71. Weltgesundheitsversammlung geht mit einem neuen Kurs für die WHO zu Ende

WHO/A. Tardy

Die 71. Weltgesundheitsversammlung fand vom 21. bis 26. Mai 2018 in Genf statt. In ihrem sechstägigen Verlauf brachten die Delegierten die Organisation auf einen neuen Kurs.

In seiner Schlussrede erklärte Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, künftig würden alle Maßnahmen der WHO im Lichte der während der Woche mit dem neuen fünfjährigen Strategieplan der WHO angenommenen dreifachen Milliarden-Zielmarke evaluiert. Konkret zielt der Plan darauf ab, dass bis 2023:

  • eine Milliarde Menschen mehr Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten;
  • eine Milliarde Menschen mehr wirksamer vor gesundheitlichen Notlagen geschützt werden;
  • eine Milliarde Menschen mehr eine Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden erleben.

Dr. Tedros hob hervor: „Letztendlich ist es unsere Aufgabe, nicht den Mächtigen, sondern den Machtlosen zu dienen.“ Er stellte fest, der wahre Test für den Erfolg der Beratungen dieser Woche sei es, ob sie zu tatsächlichen Veränderungen vor Ort führten oder nicht. Er appellierte dringend an die Delegierten, in ihre Länder mit neuerlicher Entschlossenheit zurückzukehren, sich jeden Tag für die Gesundheit ihrer Bürger einzusetzen.

Sein Fazit lautete: „Der Enthusiasmus, den ich in dieser Woche gesehen habe, erfüllt mich mit Hoffnung und Zuversicht, dass es uns gemeinsam gelingt, die Gesundheit zu fördern, Sicherheit für die Welt zu schaffen und den Schwächsten zu helfen.“

Punkte von besonderem Interesse für die Europäische Region

In den letzten drei Tagen der Weltgesundheitsversammlung (24.–26. Mai 2018) stand ein breites Spektrum von Gesundheitsthemen auf dem Programm. Die Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region waren umfassend an diesen Diskussionen beteiligt. Darüber hinaus fanden auch eine Reihe von bilateralen Gesprächen, Fachinformationssitzungen und Nebenveranstaltungen statt.

