Renate de Bie – eine niederländische Hebamme berichtet von ihren Erfahrungen mit sicheren und friedlichen Hausgeburten
Die niederländische Tradition, Frauen mit risikoarmen Schwangerschaften die Wahl zu geben, ob sie eventuell zuhause entbinden wollen, ist wohl einzigartig.
„Schwangerschaft ist keine Krankheit. Wir Hebammen kennen uns am besten mit der Physiologie der Geburt aus und wachen darüber, wer in die Sekundärversorgung überwiesen wird“, erklärt Renate de Bie, eine 36-jährige Hebamme aus Utrecht. „Das zugrunde liegende Prinzip ist ein physiologischer Ansatz für die Entbindung anstatt einer Übermedikalisierung. Wir führen Frauen durch die Schwangerschaft, die Entbindung und die nachgeburtliche Phase und wenden uns nur an die Krankenhäuser, wenn wir eine medizinische Komplikation erkennen.“
In den Niederlanden ist die Mutterschaftsversorgung entlang des Modells der primären, sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung organisiert, wobei die Primärversorgung, die oft gemeindenah erfolgt, von selbständig praktizierenden Hebammen erledigt wird. Die sekundäre und tertiäre Ebene ist im Krankenhaus angesiedelt, aber nur, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. Hebammen halten sich an einen landesweit geltenden Leitfaden für die Bestimmung der benötigten Versorgungsebene aufgrund gewisser Komplikationsrisiken.
Hausgeburten: Intimität und Sicherheit
Renate arbeitet seit acht Jahren in einer Hebammenpraxis und hilft Frauen bei der Entbindung, auch bei ihnen zuhause. Obwohl sie inzwischen seit über zwei Jahren in einem Sekundärkrankenhaus arbeitet, erzählt Renate noch gern über ihre Erfahrungen mit Hausgeburten.
„Ich mochte es immer, mitten in der Nacht in einer dunklen Straße anzukommen, wo alle schliefen und keine Ahnung davon hatten, dass da gerade etwas ganz Besonderes passierte. Dann sehe ich ein einzelnes Licht brennen und denke mir: da muss ich hin.“ Das Ganze ist so intim, und eine Entbindung kann so ruhig verlaufen, wenn eine Frau sich vollständig geborgen fühlt. Wenn eine Familie mich in ihre Wohnung und ihr Schlafzimmer lässt, ist es für mich immer wie ein Privileg, dass man mir volles Vertrauen entgegenbringt. Auf dem Heimweg geht dann die Sonne auf, und ich habe das Gefühl, ich selbst strahle auch nach diesem einzigartigen Erlebnis. Wenn die Stadt langsam zum Leben erwacht, denke ich mir: Die Leute gehen zur Arbeit, und ein paar Studenten kommen aus dem Nachtleben nach Hause, während ich gerade ein Baby auf die Welt gebracht habe. Bei einer Geburt dabei zu sein, ist immer ein großartiges Gefühl.“
Wir wissen, was wir tun
„Hebammen durchlaufen eine strenge Ausbildung; wir wissen, was wir tun. Wir sind bestens dafür geschult, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Einmal wurde ich zu einer Geburt gerufen, während der es zu mehreren Komplikationen kam und keine Zeit mehr war, ins Krankenhaus zu fahren, weil das Baby so schnell kam. Da ich die Komplikationen erwartet hatte, hatte ich verschiedene Fachkräfte – meine Kolleginnen, ein Krankenwagen-Team und das Krankenhaus – benachrichtigt, sodass alle Beteiligten reibungslos zusammenarbeiten und das tun konnten, wofür sie ausgebildet wurden. Am Ende waren sowohl das Baby als auch die Mutter wohlauf und in stabiler Verfassung, als wir sie ins nahe gelegene Krankenhaus brachten. Obwohl wir das Baby beatmen und der blutenden Mutter eine Infusion geben mussten, erzählte die Familie später, dass sie sich keinen Augenblick lang unsicher gefühlt hätten. Ich finde, ein schöneres Kompliment kann man nicht bekommen. Auf dem Rückweg sagten meine Kollegin und ich zu einander: Dafür machen wir unseren Beruf, dafür werden wir ausgebildet, und da können wir etwas bewirken.“
Ein ganzheitlicher, personenorientierter Ansatz
Renate hebt die wesentliche Bedeutung der Infrastruktur für das Funktionieren des Systems hervor. „Wir leben in einem kleinen Land mit einer ausgezeichneten Infrastruktur: die Krankenhäuser sind immer in der Nähe, und wenn eine Hebamme eine medizinische Komplikation melden muss, kann darauf schnell und in enger Abstimmung mit dem gesamten beteiligten Personal reagiert werden.“
„Eine besondere, für das niederländische System der Mutterschaftsversorgung entscheidende Rolle spielen sog. ,Kraamverzorgende‘ – Nachsorgehelferinnen, die den Hebammen auch bei Hausgeburten zur Hand gehen können. Sie bleiben auch während der Wochenbettzeit bei der Familie des Neugeborenen, um die postnatale Versorgung zu erledigen. Die Assistentinnen sind während und nach der Geburt ein paar Stunden lang anwesend und können danach acht bis zehn Tage lang täglich zurückkommen und mindestens vier Stunden pro Tag bleiben. Sie sind unsere Augen und Ohren, sie können uns benachrichtigen, wenn mit dem Baby oder der Mutter etwas nicht in Ordnung ist, und sie achten auch auf die sozialen und psychologischen Einflussfaktoren in der Umgebung des Neugeborenen.“
„Für unser System müssen wir ständig kämpfen, damit es so ganzheitlich, physiologisch ausgerichtet und personenorientiert bleibt. Wir Hebammen können das am besten. Die meisten Geburten spielen sich heute im Krankenhaus ab und werden von einer Hebamme überwacht, ohne dass Ärzte anwesend sind, solange es zu keinen Komplikationen kommt. Glücklicherweise gibt es heute immer mehr Hebammen in den Krankenhäusern, die immer an die Selbstbestimmung und Physiologie der Mütter denken. Ich wünsche mir, dass die zuständigen Entscheidungsträger auf die Mütter hören, die zunehmend für ihr Recht eintreten, selbst zu entscheiden, was für sie am besten ist, und dass sie wirklich darüber nachdenken, was eine gute Versorgung eigentlich ausmacht.“