Ansprache an das Regionalkomitee für Europa, Zweiundsechzigste Tagung

Dr. Margaret Chan
Generaldirektorin

Herr Präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren Minister, sehr geehrte Delegierte, Freunde und Kollegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Gestatten Sie mir, zunächst der Regierung Maltas für die Ausrichtung der 62. Tagung des Regionalkomitees für Europa zu danken.

Dies ist mein erster Besuch in diesem wunderschönen und anmutigen Land, dessen reiche Geschichte sich in so vielen Palästen und Plätzen widerspiegelt.

Sie haben viel zu der angenehmen Atmosphäre auf dieser Tagung beigetragen, aber auch zu ihrer effizienten Durchführung, und ich möchte allen Mitarbeitern hier im Land danken, die zu dieser Tagung beigesteuert haben.

Unser Wohlbefinden wird noch zusätzlich dadurch erhöht, dass Malta das Rauchen in allen öffentlichen Räumen verboten hat.

Im letzten Monat gab es im Bereich der öffentlichen Gesundheit einen spielentscheidenden Augenblick, in dem die Guten siegten.

Das höchste Gericht Australiens erklärte ein Gesetz für zulässig, das für alle Tabakprodukte eine schlichte, farblose Verpackung vorschreibt. Dieses Gesetz war natürlich von der Tabakindustrie heftig bekämpft worden.

Der Richterspruch ist ein großartiger Sieg nicht nur für die australische Regierung, sondern auch für die öffentliche Gesundheit, der eine schöne neue Welt für die Bekämpfung des Tabakkonsums eröffnet.

In diesem Fall wog die Sorge um den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung schwerer als der Schutz der geistigen Eigentumsrechte, die eine finanziell mächtige und skrupellose Branche geltend machen wollte.

Nicht nur mit den Tabakriesen, sondern auch mit anderen mächtigen Wirtschaftsbranchen stehen uns langwierige Auseinandersetzungen bevor, wobei wir es oft mit starken Kräften zu tun haben, auf die wir keinen Einfluss haben.

Die Finanzkrise von 2008 hat immer noch Auswirkungen auf eine große Zahl von Ländern. Die Volkswirtschaften Europas erleben zur Zeit einige Turbulenzen, wie Sie es gestern aus dem Munde unserer Kollegen von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gehört haben.

Einige sind von Wohlstand zu drakonischem Sparen übergegangen, so dass die Versorgung mit Gesundheitsleistungen heute weniger großzügig ist als in der Vergangenheit.

Ich danke jedem hier in diesem Saal vertretenen Land für den Einsatz zur Erhaltung seines Engagements für die Gesundheit auf nationaler, regionaler und globaler Ebene.

In Anlehnung an ein bekanntes Zitat: Gesundheit ist einfach zu groß zum Scheitern.

Ich kann dies hier mit solcher Gewissheit sagen, weil diese Region so viel getan hat, um einschlägige Evidenz zu sammeln und zu verdeutlichen, dass Gesundheit Wohlstand bedeutet.

Sie haben dies durch die Charta von Tallinn: „Gesundheitssysteme für Gesundheit und Wohlstand“ getan und erst vor kurzem mit dem Rahmenkonzept und der Strategie „Gesundheit 2020“.

Gesundheit hat in der Europäischen Region ihren hohen Stellenwert bewahrt, doch ist das Geld knapp, und die Regierungen achten genau auf ihre Ausgaben. So geraten die Gesundheitsministerien und auch die WHO unter enormen Druck, ihre empfohlenen Strategien durch solide Erkenntnisse über deren Wirksamkeit und Kosteneffektivität zu untermauern.

Angesichts der komplexen Aufgaben, vor denen wir heute stehen, müssen diese Erkenntnisse auch außerhalb von Gesundheitspolitik und Gesundheitswesen Resonanz finden und dafür entsprechend aufbereitet werden.

Ich möchte der Regionaldirektorin, meiner Gesinnungsschwester Zsuzsanna, ihrem Sekretariat und ihren Partnern für die außerordentlich umfangreiche Arbeit danken, die in die Vorbereitung der Unterlagen für diese Tagung geflossen ist.

