Erklärung – Neueste Informationen zur Pandemie und den Vorbereitungen auf den Einsatz von Impfstoffen gegen COVID-19


Kopenhagen, 3. December 2020, Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

3. December 2020

Weltweit sind der WHO bisher mehr als 63 Mio. Fälle von COVID-19 gemeldet worden, davon mehr als 1,4 Mio. mit tödlichem Ausgang.

In der Europäischen Region der WHO wurden bisher über 19 Mio. Fälle und über 427 000 Todesfälle gemeldet; allein im November kamen mehr als 4 Mio. Fälle hinzu.

Vergangene Woche sank die Gesamtzahl der gemeldeten Fälle zum dritten Mal in Folge, diesmal um 13%.

Trotz dieses Rückgangs entfallen noch immer 40% der Neuinfektionen und 50% der neuen Todesfälle weltweit auf die Europäische Region, in der fast die Hälfte der Länder weiterhin eine steigende Tendenz aufweisen. Allein in der 48. Kalenderwoche wurden in der Europäischen Region insgesamt mehr als 35 000 neue Todesfälle gemeldet.

Auch wenn wir in Westeuropa einen leichten Rückgang der Fallzahlen verzeichnen, so bedeutet dies doch nicht, dass die ganze Europäische Region eine Verbesserung der epidemiologischen Situation erlebt. Der Wiederanstieg bewegt sich weiter nach Osten, und mittlerweile sind die Länder Mittel- und Südeuropas am stärksten betroffen.

Diese Neuigkeiten sind besorgniserregend und erinnern uns schmerzlich daran, dass die überwiegende Mehrheit von uns weiterhin von dem Virus bedroht ist. Die Ergebnisse von Seroprävalenzuntersuchungen deuten darauf hin, dass bisher in den meisten Ländern weniger als ein Zehntel der Bevölkerung mit dem Virus infiziert wurde.

Jetzt ist verantwortungsbewusste Führung gefragt. Länder, die einen Rückgang der Übertragung erleben, sollten diese Zeit sinnvoll nutzen. Prüfen Sie Möglichkeiten für einen Ausbau der gesundheitlichen Infrastruktur und eine Vorbereitung auf die nächste Welle, und stellen Sie sich die Frage, wie wir in Zukunft besser vorbereitet sein können.

Das Virus hat immer noch das Potenzial, enormen Schaden anzurichten, wenn wir nicht alles tun, um seine Ausbreitung zu unterbinden.

Ein Teil der Lösung sind Impfmaßnahmen.

Heute habe ich für Sie drei Neuigkeiten zu den in Aussicht stehenden Impfstoffen.

Erstens ist die Aussicht auf Impfstoffe ohne Zweifel eine großartige Nachricht, deren Folgen möglicherweise entscheidend sein werden. Mit inzwischen mehr als 200 Impfstoffkandidaten für COVID-19 in Entwicklung sieht die Zukunft erfreulicher aus. Deshalb freue ich mich über die Zwischenergebnisse mehrerer Impfstoffkandidaten in den vergangenen Wochen. Nach aktuellem Stand befinden sich mehr als 50 Impfstoffkandidaten in der Erprobung am Menschen. Je mehr Kandidaten, desto größer die Chancen auf Erfolg. Impfungen können zusammen mit anderen gesundheitlichen Maßnahmen das Ende der akuten Phase der Pandemie herbeiführen und lassen den Wiederaufbau von Volkswirtschaften in greifbare Nähe rücken. Doch das wird nur dann möglich sein, wenn wir dafür Sorge tragen, dass niemand zurückgelassen wird und alle Länder und Bürger die Früchte des Zugangs zu dieser lebensrettenden Technologie ernten können.

Meine zweite Botschaft lautet: Auf die Bereitschaftsplanung kommt es an. Um sicherzustellen, dass wir in vollem Umfang von diesen Impfstoffen profitieren können, müssen wir über entsprechende Pläne verfügen. Deshalb ist eine sofortige Bestandsaufnahme in Bezug auf unsere Bereitschaftsplanung schon jetzt, im Vorfeld der Verfügbarkeit von Impfstoffen, ein absolutes Gebot. Bei der WHO arbeiten wir zusammen mit den Ländern darauf hin, ihre Pläne für die Einführung von Impfstoffen, die Kühlkettenkapazitäten, die Gewährleistung der Impfstoffsicherheit sowie Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung auszugestalten.

Da die Impfstoffvorräte während der ersten Phase der Lieferung sehr knapp sein dürften, müssen nun alle Länder entscheiden, wer zuerst geimpft werden soll, um die Wirkung der begrenzten Anzahl von Dosen bei der Verringerung der Krankheitslast unter den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu maximieren. Wir empfehlen, für die Dauer begrenzter Impfstoffvorräte die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen, Erwachsene über 60 Jahren sowie Bewohner und Beschäftigte von Einrichtungen der Langzeitpflege bei der Impfung gegen COVID-19 vorrangig zu behandeln. Wir erkennen an, dass je nach Verfügbarkeit von Impfstoffen, der Epidemiologie der Krankheit sowie Größe und Anteil der einzelnen vorrangigen Gruppen die Länder während der Anfangsphase der Impfmaßnahmen beschließen können, mehr als eine Gruppe gleichzeitig vorrangig zu behandeln.

Drittens sind für den Erfolg eines Impfplans Akzeptanz und Nachfrage in der Bevölkerung entscheidend. Untersuchungen zu verhaltensbezogenen Aspekten, die in den vergangenen Monaten in mehreren europäischen Ländern durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass in manchen Ländern bis zur Hälfte der Bürger sich in Bezug auf eine Impfung gegen COVID-19 nicht sicher sind. Bedenken in Bezug auf Impfungen sind nicht ungewöhnlich, sondern durchaus verständlich. Unter den gegenwärtigen Umständen sind sie sogar zu erwarten, da noch weitgehend offen ist, welcher Impfstoff oder welche Impfstoffe letztendlich zugelassen werden, wann sie zur Verfügung stehen und ob sie Nebenwirkungen haben werden.

Ich appelliere dringend an Sie, nur zuverlässige Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen zu beziehen. Lassen Sie sich nicht zum Teil einer Infodemie der Irreführung machen. Impfungen retten Menschenleben, Angst gefährdet sie. Bevor ein Impfstoff zur Anwendung zugelassen wird, werden alle Informationen und Daten aus den klinischen Versuchen von den nationalen Regulierungsbehörden gründlich auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit überprüft. Derartige bewährte Mechanismen gewährleisten seit Jahrzehnten Qualität und Sicherheit von Impfstoffen zum Schutz von Kindern vor Krankheiten wie Polio, Masern und Diphtherie.

So bestehen also hervorragende Aussichten auf einen Impfstoff, doch sein volles Potenzial kann nur bei weitreichender Bereitschaftsplanung und Akzeptanz in der Bevölkerung ausgeschöpft werden. Doch wir müssen uns auch im Klaren darüber sein, dass der Impfstoff noch nicht da ist, dass nicht alle sofort geimpft werden können und dass wir deshalb unbedingt die grundlegenden Schutzmaßnahmen (wie das Tragen von Masken) beibehalten müssen.

Wir haben in den letzten Wochen Fortschritte in der Europäischen Region erlebt, als die Anwendung von teilweise schwierigen Maßnahmen zur Verringerung der Fallzahlen führte. Um diese Fortschritte zu erhalten, müssen wir wachsam bleiben – um uns selbst, unsere Angehörigen und unser Gesundheitspersonal zu schützen.

Vielen Dank.