Erklärung – Pandemiewelle lässt Zahl der Todesfälle in der Europäischen Region der WHO auf über eine Million anwachsen
Presseerklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
15. April 2021
Guten Morgen, guten Tag!
Zu den Hoffnungsschimmern in Bezug auf COVID-19 gehört die Tatsache, dass die Pandemie die dringende Notwendigkeit der Gewährleistung eines chancengleichen Zugangs zur Gesundheitsversorgung verdeutlicht hat.
Heute Morgen hatte ich das Vergnügen, zusammen mit dem griechischen Gesundheitsminister das von den griechischen Behörden eingerichtete Büro Athen für Versorgungsqualität hier in der griechischen Hauptstadt zu eröffnen. Dieses Kompetenzzentrum wird sich mit den Bedürfnissen der Länder im südöstlichen Teil der Europäischen Region und im Mittelmeerraum befassen und dabei Schwerpunkte auf fachliche Hilfe, Unterstützung und Führungskompetenz in den Bereichen Versorgungsqualität und Patientensicherheit legen. Dies ist ein enormer Meilenstein für Griechenland wie auch die WHO – und für die Millionen Menschen, die in den kommenden Jahren von dieser Arbeit profitieren werden.
Bevor ich auf die COVID-19-Situation eingehe, möchte ich unterstreichen, dass wir unseren Blick nicht von anderen gesundheitlichen Gefahren abwenden dürfen – deshalb wird WHO/Europa heute einen bahnbrechenden Bericht über aktuelle Trends in Bezug auf Alkoholkonsum, Alkoholpolitik und alkoholbedingte Schäden präsentieren.
Eine Million
Vergangene Woche wurde in der Europäischen Region der WHO die Marke von einer Million Todesfälle infolge von COVID-19 überschritten.
Die Situation in unserer Region ist ernst: Woche für Woche werden 1,6 Mio. neue Fälle gemeldet. Das sind 9500 Fälle pro Stunde, 160 Menschen pro Minute.
Nur in den ältesten Altersgruppen sinkt die Inzidenz. Seit zwei Monaten weicht der Trend in der Altersgruppe über 80 Jahre von dem Trend für alle anderen Altersgruppen ab, was möglicherweise der hohen Inanspruchnahme der Impfungen in dieser besonders gefährdeten Gruppe zu verdanken ist. Seit Februar ist der Anteil der über 80-Jährigen an den durch COVID-19 bedingten Todesfällen in der Europäischen Region allmählich auf fast 30% gesunken, das niedrigste Niveau seit Beginn der Pandemie.
Doch die Zahl der Krankenhauseinweisungen befindet sich immer noch auf einem hohen Niveau, und es gibt weiterhin Berichte über die Überschreitung der Kapazitäten von Intensivstationen – aus allen Teilen unserer Region, also auch Griechenland. Im April hat die Zahl der durch COVID-19 bedingten Einweisungen in Krankenhäuser und auf Intensivstationen in Frankreich das höchste Niveau seit einem Jahr erreicht.
Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich die Übertragung in einigen Ländern womöglich verlangsamt. Doch verstehen Sie mich nicht falsch: erste Anzeichen eines Rückgangs bedeuten nicht, dass die Übertragungsraten niedrig sind. Die Übertragungsraten müssen dauerhaft auf ein niedriges Niveau gesenkt werden, indem wir all unsere Energie und Widerstandskraft darauf ausrichten, das Virus zu besiegen.
Es kommt entscheidend auf die Verfügbarkeit aller gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen an, einschließlich der Impfkampagnen. Die Anpassung sozialer Maßnahmen darf nicht anhand von Impfzielen, sondern muss auf der Grundlage epidemiologischer Gegebenheiten sowie der Fähigkeit unserer Gesundheitssysteme und ihres Personals zur Bewältigung von COVID-19 und zur Aufrechterhaltung grundlegender Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens erfolgen.
Sicherheit ist das oberste Gebot.
