Inspirierende Veränderungen: Führungskompetenz von Frauen in der Gesundheitsversorgung ist entscheidend während der COVID-19-Pandemie und darüber hinaus

WHO

COVID-19 trägt weiterhin zur Verschärfung bestehender Ungleichheiten bei und verursacht eine unverhältnismäßige Belastung für Frauen, auch in Gesundheitseinrichtungen. Weibliche Gesundheitsfachkräfte haben bei ihrer Arbeit an vorderster Front im Kampf gegen die Pandemie mit einer erhöhten Arbeitsbelastung, einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle, Engpässen bei passender persönlicher Schutzausrüstung sowie mit Belästigung und Gewalt zu kämpfen.

Obwohl Frauen 70% des Gesundheitspersonals ausmachen, nehmen sie nur 25% der leitenden Positionen ein.

„Die Pandemie war ein Rückschlag für die Frauenförderung und entsprechende Fortschritte. Viele Frauen befinden sich in einer unmöglichen Situation, in der sie mehreren Betreuungspflichten zu Hause und außerhalb ihres eigenen Haushalts nachkommen müssen. Wir sind äußerst besorgt über die Auswirkungen, die die Pandemie auf die psychische Gesundheit und das geistige Wohlbefinden von Frauen im Gesundheitswesen und darüber hinaus gehabt hat und noch immer hat“, erklärt Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder bei WHO/Europa.

In diesem Artikel erzählen vier Frauen in einflussreichen Führungspositionen aus der gesamten Europäischen Region der WHO von ihren Erfahrungen und fordern Veränderungen.

„Das Leben musste sich innerhalb eines Tages verändern“

Dr. Marija Zdravkovic ist Geschäftsführerin des medizinischen Zentrums der Universitätsklinik Bezanijska Kosa in Belgrad (Serbien), wo sie bereits seit über 22 Jahren arbeitet. In ihrer Funktion hat sie die Herausforderungen, der sich eine Gesundheitseinrichtung aufgrund der Pandemie gegenübersieht, nicht nur aus erster Hand miterlebt, sondern auch selbst bewältigt.

„Im Juni 2020 wurde unser Krankenhaus zu einem reinen COVID-Zentrum umgestaltet, und diese Zeit war für das gesamte Personal im Krankenhaus und natürlich für mich als Geschäftsführerin eine große Herausforderung. Nachdem wir in einen vollständigen COVID-Modus übergegangen waren, blieben uns weniger als 24 Stunden, um 248 nicht-COVID-Patienten in andere Krankenhäuser zu verlegen und alle epidemiologischen Vorbereitungen zu treffen, um als Haupt-COVID-Zentrum für die gesamte Region Belgrad zu fungieren. Doch wir haben es erfolgreich bewerkstelligt“, erklärt Dr. Zdravkovic.

Gesundheitsfachkräfte haben aufgrund ihrer Arbeit im Kampf gegen die Pandemie vermehrt mit Depressionen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit und Distress zu kämpfen. Weibliche Gesundheitsfachkräfte sind davon unverhältnismäßig stark betroffen.

„Das wichtigste Ziel war es, die Arbeit zu organisieren. Um dies so optimal wie möglich umzusetzen, legten wir die Arbeitszeit in der Regelversorgung auf sechs Stunden und auf der Intensivstation auf vier Stunden fest. Das war wichtig, da die Ärzte und das Pflegepersonal sich komplett auf die Patienten konzentrieren und Erschöpfung vorbeugen sollten, denn schließlich wussten wir nicht, wie lange diese Situation anhalten würde. Das Leben musste sich innerhalb eines Tages verändern“, erläutert Dr. Zdravkovic.

Dr. Zhamilya Abeuova, Leiterin des multidisziplinären bezirksübergreifenden Krankenhauses Enbekshikazakh in der Region Almaty in Kasachstan berichtet von ähnlichen Erfahrungen wie Dr. Zdravkovic. „Die Pandemie hat ein nie dagewesenes Umfeld für das Gesundheitssystem geschaffen. Innerhalb kurzer Zeit haben wir das gesamte medizinische Personal der Poliklinik, aus Krankenhäusern und Zentren für die primäre Gesundheitsversorgung sowie der Abteilung für Infektionskrankheiten umgeschult“, erklärt sie.

„Unsere Arbeit ist anstrengender geworden, da wir nun in erster Linie Notfalloperationen und komplexeren Operationen Priorität einräumen. Das Tempo, mit der die Veränderungen vor sich gingen, war sehr schnell und wir lernen kontinuierlich dazu und passen uns an“, erzählt Dr. Deborah McNamara, Oberärztin und Kolorektalchirurgin am Beaumont-Krankenhaus in Dublin (Irland).

