Ansprache Ihrer Königlichen Hoheit der Kronprinzessin von Dänemark an die 69. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa
16. September 2019
Sehr geehrter Herr Generaldirektor, sehr geehrte Frau Regionaldirektorin, sehr geehrter Herr Minister Heunicke, sehr geehrte Damen und Herren Minister, sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren!
Es ist mir eine Ehre, erneut die Gelegenheit zu erhalten, im Rahmen dieser 69. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa zu Ihnen zu sprechen. Die Zeit vergeht wie im Fluge und während der Vorbereitung auf diese Tagung wurde mir bewusst, wie schnell sie vergeht. Denn dies ist bereits mein fünfzehntes Jahr als Schirmherrin des WHO-Regionalbüros für Europa und in zehn dieser fünfzehn Jahre hatte ich das besondere Vergnügen, mit der Regionaldirektorin Dr. Zsuzsanna Jakab zusammenzuarbeiten.
In dieser Zeit wurden eindrucksvolle Fortschritte in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden in der gesamten Region erzielt und das Rahmenkonzept „Gesundheit 2020“ hat sich als ein leistungsfähiges Instrument erwiesen, um politischen Konsens herbeizuführen und ressortübergreifende Maßnahmen für mehr Gesundheit voranzutreiben. „Gesundheit 2020“ hat die Region in eine günstige Lage versetzt, um die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen und dabei niemanden zurückzulassen, weder in Bezug auf die Gesundheit noch im Leben.
Der Rahmen von 15 Jahren, den sich die Welt gesetzt hat, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist ehrgeizig und – wie ich bereits sagte – die Zeit vergeht wie im Fluge. In diesem Jahr werden Sie Maßnahmen erörtern, um die gesundheitliche Chancengleichheit zu stärken, die das Potenzial hat, die Fortschritte im Hinblick auf die Verbesserung von Gesundheit für alle zu beschleunigen und ungerechte, vermeidbare Unterschiede in Bezug auf die Lebensumstände der Menschen abzubauen, die dem Leben Grenzen setzen und Menschen daran hindern, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Säuglinge, die in Haushalten und Wohngegenden mit geringen Ressourcen geboren werden, nicht gedeihen können. Es ist unerträglich, dass Armut, unsichere Wohnverhältnisse, soziale Isolation, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und ein beschränkter Zugang zu hochwertigen, bezahlbaren Gesundheitsleistungen das Leben der Menschen verkürzen. Es ist eine Tragödie, dass derartige Ungleichgewichte die Lebenserwartung einer Frau um bis zu 7 Jahre und die Lebenserwartung eines Mannes um bis zu 15 Jahre verkürzen können. 15 Jahre voller Erfahrungen, Möglichkeiten, Weisheit, Lachen und Liebe, die fehlen.
Wir müssen die gesundheitliche Chancengleichheit verbessern, weil es – um es in den Worten von Professor Marmot auszudrücken – „die richtige Entscheidung ist“. Darüber hinaus ist es eine kluge Entscheidung, denn gesundheitliche Ungleichgewichte gefährden die finanzielle Nachhaltigkeit, führen zu Verlusten am Arbeitsmarkt, zu einer Verringerung der Steuerbemessungsgrundlagen und zu einer Erhöhung der Aufwendungen für Renten und Sozialhilfe. Und falls weitere Argumente erforderlich sind, würde ich hinzufügen, dass es auch eine nachhaltige Entscheidung ist, mit der sich das Ziel von Wohlstand und Frieden in der Europäischen Region stärken lässt.
Letzte Woche veröffentlichte die WHO in London den Sachstandsbericht über gesundheitliche Chancengleichheit in der Europäischen Region, in dem die politischen Beschlüsse aufgeführt werden, die gesundheitliche Benachteiligungen bewirken, sowie die fünf Risikofaktoren, die die Menschen einschränken. Die zentrale Erkenntnis, dass ein Abbau der Ungleichgewichte um 50% finanzielle Vorteile in den Ländern in Höhe von 4,3% des Bruttoinlandsprodukts zur Folge hätte, stützt eindeutig das wirtschaftliche Argument für mehr gesundheitliche Chancengleichheit. Der Bericht liefert die Daten und Instrumente, die den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung gesundheitlicher Ungleichgewichte als Orientierungshilfe dienen und innerhalb kürzester Zeit zu sichtbaren Erfolge verhelfen können. Ich hoffe, dass Ihre Diskussionen in den kommenden Tagen auch die Erfahrungen und Lösungsansätze widerspiegeln werden, die im Juni bei der Konferenz in Ljubljana zum Thema Beschleunigung der Fortschritte im Hinblick auf gesundheitliche Chancengleichheit erörtert wurden.