Dazu zählen auch die Hintergrunddokumente, die eine beträchtliche Menge an Erkenntnissen über die sozialen Determinanten von Gesundheit, über sektorübergreifende Steuerung für mehr Gesundheit und über wirtschaftliche Argumente für Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit enthalten.

Es ist keine Überraschung, dass der Hauptschwerpunkt in diesen Dokumenten auf chronischen nichtübertragbaren Krankheiten liegt.

Die Dokumente enthalten praktische evidenzbasierte Ratschläge dafür, wie gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Konzepte unter sinnvoller Ausnutzung regulatorischer und fiskalischer Maßnahmen umgesetzt werden können.

Wir benötigen diese Art von Gebrauchsanleitung, wenn gesundheitliche Belange auch in andere Politikbereiche vordringen sollen.

Ich halte es für sehr wichtig, ökonomische Bewertungen der Wirkung konkreter Gesundheitsinterventionen vorzunehmen, etwa Maßnahmen zur Förderung von Tabakbekämpfung und körperlicher Betätigung, zum Abbau des schädlichen Alkoholkonsums, zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr, zur Thematisierung von Depressionen im gesamten Lebensverlauf und zur Bewältigung der Grundursachen von Adipositas und ernährungsbedingten Krankheiten.

Wir benötigen diese Argumente, um andere Politikbereiche zu überzeugen. Dabei ist sektorübergreifendes Handeln zugunsten von mehr Gesundheit nicht gerade eine Neuentdeckung.

Doch als im Jahr 1978 die Erklärung von Alma-Ata unterzeichnet wurde, war eine Zusammenarbeit mit Ressorts gefragt, die dem Gesundheitsbereich freundlich, ja geradezu geschwisterlich gesonnen waren, nämlich Bildung, Ernährung, Wohnungswesen oder Wasserver- und Abwasserentsorgung.

Heute dagegen wird der Kampf um den Schutz der öffentlichen Gesundheit zunehmend zu einem Konflikt zwischen gesundheitlichen Belangen und den Interessen mächtiger multinationaler Konzerne.

Jede Gesundheitspolitik, egal wie vernünftig oder langfristig sie angelegt ist, läuft, sobald sie als Bedrohung für eine fragile Volkswirtschaft gesehen wird, Gefahr, in dem Streben nach Wirtschaftswachstum und einem soliden BIP (Bruttoinlandsprodukt) beiseite geschoben zu werden.

So ist beispielsweise eine Gewichtsabnahme in der Bevölkerung am leichtesten erreichbar, wenn die Nahrungsmittelindustrie weniger ungesunde Lebensmittel verkauft, insbesondere billige, bequeme und geschmacksintensive Produkte mit hohem Energie- und geringem Nährstoffgehalt.

Es ist offensichtlich, dass dies nicht von allein geschehen wird.

Industriell hergestellte, stark verarbeitete Lebensmittel werden überall in der Welt zu neuen Grundnahrungsmitteln - ein Phänomen, das manche Forscher so treffend als „Snack Attack“ bezeichnet haben.

Die Werbeetats sind enorm, und die Werbung ist sehr genau auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet. Für Zusammenhänge mit der Prävalenz der Adipositas und der damit verbundenen Krankheiten gibt es zahlreiche Belege.

Wie schon im Bereich der Tabakbekämpfung ist auch hier für eine Trendwende eine Unterstützung durch Handlungskonzepte aus zahlreichen Ressorts außerhalb des Gesundheitsbereichs notwendig.

Von den in Ihren Dokumenten genannten Konzepten haben viele ihren Ursprung in der Europäischen Region. Ich finde es vollkommen angebracht, dass die Europäische Region ihre Führungsrolle auch künftig dadurch wahrnimmt, dass sie diese Konzepte mit einem soliden Fundus aus Erkenntnissen untermauert, der durch ein breites Wahlspektrum an Grundsatzoptionen ergänzt wird.

