Erklärung – An vorderster Front bei der Eindämmung der Pandemie

Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

142. Plenartagung – Europäischer Ausschuss der Regionen
Kopenhagen, 4. Februar 2021

Sehr geehrter Präsident Apostolos Tzitzikostas, sehr geehrte Vertreter der Regionen, verehrte Kollegen, meine Damen und Herren!

Ich freue mich sehr, heute hier beim Europäischen Ausschuss der Regionen zu sein, sowohl um eine Vereinbarung über die Fortsetzung der produktiven Partnerschaft zwischen unseren beiden Organisationen zu unterzeichnen als auch das Thema COVID-19 zu erörtern.

In Zeiten wie diesen ist die unermüdliche Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation vonseiten der Europäischen Union und ihrer Institutionen – aufbauend auf der Vergangenheit, durch unsere Kooperation in der Gegenwart und im Hinblick auf die Planung für die Zukunft – von entscheidender Bedeutung.

Ich möchte der EU meinen Dank für ihre Unterstützung in den vergangenen Wochen hinsichtlich der Stärkung der Internationalen Gesundheitsvorschriften ausdrücken, die die Grundlage für einen Großteil der Arbeit der WHO im Bereich Bereitschaftsplanung und Gegenmaßnahmen für Notlagen bilden, sowie für die entscheidende Rolle, die die EU bei der Einrichtung der COVAX-Fazilität im Rahmen der Impfstoff-Säule der Initiative für einen raschen Zugang zu Instrumenten zur Bekämpfung von COVID-19 (des sog. ACT Accelerator) gespielt hat.

EPI und Impfstoffe

Mittlerweile ist mehr als ein Jahr vergangen seit Beginn dieser beispiellosen Pandemie.

Gegenwärtig ist die Europäische Region die am zweitstärksten betroffene Region aller WHO-Regionen und verzeichnet mehr als ein Drittel sowohl der gemeldeten Fälle als auch der Todesfälle weltweit.

Etwa 37 Länder in der Region haben mit der Ausgabe von Impfstoffen begonnen und insgesamt bislang fast 30 Mio. Dosen verabreicht. Die Entwicklung und Zulassung sicherer, wirksamer Impfstoffe weniger als ein Jahr nach dem ersten Auftreten eines neuen Virus ist ein beeindruckender wissenschaftlicher Erfolg.

Lassen Sie mich eines klarstellen: COVID-19-Impfstoffe sind keine Wunderwaffe. Sie allein werden diese Pandemie nicht stoppen können. Doch sie können zur Reduzierung der Krankheitslast beitragen und Menschenleben retten.

Wie prognostiziert ist die Nachfrage nach Impfstoffen in dieser frühen Phase deutlich größer als das Angebot. Das schiere Ausmaß der Impfstoff-Bereitstellung ist gewaltig – ebenso wie die damit einhergehenden Herausforderungen. Der vorherrschende Frust angesichts des unbeständigen Nachschubs an Impfstoffen ist verständlich. Die Produktion und Bereitstellung von Impfstoffen wird Zeit in Anspruch nehmen.

Daher ist Solidarität hier entscheidend. Die Produktion ausreichender Impfstoff-Dosen ist abhängig von internationaler Zusammenarbeit. Wenn die Länder sich bei Erforschung, Herstellungskapazitäten, Beschaffung und Investitionen in die Bereitstellung zusammentun, kann eine beispiellose Geschwindigkeit erreicht werden.

Die WHO hat wiederholt zum Handeln aufgefordert, um den gerechten und chancengleichen Zugang zu COVID-19-Impfstoffen sicherzustellen, die ein globales öffentliches Gut darstellen. Kein Land sollte Zugang zu mehr Impfstoffen erhalten, als es selbst benötigt, während andere Länder nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu den Vorräten erhalten. Aus diesem Grund ist die COVAX-Fazilität von solch großer Bedeutung. Nur eine gerechte Verteilung der Impfstoffe ist der richtige Weg – aus moralischen, ökonomischen wie auch sicherheitsrelevanten Gründen.

Daher bitte ich um Geduld und um Verständnis.

COVID-19 und seine Folgen

Auch wenn es durch die Impfstoffe Grund zur Hoffnung gibt, sind wir noch lange nicht über den Berg.

Die Folgen der Pandemie sind weitreichend und langfristig. Ihre Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sind überall zu spüren, in allen Teilen der Gesellschaft.

Durch COVID-19 wurde die Gefahr von Nahrungsmittelunsicherheit und -knappheit verschärft, während ungesunde Ernährungsgewohnheiten zur Last durch nichtübertragbare Krankheiten beigetragen haben.

Darüber hinaus wurden durch die Pandemie Gesundheitsangebote stark beeinträchtigt und die nationalen Gesundheitssysteme gezwungen, Ressourcen umzuschichten.