Die Dringlichkeit einer verbesserten gesundheitlichen Chancengleichheit wird klarer, wenn wir anerkennen, dass die Europäische Region zwar insgesamt auf dem richtigen Weg ist, um die SDG zu verwirklichen, die mangelnden Fortschritte beim Abbau gesundheitlicher Ungleichgewichte jedoch bedeuten, dass wir im Hinblick auf die Verwirklichung von SDG 10 (weniger Ungleichheiten) und SDG 3 (mehr Gesundheit und Wohlergehen für alle) ins Hintertreffen geraten.
Das gegenwärtige Arbeitsprogramm der WHO, das „GPW 13“, setzt am Kern dieses Problems an und soll sicherstellen, dass 1 Milliarde Menschen mehr Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten. Dies erfordert verstärkte Bemühungen um eine zugängliche primäre Gesundheitsversorgung, die solch unentbehrliche Leistungen wie Impfungen und sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie die entsprechenden Rechte abdeckt.
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Schirmherrin habe ich mich aus persönlicher Überzeugung seit jeher vorrangig für Impfmaßnahmen eingesetzt. Jedes neugeborene Kind verdient die gleiche Chance, ein gesundes Leben zu führen, und dazu zählt es auch, alle empfohlenen Impfungen zu erhalten. Wir verfügen über sichere und wirksame Mittel, um zahlreiche Erkrankungen, wie etwa die Masern und Gebärmutterhalskrebs, zu eliminieren und zu verhindern, dass Menschen an Krankheiten leiden, die ihr Leben dauerhaft verändern oder ihnen das Leben nehmen können.
Allein die Tatsache, dass Kinder und Erwachsene in der Europäischen Region der WHO noch immer an Masern erkranken und an dieser Krankheit sterben, zeigt, dass wir unsere Vorgehensweise ändern und wir mehr tun müssen, um alle Teile der Gesellschaft mit auf Fakten gestützten Informationen über Impfungen und maßgeschneiderten Angeboten zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass Impfungen bei der Verwirklichung von 14 der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung eine zentrale Rolle spielen und einen Eckpfeiler der allgemeinen Gesundheitsversorgung und einer starken primären Gesundheitsversorgung darstellen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir die notwendigen Investitionen tätigen, um den Zugang zu Impfungen in allen Teilen der Gesellschaft auszuweiten.
Im gesamten Lebensverlauf haben integrierte Angebote im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit auf Ebene der primären Gesundheitsversorgung das Potenzial, das Leben der Menschen erheblich zu verbessern. Und doch ist die Einbettung solcher Angebote in der Region ungleich verteilt und oftmals fragmentiert. Die unerfüllten Bedürfnisse im Bereich der Familienplanung variieren in der Region zwischen 5% und fast 23% und fallen bei Menschen mit einem geringen sozioökonomischen Status, unter Migranten und unter Jugendlichen am höchsten aus. In allzu vielen Fällen gibt es nur unzureichenden Zugang zu hochwertigen und umfassenden Informationen und Angeboten. Jene Länder und Gesundheitssysteme, die sexueller und reproduktiver Gesundheit und den entsprechenden Rechten keine Priorität einräumen, die Mädchen nicht zu selbstbestimmtem Handeln befähigen und sich nicht für die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern einsetzen, werden sich schwer tun, und womöglich bei dem Versuch scheitern, die SDG zu verwirklichen.
Ich fordere Sie nachdrücklich dazu auf, Ihre Bemühungen zu intensivieren und so den Weg zu ebnen für eine umfassendere Versorgung und einen allgemeinen Zugang zu Angeboten im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit, damit Frauen und Mädchen in vollem Umfang und auf gleichberechtigte Weise zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen und ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Eine schlechte Gesundheitsversorgung verursacht für Haushalte und Gesundheitssystemen zusätzliche Kosten. So berichtete The Lancet erst kürzlich, dass die Müttersterblichkeit um die Hälfte gesenkt werden könnte, wenn 137 Länder mit geringem bis mittlerem Einkommen über hochwertige Gesundheitssysteme verfügten. Durch die Sicherstellung des Zugangs zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung für Frauen nicht nur während Schwangerschaft und Entbindung, sondern im gesamten Lebensverlauf, lassen sich Gesundheit, Wohlbefinden und die Zukunft von Kindern, Familien und Ländern verbessern.