Beiträge im Plenum

  • Digitale Gesundheit: Die Delegierten erkannten das große Potenzial digitaler Technologien im Hinblick auf die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit an und nahmen eine Resolution an, in der ihr gezielter Einsatz zur Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung propagiert wird. Ferner wird darin die WHO aufgefordert, an ihren bisherigen Erfolgen im Bereich der digitalen Gesundheit anzuknüpfen, eine globale Strategie für digitale Gesundheit zu entwickeln und den Ländern fachliche Hilfe bei der Ausweitung der Umsetzung zu gewähren. Insgesamt ergriffen 38 Delegierte das Wort, die allesamt die Resolution nachdrücklich unterstützten. Einige baten allerdings um Klarstellung hinsichtlich des Begriffs „digitale Gesundheit“ und hoben die wichtigen Zusammenhänge zwischen digitaler Gesundheit und Gesundheitsinformationssystemen, Gesundheitskompetenz und Big Data hervor. Viele unterstrichen auch die Notwendigkeit, die Rolle der Privatwirtschaft auf diesem Gebiet deutlicher herauszustellen. Zu dieser Diskussion trugen folgende Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region bei: Bulgarien (im Namen der Europäischen Union), Estland, Israel, Italien, Kasachstan, Malta, Norwegen, Polen, die Russische Föderation und die Türkei.
  • Vorsorgemaßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und die Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005): Die Delegierten begrüßten den Entwurf eines fünfjährigen globalen Strategieplans zur Verbesserung von Vorsorge- und Bewältigungsmaßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit durch Umsetzung der IGV. Die IGV sind ein internationales Rechtsinstrument, das für alle Mitgliedstaaten der WHO bindend ist. Die IGV unterstützen die internationale Gemeinschaft darin, akute Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die das Potenzial haben, Grenzen zu überschreiten und Menschen in aller Welt zu gefährden, wirksamer zu verhindern bzw. zu bekämpfen. Der neue Strategieplan zielt darauf ab, den Ländern beim Ausbau ihrer Kernkapazitäten zur Umsetzung der IGV, auch für die Berichterstattung, behilflich zu sein. Der Stellvertretende Generaldirektor der WHO für Vorsorge und Reaktion auf Notlagen, Dr. Peter Salama, würdigte die Bemühungen der Länder in der informellen Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz Australiens, die in den vergangenen Jahren an dem Strategieplan gearbeitet habe.
  • Verbesserung des Zugangs zu Hilfstechnologien: Die Delegierten nahmen eine Resolution an, in der die Mitgliedstaaten eindringlich gebeten werden, Konzepte und Programme zur Verbesserung des Zugangs zu Hilfstechnologien zu entwickeln, umzusetzen und auszubauen, und in der der Generaldirektor ersucht wird, bis 2021 einen globalen Bericht über eine wirksame Versorgung mit Hilfstechnologien auszuarbeiten. Hilfstechnologien, zu denen Rollstühle, Hörgeräte, Gehhilfen, Lesebrillen und Prothesen gehören, ermöglichen es Menschen mit funktionellen Einschränkungen, ein produktives und menschenwürdiges Leben zu führen und sich am Bildungssystem, am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Ohne solche Technologien sind Menschen mit Behinderungen, aber auch Senioren und andere bedürftige Gruppen oftmals ausgegrenzt und isoliert und werden in die Armut abgedrängt, wodurch sich die durch Krankheit und Behinderung bedingte Belastung noch verschärft. In der Diskussion zu diesem Thema ergriffen folgende Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region das Wort: Belgien, Deutschland, Israel, Österreich, die Türkei und das Vereinigte Königreich.
  • Rheumatisches Fieber und rheumatische Herzkrankheit: Die Delegierten einigten sich auf eine Resolution, in der die WHO dazu aufgerufen wird, eine koordinierte globale Antwort auf rheumatische Herzerkrankungen einzuleiten, von denen jährlich etwa 30 Mio. Menschen betroffen sind. 2015 war diese Krankheit nach Schätzungen für 350 000 Todesfälle verantwortlich. Sie tritt am häufigsten im Kindesalter und unverhältnismäßig oft bei Mädchen und Frauen auf. Die rheumatische Herzkrankheit ist eine vermeidbare Erkrankung, die sich aus einem akuten rheumatischen Fieber entwickelt. Während der Debatte wies die Delegation Kirgisistans auf die Notwendigkeit hin, die Vorsorgeuntersuchungen sowie die Überwachung von rheumatischem Fieber und rheumatischer Herzkrankheit zu verbessern, und bat die WHO hierbei um Unterstützung.
  • Ernährung: Die Delegierten erneuerten einhellig ihr Bekenntnis zu Investitionen in die Ausweitung von Ernährungskonzepten und -programmen zwecks Verbesserung der Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Die Mitgliedstaaten erörterten Maßnahmen zur Erfüllung der globalen Zielvorgaben der WHO in Bezug auf Ernährung. Sie kamen zu dem Schluss, dass es hier nur langsame und ungleich verteilte Fortschritte gegeben habe, stellten jedoch eine leichte Verbesserung bei der Reduzierung der Zahl der Kleinwüchsigen fest. Die WHO hat bei globalen Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung die Federführung übernommen. Zu diesen gehören globale Initiativen für säuglingsfreundliche Krankenhäuser, die Ausweitung von Präventionsmaßnahmen gegen Anämie bei weiblichen Jugendlichen und die Vorbeugung gegen Übergewicht bei Kindern durch Beratung in Bezug auf Zufüttern. In einem neuen Bericht über die Umsetzung des Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten wurde hervorgehoben, dass 2017 weitere sechs Länder gesetzliche Vorschriften zur Regulierung der Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten eingeführt bzw. verschärft hätten. In der Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt ergriffen folgende Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region das Wort: Aserbaidschan, Frankreich, die Russische Föderation und das Vereinigte Königreich.
  • Bewegung: Die Mitgliedstaaten stimmten dem Globalen Aktionsplan der WHO zur Bewegungsförderung (GAPPA) zu, einer neuen Initiative, die auf eine Verbesserung des Bewegungsverhaltens von Menschen aller Altersgruppen und Leistungsniveaus zur Förderung von Gesundheit, zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (Herzkrankheit, Schlaganfall, Diabetes, Brust- und Kolonkrebs), zur Förderung der psychischen Gesundheit und zur Verbesserung der Lebensqualität abzielt. Die Zielsetzung des GAPPA besteht darin, bis 2030 eine Senkung der globalen Prävalenz von Bewegungsmangel bei Erwachsenen und Jugendlichen um 15% zu erreichen. In dieser Diskussion meldeten sich Delegierte aus Dänemark, Deutschland, Österreich und der Russischen Föderation zu Wort.
  • Vorbereitungen auf die dritte Tagung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene zum Thema nichtübertragbare Krankheiten: Die Mitgliedstaaten brachten ihre volle Unterstützung für den Prozess und die Vorbereitungen auf die bevorstehende Tagung auf hoher Ebene zum Ausdruck und unterstrichen, wie wichtig die Beteiligung von Staatsoberhäuptern sei. Die Länder der Europäischen Region erkannten auch die Bedeutung des von der WHO gemeinsam mit Dänemark ausgerichteten Globalen Dialogs der WHO über Partnerschaften für eine nachhaltige Finanzierung der Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten, aber auch der hochrangigen Tagung in Sitges (Spanien) über die Reaktion der Gesundheitssysteme auf nichtübertragbare Krankheiten an. Zu diesem Tagesordnungspunkt meldeten sich folgende Mitgliedstaaten aus der Europäischen Region zu Wort: Bulgarien (im Namen der Europäischen Union), Dänemark, Deutschland, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Finnland, Georgien, Italien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, die Russische Föderation, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, Ungarn und das Vereinigte Königreich.