„Ich war auch an der Ausarbeitung nationaler Handlungskonzepte beteiligt, die dazu beitragen sollen, Chirurgen in dieser Zeit zu unterstützen, zu gewährleisten, dass sie und ihre Teams sicher sind, und unsere Patienten zu schützen. Jeder Patient, den ich behandle, sowie die Tatsache, dass ich in der Lage bin, etwas zu tun, um ihr Leben radikal zu verändern und zu verbessern, spornt mich noch immer an“, fügt Dr. McNamara hinzu.

Stereotypen durchbrechen

Die Verbreitung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, patriarchalem Denken und Stereotypen in der medizinischen Ausbildung, bei der Arbeit und in allen Teilen der Gesellschaft führen dazu, dass Frauen in der Gesundheitsversorgung weniger verdienen und seltener dazu neigen, im Beruf aufzusteigen, oftmals auch aufgrund der Tatsache, dass sie mehreren Betreuungspflichten gleichzeitig nachkommen.

Als Vorsitzende der Arbeitsgruppe für die Verbesserung der Geschlechtergleichheit in der Chirurgie des Royal College of Surgeons in Irland ist Dr. McNamara mit ihrem Team auf zahlreiche Barrieren für die berufliche Weiterentwicklung von Frauen in der Chirurgie gestoßen, die noch immer ein von Männern dominiertes Feld darstellt. Derzeit machen Frauen lediglich 7% der chirurgischen Oberärzte in Irland aus.

„Wir haben festgestellt, dass sogar Schüler eine klare Vorstellung davon haben, was ein Chirurg ist und wie ein Chirurg aussieht. Und oft denken sie nicht an Frauen, wenn sie sich einen Chirurgen vorstellen. Viele weibliche Medizinstudenten erwägen nicht einmal eine Karriere in der Chirurgie“, erklärt sie.

Doch Dr. McNamara betont: „In den letzten Jahren wurden zu meiner Freude im ganzen Land Frauen zu chirurgischen Oberärztinnen ernannt, u. a. auch in meinem eigenen Krankenhaus. Es freut mich sehr zu sehen, dass Frauen in dieser Hinsicht vorangekommen sind, unterstützt durch unsere Arbeit für die Investition in die Messung der Kluft zwischen den Geschlechtern sowie entsprechende Schulungen und entsprechendes Mentoring.“

Auch wenn Fortschritte erzielt wurden, stagniert die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen bei der Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden, weiterhin.

„Die Medien spielen eine wichtige Rolle und müssen mehr dazu beitragen, dass die Führungskompetenz von Frauen gefördert wird und unangemessene und frauenfeindliche Kommentare vermieden werden. Wir müssen die Gleichheit zwischen den Geschlechtern schon frühzeitig fördern, angefangen bei Kindergärten, Schulen und Universitäten, auch im Ausbildungszweig Gesundheitsmanagement,“ merkt Dr. Zdravkovic aus Serbien an.

Stärkung der Stimme von Frauen in Führungspositionen

Frauen sind im globalen Gesundheitswesen für die Ausführung der Gesundheitsdienste zuständig, während die Männer die Gestaltung und Leitung übernehmen. Frauen sind in den nationalen bzw. globalen Entscheidungsprozessen im Kampf gegen COVID-19 weitgehend abwesend.

„Hier bei uns sind Frauen auf allen Ebenen vertreten, von der Praxis bis hin zur mittleren Führungsebene. Doch das ist nicht in allen Bereichen der Fall – im Managementsystem des öffentlichen Dienstes in Kasachstan nehmen Frauen traditionell Positionen an der Basis ein, während Männer weithin in Managementpositionen vertreten sind“, erläutert Dr. Abeuova.

„Und wenn unsere Gesellschaft die typische Führungsrolle von Männern wertschätzt, ist es für Frauen in Führungspositionen aufgrund der Normen in unserer Gesellschaft sehr schwer, Gehör zu finden“, fügt Dr. McNamara hinzu, die während ihrer gesamten Karriere eine Mentorin und ein inspirierendes Beispiel für andere weibliche Chirurgen gewesen ist und noch immer ist. „Die Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen und ihre Bereitschaft, für jüngere Kolleginnen einzutreten, die in ihrer Laufbahn möglicherweise schwere Zeiten durchmachen, sind wichtig.“

„Wir brauchen sowohl Frauen als auch Männer in Führungspositionen, denn wir alle bringen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven an den Tisch. Wir brauchen Frauen in Führungsrollen auf allen Ebenen des Managements, von der kommunalen zur regionalen und von der nationalen zur globalen Ebene – in allen Bereichen. Dies ist besonders wichtig im öffentlichen Gesundheitswesen, wo unsere Entscheidungen sich tagtäglich auf das Leben von Millionen von Menschen auswirken“, schließt Dr. Natasha Azzopardi-Muscat.