Es ist alles andere als einfach, die komplexen Aspekte von sexueller und reproduktiver Gesundheit und der entsprechenden Rechte unter anhaltend problematischen politischen Bedingungen anzugehen. Und doch gibt es ausgezeichnete Beispiele aus Ländern in der Region für die Umsetzung von auf Rechten gestützten Handlungskonzepten, und es ist wichtig, von diesen Ländern zu lernen und sich über vorbildliche Praktiken wie gute Bedingungen für die Elternschaft und die Anstrengungen auszutauschen, die unternommen werden, um Männer für das weitere Vorgehen in diesem Bereich zu mobilisieren. Der Aktionsplan zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in der Europäischen Region der WHO hilft dabei, die Fortschritte in diesem Bereich zu beschleunigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass in diesem Jahr der 25. Jahrestag der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo begangen wird, die allgemein unter der Abkürzung ICPD bekannt ist. Das Aktionsprogramm der ICPD, das von 179 Mitgliedstaaten verabschiedet wurde, markierte den Wendepunkt, indem es die Rechte und Würde der Menschen in den Mittelpunkt der nachhaltigen Entwicklung rückte. Das Programm betont, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit ein grundlegendes Menschenrecht darstellt und dass die Befähigung von Frauen und Mädchen zu selbstbestimmtem Handeln einer der wirksamsten Wege ist, um das Wohlbefinden für alle zu verbessern.
Im November dieses Jahres werden die Regierungen von Kenia und Dänemark gemeinsam mit dem UNFPA in Nairobi den Gipfel zum 25. Jahrestag der ICPD unter dem Motto „Schnellere Verwirklichung der versprochenen Fortschritte“ ausrichten. Ziel dieser hochrangigen Konferenz ist es, die politische Entschlossenheit und die finanziellen Verpflichtungen zu mobilisieren, die wir so dringend benötigen, um das Aktionsprogramm der ICPD endlich vollständig umsetzen zu können. Der Schwerpunkt dieser Verpflichtungen liegt auf der Verwirklichung der folgenden Ziele: kein ungedeckter Bedarf an Familienplanungsangeboten und entsprechenden Informationen, keine vermeidbaren Todesfälle unter Müttern und keine sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt und schädlichen Praktiken gegenüber Frauen und Mädchen. Ich freue mich darauf, viele Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region bei der Konferenz in Nairobi anzutreffen.
Ich bin sicher, dass Sie durch die Umsetzung von „Gesundheit 2020“, die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit und der umfassenderen Rahmenbedingungen, die sich auf die Gesundheit auswirken, sowie den Aufbau einer wirksamen, integrierten primären Gesundheitsversorgung unter Abdeckung von Impfungen und Angeboten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in der Lage sein werden, die allgemeine Gesundheitsversorgung auszuweiten, das GPW 13 umzusetzen und die Fortschritte auf dem Weg zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen. Durch diese Maßnahmen werden Sie letztendlich das Leben vieler Menschen verbessern, und zwar gemeinsam mit den Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern, die Gefahr laufen ins Hintertreffen zu geraten. Sie werden die Menschen in der Europäischen Region in die Lage versetzen, sich zu entfalten und zu gedeihen.
Zum Abschluss möchte ich natürlich auch noch ein paar Worte über Dr. Zsuzsanna Jakab verlieren. Es war mir eine Ehre und eine Freude, in den letzten zehn Jahren mit ihr zusammenzuarbeiten und mich gemeinsam mit ihr für mehr Gesundheit für alle in der gesamten Europäischen Region einzusetzen. Wir sind weit miteinander gereist, haben viele Ihrer Länder besucht, haben zugehört, gelernt und diskutiert. Dabei war es unser gemeinsames Ziel, die Maßnahmen für mehr Qualität, Chancengleichheit und Nachhaltigkeit im Gesundheitsbereich und mehr Wohlbefinden in der Europäischen Region und darüber hinaus auszuweiten. Dies war für mich sowohl persönlich als auch professionell eine wahrhaft bereichernde Zeit und Erfahrung. Unter Zsuzsannas hervorragender und integrierender Führung hat die Europäische Region enorme Fortschritte gemacht und darüber hinaus den Weg geebnet, damit diese Fortschritte auch in Zukunft fortgeführt werden können.
Vielen Dank für Ihre unaufhörliche Energie, Ihren Tatendrang, Ihre Entschlossenheit und Ihre Fürsorge. Liebe Zsuzsanna, wir werden Sie vermissen!
Sie haben sich in den kommenden Tagen noch einmal eine ehrgeizige Tagesordnung vorgenommen und ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Diskussionen und Beratungen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.