An den letzten Tagen der Weltgesundheitsversammlung standen folgende Themen im Mittelpunkt der Beratungen: die weltweite Häufigkeit von Schlangenbissen; der Planungsrahmen für die pandemische Influenza (PIP); der Globale Impfaktionsplan (mit Stellungnahmen von Aserbaidschan, der Russischen Föderation und dem Vereinigten Königreich); und der Übergang zu einer Welt frei von Poliomyelitis (die Delegierten nahmen eine bahnbrechende Resolution zur Sicherheitslagerung von Polioviren an).

Ferner wurden die Fortschrittsberichte zu übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten, zur Gesundheitsförderung im gesamten Lebensverlauf und zur Stärkung der Gesundheitssysteme erörtert.

Bilaterale Gespräche

  • Aserbaidschan: Die WHO-Regionaldirektorin für Europa, Dr. Zsuzsanna Jakab, bedankte sich bei dem Gesundheitsminister für die aktive Rolle seines Landes in den leitenden Organen der WHO seit 2005. In dem Gespräch wurden Themenbereiche behandelt, in denen Aserbaidschan die WHO um fachliche Unterstützung gebeten hat, insbesondere die Gesundheitsfinanzierung. Diese Thematik ist vor allem angesichts der in jüngster Zeit durchgeführten Reformen im Gesundheitssystem und der Erprobung eines neuen Krankenversicherungssystems äußerst aktuell. Dr. Jakab empfahl dem Land, auf diesem Gebiet eng mit dem Fachzentrum der WHO zur Stärkung der Gesundheitssysteme in Barcelona zusammenzuarbeiten. Ein weiteres Thema war der für kommenden Sommer geplante Besuch des WHO-Generaldirektors in Aserbaidschan.
  • Montenegro: Zu den Themen dieses Gesprächs gehörten die Ergebnisse der Ministertagung des Südosteuropäischen Gesundheitsnetzwerks im Frühjahr 2018 in Podgorica, die Zusammenarbeit zwischen der WHO und Montenegro in den Bereichen Immunisierung und nichtübertragbare Krankheiten sowie Möglichkeiten zur Stärkung des WHO-Länderbüros.
  • Usbekistan: Das Hauptthema des Gesprächs zwischen Dr. Jakab und dem Gesundheitsminister waren die ehrgeizigen und vielfältigen Reformziele der usbekischen Regierung. So plant das Land die Einführung eines Krankenversicherungssystems, und das Präsidialamt hat dazu eine Arbeitskommission Gesundheit eingesetzt. Die WHO wird das Gesundheitsministerium auch weiterhin bei der Ausarbeitung einer fünfjährigen nationalen Gesundheitsstrategie und eines Konzeptpapiers für Gesundheit und Entwicklung für den Zeitraum 2019–2030 unterstützen. Dr. Jakab plant, Usbekistan im November 2018 einen Besuch abzustatten.

Nebenveranstaltungen und Fachinformationssitzungen

  • Fachinformationssitzung über die Rolle von Parlamentariern bei der Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Herstellung globaler Gesundheitssicherheit als zwei Seiten derselben Medaille: Diese in Zusammenarbeit mit der Interparlamentarischen Union organisierte Veranstaltung befasste sich mit der Rolle von Parlamentariern und der gezielten und maximalen Nutzung ihres Einflusses und ihrer Macht für eine Verbesserung des Zugangs der weltweit anfälligsten Bevölkerungsgruppen zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung. In der Podiumsdiskussion wurden Beispiele aus den Erfahrungen der Länder bei der Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung geschildert, wobei aus der Europäischen Region Kasachstan und Österreich beteiligt waren. Die Teilnehmer empfahlen, auf der regionsweiten und der nationalen Ebene Dialoge zu dieser Thematik abzuhalten.
  • Nebenveranstaltung zum Thema digitale Gesundheit: Nach der Annahme der Resolution zum Thema digitale Gesundheit bot diese Veranstaltung eine Gelegenheit zur Erörterung der Rolle der digitalen Gesundheit und der künstlichen Intelligenz in der allgemeinen Gesundheitsversorgung, aber auch der Möglichkeiten der WHO, die Länder bei der Umsetzung der Resolution zu unterstützen. Dabei berichteten Podiumsteilnehmer, die sowohl Mitgliedstaaten als auch nichtstaatliche Akteure vertraten, von Erfahrungen und Lehren aus der Umsetzung der digitalen Gesundheit.