Meine Damen und Herren,

Die WHO und ihre Mitgliedstaaten stehen heute vor zwei großen Aufgaben, die wir unbedingt bewältigen müssen. Die erste ist die WHO-Reform. Die zweite ist die Einbeziehung von Gesundheit in die entwicklungspolitische Agenda nach 2015.

Bei unseren gemeinsamen Anstrengungen zur Bewältigung dieser beiden Aufgaben ist mir Ihr Rat teuer.

Die Europäische Region war schon immer an vorderster Front bei der Bekämpfung neuer Gesundheitsrisiken, mit denen später auch der Rest der Welt konfrontiert wird.

Sie hat traditionell die internationale Gesundheitspolitik allgemein und insbesondere die WHO am großzügigsten unterstützt.

Ich habe bereits Ihre Führungsrolle bei der Förderung gut funktionierender und gerechter Gesundheitssysteme hervorgehoben.

Sie haben zu der bahnbrechenden Erkenntnis beigetragen, dass lebensstilbedingte Faktoren das Risiko nichtübertragbarer Krankheiten erhöhen; sie führte im vergangenen Jahr zur Annahme der Erklärung von Moskau.

Es spricht für die Lebensqualität wie auch die Qualität der Gesundheitsversorgung in der Europäischen Region, dass der Altersmedian ihrer Bevölkerung verglichen mit dem in allen anderen Weltregionen der höchste ist. Das Thema „Altern in Gesundheit“ ist auf Ihrer Tagesordnung, und eine Strategie und ein Aktionsplan sollen in den kommenden Jahren den Weg weisen. In dem Dokument über gesundes Altern wird die Notwendigkeit einer sehr viel positiveren Einstellung in Bezug auf das Altwerden hervorgehoben. Dieser Sichtweise kann ich mich nur anschließen.

Aus für den diesjährigen Weltgesundheitstag erstellten Statistiken geht hervor, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre die Zahl der Menschen über 65 Jahre erstmals die Zahl der Kinder unter fünf Jahren übersteigen wird.

Anders ausgedrückt: Für die Weltbevölkerung wird es allmählich zu einer neuen Normalität, zu den höheren Altersgruppen zu gehören. Und es ist mir eine Ehre, einer dieser Gruppen anzugehören. Ein Lebensverlaufansatz, wie er in „Gesundheit 2020“ propagiert wird, ist einer der besten Wege, um die gesundheitlichen Bedürfnisse älterer Menschen so lange wie möglich auf einem normalen Niveau zu halten.

Für die Reform der WHO, die ebenfalls auf Ihrer Tagesordnung steht, ist die Frage der Finanzierung eine wichtige Triebfeder. Ich habe Prof. Thomas Zeltner aus der Schweiz gebeten, mich bei der Vorbereitung der Unterlagen zur Sondertagung des PBAC (Programm-, Haushalts- und Verwaltungsausschusses) in diesem Jahr zu beraten. Er wird sich um Beiträge aller beteiligten Parteien bemühen, so dass ich meine Anregungen auf Ihre Realitäten gründen und sie pragmatisch, durchführbar und annehmbar für alle Teilhaber in dieser Organisation machen kann. In Ihrem Dokument zu diesem Thema wird festgestellt, dass einige Reforminitiativen, etwa die zu den Führungsfragen, schnell umgesetzt werden können, während sich andere aufgrund der Natur der Sache erst allmählich entwickeln und daher erst in einigen Jahren ihre volle Wirkung entfalten werden.

Von Anfang an lag der Reformprozess in den Händen der Mitgliedstaaten. Vor Ihnen liegen die Entwürfe des Zwölften Allgemeinen Arbeitsprogramms und des nächsten Programmhaushalts.

Diese Entwürfe vermitteln Ihnen zum ersten Male in der 65-jährigen Geschichte der WHO einen Einblick, wie die Prioritätensetzung in der Praxis funktioniert.

