in Asien, und insbesondere China, bei der aktiven Fallermittlung lernen. Die öffentlichen Gesundheitsdienste müssen nach innovativen Wegen zur Untersuchung von asymptomatischen Personen in Umfeldern suchen, wie wir sie in Afrika häufig antreffen.

Abschließend möchte ich sagen, dass wir unseren Regierungen dringend empfehlen, nur ressortübergreifende Maßnahmen zu ergreifen, die auch evidenzbasiert sind. Unser Ziel besteht darin, das Virus zu isolieren und nicht die Menschen, und erst recht nicht ganze Länder. Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen beobachtet, die Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit der Bürger, auf den Warenverkehr und speziell auf die Versorgung mit Gütern haben, die für die Gegenmaßnahmen unentbehrlich sind.

Wir streben einen Dialog zwischen den Regionen, zwischen den Partnern Afrikas in der Europäischen Region und zwischen unseren führenden Politikern an, damit die eingeführten Strategien einander sinnvoll ergänzen und in allen drei Regionen Synergieeffekte schaffen.

Gestatten Sie mir, abschließend den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Europäischen Union insgesamt für ihre Großzügigkeit angesichts des weltweiten Aufrufs der WHO zur Bereitstellung von Ressourcen zu danken. Sie wird unserer Region zugute kommen, und ich kann mich nur Herrn Dr. Kluge anschließen und zum Ausdruck bringen, dass wir alles in unseren Kräften Stehende tun werden, um diese Ressourcen möglichst sinnvoll und nutzbringend einzusetzen.

Ich danke Ihnen.