Erklärung – Durch einen transparenten Wissensaustausch, gezielte Unterstützung direkt vor Ort und unverbrüchliche Solidarität werden wir COVID-19 besiegen

Erklärung an die diplomatischen Vertretungen in Dänemark zum Thema COVID-19. Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

Kopenhagen, 28. April 2020

Guten Morgen Exzellenzen, und vielen Dank für Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung.

Es sind bereits vier lange Wochen vergangen, seit wir das letzte Mal Gelegenheit hatten, Sie über die aktuelle Situation in der gesamten Europäischen Region der WHO zu informieren. Während dieser 28 Tage hat sich die kumulative Fallzahl in der Europäischen Region um mehr als das Dreifache erhöht, auf mehr als 1,3 Mio. Fälle. Das entspricht 48% der gesamten Fälle weltweit. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Todesfälle in der Region um mehr als das Fünffache gestiegen. Tragischerweise haben bereits mehr als 124.000 Menschen ihr Leben aufgrund einer Infektion mit dem Virus verloren. 63% der globalen Sterblichkeit entfällt auf unsere Region. Meine Gedanken sind bei den Familien und Angehörigen jener, die wir verloren haben. Ihnen möchte ich mein tiefstes Beileid aussprechen.

Lassen Sie mich daher noch einmal betonen, was eigentlich vollkommen klar ist: Diese Pandemie hat die Europäische Region weiterhin fest im Griff. Kein Land darf in seinem Kampf nun nachlassen. Auch wenn die Übertragungsrate sich in einigen Ländern im westlichen Teil der Region stabilisiert hat und in manchen Fällen sogar gesunken ist, möchte ich darauf hinweisen, dass 7 der 10 Länder, die in den letzten 24 Stunden die höchste Zahl an Neuinfektionen verzeichneten, in unserer Region liegen. Diese zehn Länder sind: die USA, die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich, Spanien, Italien, die Türkei, Brasilien, Deutschland, Frankreich und Kanada. Zudem ist es zwar weiterhin der westliche Teil der Europäischen Region, der in Bezug auf die absoluten Fallzahlen die größte Last zu tragen hat, doch sind es die Länder im östlichen Teil der Region, in denen die Kurve nun steiler wird.

Diese Zahlen verdeutlichen auch, dass die Situation in allen Teilen unserer höchst unterschiedlichen Region nicht einheitlich ist. Und doch müssen wir auch in unseren eigenen Reihen nach Lösungen suchen und versuchen zu verstehen, welche Maßnahmen Wirkung zeigen und was noch getan werden kann. Der Übergang zu einer „neuen Normalität“ ist nicht leicht – uns stehen komplexe und unsichere Zeiten bevor.

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen heute erläutern, wie wir die Länder durch Empfehlungen und einen Wissensaustausch sowie direkt vor Ort unterstützen.

Ich möchte Ihnen, Exzellenzen, heute drei Botschaften mit auf den Weg geben:

  1. Ich möchte hervorheben, dass die Einleitung der Übergangsphase bzw. die Lockerung von Beschränkungen sorgfältig geprüft werden muss und einen transparenten Informationsaustausch untereinander erfordert.
  2. Ich möchte Sie über die gezielte, direkte Unterstützung der WHO vor Ort informieren.
  3. Und ich möchte Ihnen herzlich für Ihre Solidarität und Ihre Unterstützung der Mitgliedstaaten in der Europäischen Region in Form von Fachwissen, Know-how, Hilfsgütern und finanziellen Mitteln danken.

Die erste meiner drei Botschaften an Sie am heutigen Tag lautet, dass wir Ihre Regierungen bei der Planung der Übergangsphase unterstützen und von den unterschiedlichen Maßnahmen der Gesundheitssysteme in der gesamten Region lernen können.

Am letzten Freitag haben wir Grundsatzüberlegungen über die Verschärfung und Anpassung von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit während Übergangsphasen der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Dieses Dokument erläutert, wie vier zentrale Komponenten gemeinsam zur Bewältigung solcher Übergangsphasen und zur ausgewogenen Abstimmung einschränkender Maßnahmen beitragen können.

Während einer Übergangsphase sind die öffentliche Gesundheit betreffende und epidemiologische Überlegungen zu berücksichtigen, sind ausreichende Kapazitäten für zweigleisige Gesundheitssysteme zu gewährleisten, damit neben den Maßnahmen im Kampf gegen COVIDI-19 auch die regulären Gesundheitsangebote bereitgestellt werden können, sind soziale und verhaltensbezogene Perspektiven zu integrieren und sind soziale und wirtschaftliche Unterstützung zu leisten, um die verheerenden Folgen von COVID-19 für Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften zu mindern. Darüber hinaus geht das Dokument auf die sechs Rahmenbedingungen ein, die gegeben sein müssen, damit die Länder eine Lockerung der Beschränkungen und die Einleitung der Übergangsphase in Erwägung ziehen können. Dies ist eine äußerst wichtige Prüfliste.

Ich bin zutiefst dankbar für das Wissen und die Unterstützung, die wir von politischen Entscheidungsträgern, meiner hochrangigen Beratergruppe und Fachleuten aus der gesamten Region erhalten haben, um diese dringend benötigte Arbeit ausarbeiten und bereitstellen zu können.