Die Mitgliedstaaten haben darum gebeten, dass sie von den Regionalkomitees geprüft und erörtert und anschließend vom Sekretariat überarbeitet werden. Wir werden die Dokumente gemäß der Konsultation überarbeiten und dem PBAC sowie dem Exekutivrat vorlegen. Beachten Sie bitte, dass an beiden Dokumenten noch gearbeitet wird.

Meine Damen und Herren,

Das Zieldatum für die Erfüllung der Millenniums-Entwicklungsziele nähert sich mit Riesenschritten. Die Debatte über die Entwicklungsagenda nach 2015 ist schon voll entbrannt.

Lassen Sie mich Ihnen versichern:Die WHO bemüht sich an vorderster Front darum, in diese Debatte Prozesse und Procedere einzubringen, die die Berücksichtigung eines breiten Spektrums von Sichtweisen gewährleisten sollen. Es finden zur Zeit eine Vielzahl politischer und fachlicher Entwicklungsprozesse statt. Die WHO arbeitet mit vielen Partnern und auch mit Organisationen der Vereinten Nationen zusammen.

Die Verfolgung der Millenniums-Entwicklungsziele hat uns viele wertvolle Erkenntnisse beschert. So haben wir gelernt, dass ein gut funktionierendes, integratives Gesundheitssystem, das eine finanzielle Absicherung gegen ruinöse Gesundheitsausgaben bietet, unverzichtbar ist.

Ferner haben wir gelernt, dass wirksame Hilfe Selbstständigkeit fördert. Ihr Ziel besteht darin, die Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen. Dies wird dadurch erreicht, dass Ressourcen so kanalisiert werden, dass bestehende Kapazitäten und Infrastrukturen gestärkt und nicht umgangen oder untergraben werden.

Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, die internationalen Anstrengungen auf eine begrenzte Zahl zeitgebundener Ziele zu konzentrieren, die in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten sowie natürlich unter Entwicklungspolitikern die nötige Resonanz finden. Einzelne Krankheiten haben stark von Innovationen profitiert, insbesondere von neuen Finanzierungsmechanismen und fachlichen Neuerungen wie neuen Impfstoffen, besseren Arzneimitteln, patientenfreundlicheren Formulierungen und vereinfachten, patientennahen Diagnosetests.

Dies sind einige der Erfolge, die maßgeblich zu einem dramatischen Rückgang von Morbidität und Mortalität beigetragen haben. Sie haben den Weg für eine neue politische Tagesordnung geebnet, die auf dem Erreichten aufbauen kann. Und es freut mich, hier unsere Kollegen von der GAVI und dem Globalen Fonds zu sehen: Sie sind unsere natürlichen Partner.

Doch wie ich schon sagte, wir müssen es unbedingt richtig machen. Die Millenniums-Entwicklungsziele haben die Prioritäten in der Entwicklungspolitik stark beeinflusst und eine Umlenkung von Ressourcenströmen zur Folge gehabt. Es wird daher eine große Versuchung geben, die Zahl der Ziele zu erweitern, anstatt die Agenda prägnant, zielgerichtet, zeitlich gebunden und realistisch zu halten. Es gibt somit um die Aufnahme von Zielen in die Liste einen eifrigen Wettstreit zwischen den Sektoren.

Wenn wir an die Agenda nach 2015 denken, dürfen wir nie vergessen, dass die gesundheitsbezogenen Millenniums-Entwicklungsziele zum überwiegenden Teil den Themenkomplex Infektionskrankheiten betrafen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts stellten Aids, Tuberkulose und Malaria gesundheitliche Notlagen dar, die stark zielgerichtete Anstrengungen zur Unterbindung der weiteren Ausbreitung der Epidemien und zur Reduzierung der Zahl der Todesfälle erforderlich machten. Dementsprechend wurde gehandelt.

Heute können die Bemühungen zur Bekämpfung dieser Krankheiten im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsversorgung erfolgen und müssen nicht mehr als Notfallmaßnahmen durchgeführt werden. Umgekehrt kann die allgemeine Gesundheitsversorgung umfassend von den verfeinerten und vereinfachten Strategien profitieren, die zur Bekämpfung dieser Krankheiten entwickelt wurden.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der neue Grundsatz der WHO, Malariamedikamente nur bei entsprechender Diagnose abzugeben, hat die Surveillance-Kapazität für alle Krankheiten gestärkt.