Heute, zum Weltkrebstag, ist es besorgniserregend anzuerkennen, dass jedes dritte Land in der Europäischen Region mit der teilweisen oder vollständigen Beeinträchtigung der Krebsversorgung zu kämpfen hat, was für hunderttausende Krebspatienten direkte Auswirkungen auf die Chancen auf Heilung oder Überleben hat.

Regionen

In den vergangenen Monaten konnten wir in unseren Städten, in denen zwei Drittel der Bevölkerung der Europäischen Region leben, beobachten, dass eine starke kommunale Politiksteuerung ein Faktor ist, der zur erfolgreichen Eindämmung der Pandemie beiträgt.

Die Kommunalverwaltungen in der Europäischen Region standen und stehen noch immer bei der Eindämmung der Pandemie an vorderster Front.

Die Städte sind die Epizentren dieser Notlage, nicht nur im Hinblick auf die gemeinde- und landesweite Übertragung des Virus, sondern auch als Zentren der Gesundheitsversorgung sowie als Reise- und Handelszentren. Städte sind die staatliche Ebene, die den Menschen am nächsten ist. Darüber hinaus sind sie entscheidend für den Erfahrungsaustausch und den Kampf gegen Fehlinformationen, als Dienstleister und als zentrale Elemente einer nachhaltigen Zukunft.

Neue Vereinbarung

Im späteren Verlauf des Jahres soll die Paneuropäische Kommission für nachhaltige Entwicklung unter der Leitung des früheren EU-Kommissars Mario Monti ihre Ergebnisse vorlegen. Die Kommission ist damit beauftragt, die politischen Prioritäten vor dem Hintergrund von Pandemien zu überdenken.

Die gegenwärtigen Herausforderungen erfordern ein Überdenken unserer Prioritäten und das Suchen nach neuen Arbeitsweisen. Die Europäische Region ist in der glücklichen Lage, bereits Schritte in diese Richtung unternommen zu haben, in dem Bestreben, Chancengleichheit im Gesundheitsbereich zu erreichen und die entscheidende Bedeutung der sozialen, ökonomischen und umweltbezogenen Determinanten von Gesundheit besser zu verstehen.

Am heutigen Tag werden WHO/Europa und der Ausschuss der Regionen ihre Partnerschaft mit der Unterzeichnung einer neuen Vereinbarung sowie eines begleitenden Aktionsplanes auf Grundlage des Europäischen Arbeitsprogramms 2020–2025 – „Gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa“ (EPW) erneuern. Die politischen Prioritäten des Europäischen Ausschusses der Regionen im Zeitraum 2020–2025, seine jährlichen Arbeitsprogramme und das neue Gesundheitsprogramm 2021–2027 der Europäischen Kommission bilden die Grundfesten unserer Partnerschaft.

Dies ist ein wichtiger Meilenstein in unserem Bestreben, unsere Arbeit mit unseren Zielen in Einklang zu bringen.

Bei unserer Partnerschaft geht es darum:

  • die Erwartungen der Bürger an ihre Regierungen im Hinblick auf die Gewährleistung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung ohne finanzielle Härten zu erfüllen;
  • das Wissen und die Politikgestaltung und -steuerung von 1 Mio. kommunaler und regionaler europäischer Politiker im Hinblick auf die Gesundheit in ihren Wahlkreisen bestmöglich zu nutzen; und
  • einen robusten Wiederaufbau nach COVID-19 mit widerstandsfähigen Gesundheitssystemen und einer starken primären Gesundheitsversorgung zugunsten florierender Gemeinschaften zu gewährleisten.

Abschluss

Ich hoffe, dass ich auf die volle Mitwirkung des Ausschusses der Regionen bei den Flaggschiff-Initiativen der WHO zählen kann: dem Bündnis für psychische Gesundheit, der Initiative „Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln mit Hilfe digitaler Gesundheitsangebote“, der Europäischen Impfagenda 2030 und der Initiative „Gesundheitsförderliches Verhalten: Berücksichtigung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse“.

Ich möchte dem Ausschuss für seine Teilnahme an der Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa im letzten September, vertreten durch das Mitglied Birgitta Sacredeus, danken. Dadurch haben Sie die Rolle lokaler regionaler Behörden im Kampf gegen COVID-19 verdeutlicht. Zudem möchte ich dem Ausschuss dafür danken, dass er der COVID-19-Impfkampagne eine solch starke Stimme verliehen hat.

Abschließend möchte ich Präsident Tzitzikostas und unseren Freunden im Europäischen Ausschuss der Regionen dafür danken, dass Sie diese Vereinbarung in die Realität umsetzen. Angesichts dieses guten Willens und dieses Engagements freue ich mich darauf, unsere gemeinsame Vision von mehr gesundheitlicher Chancengleichheit für alle in der Europäischen Region lebendig werden zu lassen.

Vielen Dank.