Erklärung – Tragen Sie zu einer neuen Kultur der Gesundheit bei: einer Ökonomie des Wohlergehens
Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, an die diplomatischen Vertretungen in Dänemark zum Thema COVID-19
7. Juli 2020
Guten Morgen, Exzellenzen, und ein Willkommen an meinen geschätzten Kollegen, Dr. David Nabarro, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist mir eine Freude, nach einiger Zeit wieder zu Ihnen, den Botschaftern, sprechen zu können, bevor einige von Ihnen in Urlaub gehen.
Vergangene Woche war es sechs Monate her, seit die WHO die ersten Meldungen von einer Häufung von Fällen von Lungenentzündung mit unbekannter Ursache erhielt. Mit heutigem Stand haben wir nun mehr als 10,7 Mio. Fälle von Infektion mit COVID-19 registriert, und tragischerweise sind bereits mehr als eine halbe Million Menschen dem Virus zum Opfer gefallen. Dies ist eine gesundheitliche Notlage, deren soziale und ökonomische Folgen wir noch jahrelang spüren werden.
Doch erfreulicherweise haben die Menschen und die Behörden vorbildlich darauf reagiert. In der gesamten Europäischen Region der WHO haben die im Laufe des Frühjahrs eingeführten gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen eine gewisse – wenn auch fragile Stabilität – für den Sommer gebracht. So sind seit Anfang April die wöchentlichen Fallzahlen von COVID-19 um 50% und die Zahl der Todesfälle um 87% gesunken.
Doch ich wiederhole: die Situation ist fragil. In den vergangenen zwei Wochen haben die Hälfte der Länder in unserer Region einen Anstieg der Zahl neuer Fälle um mehr als 10% erlebt. Die Öffnung unserer Gesellschaften darf nicht dazu führen, dass wir unsere Deckung aufgeben.
Auch heute habe ich wieder drei Botschaften für Sie:
- Bleiben Sie standhaft und halten Sie sich weiter an das, was nachweislich dazu beiträgt, das Virus auf Abstand zu halten.
- Schreiten Sie zügig ein, sobald es Anzeichen für lokale Fallhäufungen gibt.
- Tragen Sie zu einer neuen Kultur der Gesundheit bei.
Zu meiner ersten Botschaft: Bleiben Sie standhaft und zielgerichtet! In den bisher sechs Monaten unseres Kampfes gegen das Virus war der Eckpfeiler der gesundheitlichen Gegenmaßnahmen stets klar: jeden einzelnen Fall oder Verdachtsfall von COVID-19 aufzuspüren, zu isolieren, zu testen und zu versorgen und jede Kontaktperson zu ermitteln und in Quarantäne zu überführen.
Zuhause, am Arbeitsplatz und im Urlaub hat jeder und jede die Pflicht, sich selbst und andere zu schützen. Wir müssen stets an die goldenen Regeln denken: räumliche Distanzierung, Handhygiene, Bedecken des Mundes bei Husten, Zuhausebleiben bei Krankheit, Tragen von Masken, wo erforderlich, und das Beziehen von Informationen aus zuverlässigen Quellen.
Wir alle, Bürger und Verantwortliche, müssen weiterhin entschlossen und zielgerichtet darauf hinarbeiten, das Virus zu stoppen.
Zweitens: Das Virus ist noch nicht verschwunden. Es wird jede Lücke in unserer Abwehr nutzen. Die örtlichen Fallhäufungen, die wir jetzt in vielen Teilen der Europäischen Region erleben, sind eine deutliche Erinnerung daran, dass es vom Verhalten der Menschen abhängt, wie sich COVID-19 entwickelt.
Jetzt, zur Sommerzeit, wird sich aufgrund des geselligeren Lebens, der Reisetätigkeit und der Rückkehr in die Schule und an den Arbeitsplatz die Gefahr einer Zunahme der Fallzahlen von COVID-19 in den kommenden Wochen erhöhen. Darüber hinaus naht auch die nächste Grippesaison. Eine Impfung von durch Influenza stark gefährdeten Personen sowie von Gesundheitspersonal wird entlastende Wirkung für die Gesundheitssysteme haben, die auch die COVID-19-Patienten versorgen müssen. Hierbei kommt es entscheidend auf Risikokommunikation und eine Mobilisierung der Bevölkerung an.
Bleiben Sie wachsam und handeln Sie schnell, wenn es zu Fallhäufungen von COVID-19 kommt, und führen Sie Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Grippe durch.
Exzellenzen, meine dritte Botschaft betrifft die Schaffung einer besseren Zukunft. Diese Pandemie hat die Ungleichheiten und Spaltungen verschärft, die unsere Gesellschaften lähmen und Fortschritte hin zu einer nachhaltigen Entwicklung verhindern.
Dennoch haben wir bei unserem Handeln in den kommenden Monaten und Jahren auch eine Gelegenheit, eine neue Chance, von Grund auf zu überdenken, wie wir zusammenarbeiten und was für eine Gesellschaft wir uns in Zukunft wünschen. Dabei müssen wir einen wirksameren, umfassenden Ansatz für mehr Gesundheit und Wohlbefinden verfolgen, bei dem Gesundheit und wirtschaftliche Erholung miteinander einhergehen – im Sinne einer sog. Ökonomie des Wohlergehens. Gesundheit und Wirtschaft sind dabei keine Gegensätze: denn keine Gesundheit bedeutet keine Wirtschaft.
Im September werde ich das neue Europäische Arbeitsprogramm – das EPW – den 53 Mitgliedstaaten der WHO in der Europäischen Region zur Zustimmung vorlegen. Die 70. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa findet am 14. und 15. September in verkürzter Form statt.
In dem ehrgeizigen EPW wird eine Zukunftsvision entworfen, wie das WHO-Regionalbüro für Europa die Länder dabei unterstützen kann, den Erwartungen ihrer Bürger in Bezug auf Gesundheit gerecht zu werden. Gegenwärtig durchläuft das EPW eine Konsultation, bei der Bürger und Partnerorganisationen eingeladen sind, bis zum 18. Juli Rückmeldung zu erstatten. Ich hoffe, dabei auf Ihr Engagement und Ihre Unterstützung zählen zu können.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, viele Länder haben Erstaunliches geleistet und eine bemerkenswerte Solidarität unter Beweis gestellt Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich morgen zum ersten Mal seit Februar wieder eine Auslandsreise antreten werde. Dabei werde ich in der Türkei eine finanzielle Vereinbarung über ein neues ausgelagertes Fachzentrum des Regionalbüros für Bereitschaftsplanung für humanitäre und gesundheitliche Notlagen unterzeichnen, in Ankara an der Tagung eines wissenschaftlichen Beirats teilnehmen und auch Flüchtlingslager nahe der syrischen Grenze besuchen.
Genau dies ist die Essenz des EPW – niemanden und kein Land zurücklassen und einen direkten Kontakt mit den Ländern aufrechterhalten. Unser letztendliches Ziel muss eine Kultur der Gesundheit sein, die der Schaffung einer sichereren und gerechteren Welt dient.
Ich danke Ihnen.