Mein Rat lautet: Auf keinen Fall den heute bestehenden Druck auf impfpräventable Krankheiten sowie auf Aids, Tuberkulose, Malaria und die vernachlässigten Tropenkrankheiten zu verringern. Ständige Mutationen und Anpassungen sind die Überlebensmechanismen in der Welt der Mikroben.

Durch Sorglosigkeit erhalten die Infektionskrankheiten eine ideale Chance, mit aller Macht zurückzukehren. Ich muss nur auf die Probleme verweisen, die wir bereits im Bereich der antimikrobiellen Resistenz haben.

Die bei der Bekämpfung dieser Krankheiten gewonnene Dynamik darf 2015 nicht zum Stillstand kommen.

Die Millenniums-Entwicklungsziele haben uns auch gelehrt, dass Gesundheit auf jeder Entwicklungsagenda einen hohen Stellenwert verdient.

Gesundheit ist eine Voraussetzung für Entwicklung. Und sie ist eine mächtige Triebkraft des sozioökonomischen Fortschritts.

Weil ihre Determinanten so breit gestreut sind, ist Gesundheit auch ein sensibler Indikator für die Auswirkungen von Handlungskonzepten in allen Politikbereichen auf das Wohlbefinden der Bürger.

Dazu nur ein Beispiel: Wenn Handelspolitik, Zölle und Agrarsubventionen die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben, dann werden die negativen Folgen im Gesundheitsbereich am schnellsten sichtbar in der Form von Hunger (wie wir es jetzt in der Sahelzone erleben) oder von Fehlernährung. Veränderungen in Bezug auf den Gesundheitsstatus sind auch das einfachste und zuverlässigste Anzeichen dafür, dass eine Anpassung der politischen Konzepte notwendig ist.

Wie ich schon sagte: Gesundheit ist zu groß für ein Scheitern. Wenn sie verloren geht, geht auch alles andere verloren.

Deshalb ist es erfreulich, dass in dem offiziellen Ergebnisdokument des Rio+20-Gipfels der Gesundheit ein zentraler Stellenwert eingeräumt wird: als einer Voraussetzung und einem Indikator für Entwicklung.

In dem Dokument wird auch die Bedeutung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung für die Förderung von Gesundheit, gesellschaftlichem Zusammenhalt und einer nachhaltigen menschlichen und wirtschaftlichen Entwicklung hervorgehoben.

Allerdings muss noch mehr getan werden, um der Gesundheit auch einen angemessenen Platz auf der künftigen entwicklungspolitischen Agenda zu verschaffen.

Die Millenniums-Entwicklungsziele waren eine Zielvereinbarung zwischen den Entwicklungsländern mit ihren Bedürfnissen und den wohlhabenden Ländern, die versprachen, angesichts dieser Bedürfnisse durch Zusage von Geldern, Sachverstand und Innovation zu helfen.

Anders ausgedrückt, waren sie eine Vereinbarung zwischen Vermögenden und Habenichtsen, mit der die Kluft hinsichtlich der Lebensbedingungen verringert und enormes menschliches Elend gelindert werden sollte.

Doch wenn wir das Wesen der heutigen Gesundheitsgefahren betrachten, so reicht eine einfache Zielvereinbarung zwischen Vermögenden und Habenichtsen nicht aus, um der Komplexität dieser Bedrohungen gerecht zu werden.

Viele dieser Bedrohungen entstehen aus den Realitäten einer Welt, die durch eine radikale Zunahme von Interdependenz und gegenseitiger Verzahnung gekennzeichnet ist.