Weltweit hat es unter den 200 Mio. Menschen, die den Impfstoff von AstraZeneca erhalten haben, eine sehr kleine Zahl von Fällen mit seltenen Blutgerinnseln gegeben.
Die WHO nimmt solche sicherheitsrelevanten Ereignisse äußerst ernst, und unser Globaler Beratender Ausschuss für Impfstoffsicherheit und der Strategische Beirat für Immunisierungsfragen prüfen weiter laufend die neuesten Erkenntnisse. Die WHO wird den Mitgliedstaaten diesbezüglich in Kürze Empfehlungen vorlegen. Wir appellieren dringend an die Mitgliedstaaten, jegliche unerwünschte Ereignisse, die nach Impfungen auftreten, unverzüglich zu melden.
Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Gefahr der Entstehung von Blutgerinnseln für Patienten mit COVID-19 deutlich höher als für mit der Vakzine von AstraZeneca geimpfte Personen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Impfstoff von AstraZeneca wirksam dazu beiträgt, die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle infolge von COVID-19 zu senken. Die WHO empfiehlt daher allen in Frage kommenden Erwachsenen, sich zum Schutz vor SARS-CoV-2 so bald wie möglich mit ihm impfen zu lassen.
Wir haben auch von thromboembolischen Ereignissen mit niedriger Blutblättchenzahl nach einer Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von Johnson & Johnson gehört. Die WHO verfolgt diese Berichte aufmerksam und wird ihre Befunde zu gegebener Zeit mitteilen.
Bisher wurden in der Europäischen Region ca. 171 Mio. Dosen von insgesamt sieben COVID-19-Impfstoffen und Produkten verabreicht. Fast 13% der Bevölkerung der Europäischen Region haben eine Dosis Impfstoff erhalten, knapp 6% sind vollständig geimpft.
In Griechenland, wo ich mich jetzt befinde, haben 1,6 Mio. Menschen oder 16% der Bevölkerung mindestens eine Dosis erhalten, und 7% verfügen über einen vollständigen Impfschutz.
Ich gratuliere meinen Kollegen in Griechenland zu ihren umfassenden Vorbereitungen, dank derer das Land die Impfstoffe so effizient verteilen und anwenden konnte. Als Mitglied der Europäischen Union hat Griechenland Solidarität demonstriert, indem es die COVAX-Fazilität unterstützt hat und indem es anerkannt hat, dass Wirtschaft und Wohlstand eines Landes eng mit dem Wohlstand eines anderen Landes verknüpft sind, in diesem Fall mit dem Ziel, das Virus zu besiegen.
Doch es kommt auch auf Chancengleichheit innerhalb von Landesgrenzen an.
Chancengleichheit spielt nicht nur zwischen Ländern, sondern auch innerhalb von Ländern eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass der Zugang zu Impfstoffen und deren Anwendung nicht die unterversorgten Gruppen noch weiter an den Rand treiben.
Hier ist Griechenland mit gutem Beispiel vorangegangen. Die gesamte Flüchtlings- und Migrantenpopulation des Landes – mehr als 100 000 Menschen – wurde zurecht in die nationale Impfstrategie aufgenommen – ebenso wie die Allgemeinbevölkerung. Meinen Glückwunsch, Herr Minister. Für kommenden Monat sind Massenimpfkampagnen in Flüchtlingslagern in Griechenland geplant.
Ich betone nochmals, dass die Impfung von nur wenigen Auserwählten unter Ausschluss ganzer Bevölkerungsschichten unseren Kampf gegen das Virus in aller Welt gefährdet.
Bevor ich an den Herrn Minister übergebe, möchte ich ihm noch für die freundliche Begrüßung danken – und für seine Führungskompetenz und Beharrlichkeit in den vergangenen Monaten.
All jenen, die mit ihren Angehörigen jetzt den Ramadan begehen, wünsche ich besinnliche Feiertage, verbunden mit der dringenden Bitte: achten Sie dabei auf Ihre Sicherheit.
Ramadan Kareem. Ich danke Ihnen.