Eine weitere wichtige Informationsquelle, die wir derzeit zusammenstellen, ist der Gesundheitssystem-Reaktionsmonitor, mit dessen Hilfe gemeinsam mit der Europäischen Kommission Evidenz darüber, wie die Länder auf die Krise mit Hilfe von Initiativen der Gesundheitssysteme oder des breiteren öffentlichen Gesundheitswesens reagieren, erfasst und geordnet werden kann. Dies ermöglicht einen Blick auf die von Regierungen, Gesundheitsbehörden und anderen Akteuren ergriffenen Maßnahmen sowie tiefere Einblicke in die verschiedenen Ansätze der Länder zu bestimmten Aspekten, wie etwa die Ausweitung der Notfallkapazitäten beim Gesundheitspersonal oder die verschiedenen Ansätze bei der Durchführung von Tests in allen Teilen der Region. Noch einmal möchte ich betonen, dass diese Initiative nur dank des wertvollen Informationsaustauschs und der Unterstützung der Länder möglich ist.

Meine zweite Botschaft lautet, dass wir durch das Regionalbüro, unser starkes Netzwerk von Länderbüros, die Nutzung weltweiten Fachwissens und die Einbeziehung von Partnerorganisationen in der Lage sind, an 7 Tagen die Woche 24 Stunden am Tag direkt vor Ort wirksame Unterstützung im Kampf gegen COVID-19 zu leisten.

Seit Ende Januar hat das WHO-Regionalbüro für Europa 8 hochrangige Missionen organisiert: nach Italien, Spanien (zweimal), Belarus, Georgien, Aserbaidschan und in die Ukraine – diese dienten dem Zweck, die Situation vor Ort zu bewerten, Entscheidungsträger zu unterstützen und Empfehlungen für zusätzliche Maßnahmen abzugeben, um eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern und Menschenleben zu retten. In den kommenden Tagen ist eine weitere Mission in die zentralasiatischen Republiken geplant.

Über zehn Wochen lang haben wir 51 Missionen zur fachlichen Unterstützung vor Ort in 18 vorrangigen Ländern der Region durchgeführt. Dabei ging es u. a. um die Unterstützung von Laboren, die Bereitschaftsplanung in Krankenhäusern, die operative Planung und Tests im Hinblick auf die Handlungsbereitschaft. Durch unsere subregionalen Knotenpunkte wurden acht zusätzliche Missionen durchgeführt.

Mit der Einführung von Ausgangssperren verlagerten wir unsere Strategie hin zu einer virtuellen Unterstützung der Länder aus der Ferne – dabei haben wir etwa von Venedig aus Webinare genutzt, um kleinere Länder und das Netzwerk Regionen für Gesundheit zu unterstützen. Wir haben Klinikern aus 30 Ländern virtuelle Empfehlungen für die Infektionsprävention und -bekämpfung sowie das klinische Management für COVID-19-Patienten gegeben und Medientraining für Journalisten aus der gesamten Region bereitgestellt.

Trotz der bestehenden Herausforderungen etwa durch verzögerte Lieferungen aufgrund von Vorschriften und Zöllen, einen Mangel an Beschaffungsverfahren für den Notfall und weltweite Engpässe konnten wir in 21 Ländern Testkits für Labore verteilen und damit gewährleisten, dass sie in der Lage sind, das Virus nachzuweisen. Persönliche Schutzausrüstung wurde an 17 Länder geliefert und damit die Gesundheitsfachkräfte an vorderster Front – unsere Helden – mit dem für die Behandlung von COVID-19-Patienten nötigen Schutz ausgestattet.

Das Regionalbüro arbeitet sehr flexibel, weist seinen Bediensteten neue Aufgaben zu und passt sich an die sich stetig verändernde Situation an, damit wir unsere Unterstützung dort leisten können, wo sie am dringendsten benötigt wird.

Mein dritter und letzter Punkt ist folgender: Ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Solidarität bedanken. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen und Ihren Regierungen meinen tiefsten Dank für Ihre Solidarität auszusprechen, die sie anderen Ländern und der WHO in diesen schwierigen Zeiten erwiesen haben. Fachwissen, Know-how, Notfallteams, wichtige Hilfsgüter, das Bekenntnis zu WHO und anderen Partnerinitiativen sowie finanzielle Mittel flossen in der gesamten Region in einer unglaublichen Demonstration von Eintracht und Stärke.

An diesem Punkt möchte ich kurz innehalten, um Ihnen zu applaudieren und Ihnen für die Beiträge und Zusagen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Region (und der Europäischen Union) auf die globalen Appelle im Kampf gegen COVID-19 zu danken:

Sie belaufen sich auf einen Betrag in Höhe von 252 Mio. US-$ von insgesamt 584 Mio. US-$, die der WHO in Antwort auf die globalen Appelle im Rahmen des Strategieplans für Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen zugesagt wurden bzw. bereits bei der Organisation eingegangen sind – dies entspricht einem eindrucksvollen Prozentsatz von derzeit 43% der weltweiten Zusagen und Unterstützung gegenüber der WHO.

Die gegenwärtige Situation ist eine globale Notlage und Sie haben Verantwortung übernommen, um eine globale Reaktion zu ermöglichen.

Zum Abschluss möchte ich meine drei Punkte noch einmal wiederholen:

Durch 1) einen transparenten Wissensaustausch, 2) gezielte Unterstützung direkt vor Ort und 3) unverbrüchliche Solidarität werden wir dieses Virus besiegen und am Ende gemeinsam gestärkt aus dieser Situation hervorgehen.