In der jüngsten Vergangenheit hat das Thema öffentliche Gesundheit in einen einzigartigen politischen Raum Einzug gehalten. In zunehmendem Maße werden gesundheitsgefährdende Bedingungen durch Kräfte geschaffen, die die gesamte Welt prägen. Heute haben die internationalen Systeme oft mehr Einfluss auf das Leben und die Chancen der Bürger als souveräne Staaten; dies betrifft auch die Chance auf eine hohe Lebenserwartung bei guter Gesundheit.

Denken Sie noch einmal an das Thema Adipositas, insbesondere unter Kindern, und an die cleveren Werbespots für ungesunde Lebensmittel und Getränke, die an Kinder gerichtet sind und über Satellitenfernsehen ausgestrahlt werden. Sie können auf Kinder zielende ethisch unverantwortliche Werbung für ungesunde Lebensmittel vielleicht in Ihrem Land verbieten und dennoch kann diese Ihre Bevölkerung über andere Länder erreichen.

Unsere Welt ist in großen Schwierigkeiten. Eine Vielzahl von Problemen hat vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit.

Zu den Problemen gehören der Klimawandel, immer mehr Notlagen und Katastrophen, immer mehr Kriegsschauplätze, rapide steigende Kosten für die Gesundheitsversorgung, hochschnellende Lebensmittelpreise, die demografische Überalterung, die rapide Verstädterung und die Globalisierung ungesunder Lebensgewohnheiten.

Darüber hinaus wird unsere Welt auch durch einen anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung, finanzielle Unsicherheit, schrumpfende Chancen, insbesondere für die Jugend und die Mittelschicht, sowie eine sich vertiefende Armut und sich verschärfende soziale Ungleichheiten geprägt. Dies sind weltweite Trends, von denen viele die unaufhörliche Ausbreitung der nichtübertragbaren Krankheiten begünstigen.

Wie ich schon sagte, bekommt der Gesundheitsbereich die Folgen des Handelns anderer Politikbereiche zu spüren. Ich mache mir keine Illusionen. Wir verstehen auch, welche gewaltige Herausforderung das für Sie als Gesundheitsminister bedeutet. Innerhalb der Regierungen wie auch auf internationaler Ebene wird die Gesundheitspolitik nie über so viel Einfluss und Mittel verfügen wie die Ressorts Finanzen, Handel oder Verteidigung.

Dies spiegelt wahrscheinlich die Tendenz führender Politiker wider, die nationale Fortschrittsagenda sehr eng am Wirtschaftswachstum und am Anstieg des Bruttonationalproduktes auszurichten.

Dennoch glaube ich, dass wir manche dieser Trends austricksen oder ihnen zumindest durch clevere Konzepte und überzeugende Argumente ausgleichend entgegenwirken können und dass wir dazu die Vielfalt an Erkenntnissen und praktischen Beispielen heranziehen sollten, die in Ihren Dokumenten geschildert werden.

Geld ist zwar wichtig, kann aber für sich allein nicht alles bewirken.

Für die Gesundheit gilt: Politische Konzepte, die explizit auf Chancengleichheit abzielen, führen zu besseren gesundheitlichen Ergebnissen und tun mehr zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, als Geld allein es kann.

Meiner Ansicht nach wäre es eine der wirksamsten Antworten auf all diese Herausforderungen, die allgemeine Gesundheitsversorgung zum festen Bestandteil der Entwicklungsagenda nach 2015 zu machen. Meiner Ansicht nach ist eine allgemeine Gesundheitsversorgung der wichtigste Einzelfaktor mit sozial stabilisierender und ausgleichender Wirkung. In vielen Ihrer Länder tun Sie dies bereits mit Erfolg. Die WHO arbeitet mit der Weltbank daran, 60 Länder im Sinne des Ziels einer allgemeinen Versorgung zu beraten.

In einer Zeit, in der viele Ressorts mit ihrer Politik de facto die sozialen Ungleichheiten verschärfen, wäre ich hoch erfreut, wenn der Gesundheitsbereich der Welt den Weg zu mehr Gerechtigkeit weisen würde - einer Gerechtigkeit, die für alle Menschen auf unserem Planeten spürbar ist.

Meine Damen und Herren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.