Silvia Mambelli: Wie die COVID-19-Krise das Gesundheitspersonal in Italien eint

Silvia Mambelli

Silvia Mambelli, Direktorin für das Pflegewesen und die medizinisch-technischen Dienste in der lokalen Gesundheitsbehörde der Region Emilia-Romagna in Italien.

„Trotz meiner 40-jährigen Erfahrung in verschiedenen Funktionen innerhalb des Gesundheitswesens hätte mich nichts auf die heutige COVID-19-Notlage vorbereiten können“, erklärt Silvia Mambelli, Direktorin für das Pflegewesen und die medizinisch-technischen Dienste in der lokalen Gesundheitsbehörde der Region Emilia-Romagna in Italien.

Silvia koordiniert die Arbeit der 10 000 Gesundheitsfachkräfte (darunter ungefähr 7000 Pflegekräfte) in der italienischen Region, die am zweitstärksten vom Coronavirus betroffen ist.

„Die Arbeit, die noch vor etwas mehr als einem Monat meinen Tag ausfüllte, erscheint mir wie ein anderes Leben. Anstatt auf langfristige Ziele hinzuarbeiten, muss ich mich nun auf das Hier und Jetzt konzentrieren und auf dringende Bedürfnisse eingehen, auf die wir uns schnellstmöglich einstellen müssen.“

Die Ausbreitung des Virus verhindern

„Die erste Herausforderung war eine umfassende Umstrukturierung der Infrastruktur im Gesundheitswesen. Vielen Abteilungen wurden neue Aufgaben zugeordnet, um sich voll und ganz der COVID-19-Krise und den zugehörigen Leistungen widmen zu können. Dies war erforderlich, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und gleichzeitig die Kontinuität unentbehrlicher Gesundheitsleistungen, wie etwa zeitkritischer Operationen, gewährleisten zu können.

Die nächste Priorität bestand darin, sicherzustellen, dass die Gesundheitskräfte mit der notwendigen Schutzausrüstung ausgestattet wurden, also den richtigen Masken, Handschuhen und Schutzbrillen. Der Mangel an Schutzausrüstung stellt ein anhaltendes Problem dar. Doch ein noch größeres Problem, das unsere Aufmerksamkeit erfordert, ist die Angst vor einem derartigen Mangel und die Angst vor einer Infektion.

Von Anfang an haben wir das Personal sorgfältig darin geschult, eine Infektion zu verhindern. Das half auch im Kampf gegen die wachsende Angst unter den Gesundheitsfachkräften. Wir folgten den WHO-Leitlinien und setzten Virologen in mobilen Einheiten ein, um sämtliche Gesundheitseinrichtungen erreichen zu können, darunter auch Langzeitpflegeeinrichtungen für ältere Menschen.“

Gesundheitsfachkräfte und Bürger stellen sich gemeinsam der Herausforderung

„Derzeit ist meine drängendste tägliche Aufgabe die Einstellung weiterer Pflegekräfte. Im vergangenen Monat haben wir etwa 400 neue Kollegen, darunter zahlreiche neue Absolventen, eingestellt. Viele eilten uns zu Hilfe, ohne zu zögern. Ich fühle mich besonders jenen verantwortlich, die in dieser Zeit in den Beruf einsteigen. Nach Möglichkeit versuche ich daher dafür zu sorgen, dass sie entweder in einem Bereich eingesetzt werden, der nichts mit COVID-19 zu tun hat, oder dass sie mit deutlich erfahreneren Pflegekräften zusammenarbeiten.

Jeder leistet seinen Beitrag zu den Bemühungen – nicht nur Gesundheitsfachkräfte, sondern auch die normalen Bürger. Einige spenden Lebensmittel für Gesundheitsfachkräfte, die jeden Tag lang arbeiten müssen und sich zu Hause isolieren, um andere nicht zu infizieren. Andere haben für Patienten im Krankenhaus, die ansonsten keinen Kontakt zu ihren Familien hätten, Mobiltelefone gespendet. Und wieder andere haben Schutzausrüstung gespendet.“

Persönliche Opfer und Solidarität

„Diese schwierigen Zeiten bringen unsere Stärken und Schwächen hervor. Mehr denn je ist es wichtig, einander zu unterstützen und zu motivieren. Ich ziehe meine Motivation aus der Solidarität, die ich erlebe, und aus dem großen Engagement aller Gesundheitsfachkräfte, die sich dem Kampf gegen das Virus 24 Stunden am Tag verschrieben haben.

Manchmal vergessen die Pflegekräfte, sich mit ihrem Ausweis einzuloggen, da sie mit ihren Gedanken komplett bei ihren Aufgaben sind. Mental schaltet man jedoch nicht von der Arbeit ab, denn die Angst davor, andere zu infizieren, ist ein ständiger Begleiter.

Wird jemand positiv auf das Virus getestet, schämen sie sich oder fühlen sich schuldig. Patienten fühlen sich verunreinigt und haben Angst, andere infiziert zu haben. Dieses Gefühl und die erzwungene Isolation führt zu einem erhöhten Bedürfnis nach menschlichem Kontakt. Dann kommt der Betreuungsrolle von Pflegekräften eine noch entscheidendere Bedeutung zu, denn ihre Unterstützung muss den Besuch eines geliebten Menschen ersetzen.“

Eine Chance für den Wandel

„Die Zusammenarbeit und der gegenseitige Respekt zwischen sämtlichen Gesundheitsfachkräften ist derzeit beispiellos. Pflegekräfte und Ärzte kämpfen gemeinsam gegen das Virus, sie werden gemeinsam krank und sie heilen Patienten gemeinsam. Einigkeit ist jetzt unerlässlich. Doch sie zeigt auch den Weg in die Zukunft.

Die gegenwärtige Notlage sehe ich als eine Chance für den Wandel. Wir müssen uns auf unsere einzigartigen Kompetenzen berufen, um den besten Weg in die Zukunft bestimmen. Denn es sind die Menschen, die jeden Tag in den Krankenstationen arbeiten, die gemeinsam ein besseres Gesundheitssystem schaffen können. Ohne eine starke Gesundheitsversorgung kann es keine starke Gesellschaft geben.“