Erklärung – Die Feiertage inmitten der COVID-19-Pandemie und einer wachsenden Krise der psychischen Gesundheit in der Europäischen Region

WHO/Malin Bring

Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

Kopenhagen, 18. Dezember 2020

Die Feiertage zum Jahreswechsel bilden den Abschluss eines für alle ungeheuer schwierigen Jahres. Aufgrund der schrecklichen Auswirkungen der Pandemie erscheint die Notwendigkeit eines Miteinander vielleicht dringender denn je.

Zum Anbruch der Ferienzeit herrscht in weiten Teilen der Europäischen Region nach wie vor ein intensives Infektionsgeschehen. Bisher verzeichnet die Europäische Region in diesem Jahr fast 23 Mio. Fälle von COVID-19.

Tragischerweise haben mit Stand von gestern mehr als eine halbe Million der Menschen mit bestätigter Infektion ihr Leben verloren. Die täglich gemeldete Zahl der neuen Todesfälle aufgrund von COVID-19 verzeichnet weiter die höchsten Stände seit Beginn des Jahres. Nun, da wir uns dem Jahresende nähern, möchte ich über die menschlichen Kosten sprechen, die diese Pandemie uns weiterhin abverlangt.

Die Verwüstungen, die diese Pandemie überall angerichtet hat, sind weitreichend und anhaltend und bringen den Verlust von Menschenleben und Existenzen mit sich. COVID-19 hat Familien und Gemeinschaften getrennt, Unternehmen in Konkurs getrieben und den Menschen Chancen geraubt, die noch vor einem Jahr als selbstverständlich gegolten hätten.

Das Ergebnis ist eine wachsende Krise der psychischen Gesundheit in Europa.

Von den Ängsten in Bezug auf die Übertragung des Virus und den psychologischen Folgen von Ausgangsbeschränkungen und Selbstisolation bis zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, finanziellen Sorgen und sozialer Ausgrenzung – die Folgen der Pandemie für die psychische Gesundheit werden langwierig und weitreichend sein.

Umfragen in den Ländern während der ersten Phasen der Pandemie haben ergeben, dass mindestens ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung seelische Not litt. Aus einer Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation über Jugendliche und COVID-19 ging hervor, dass infolge der Pandemie die Hälfte der jungen Menschen (Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren) von Depressionen und Angstzuständen bedroht ist und wohl ein Sechstel von ihnen darunter leidet. Bis zu 20% des Gesundheitspersonals leiden unter Angstzuständen und Depressionen.

Klar ist auch: selbst wenn die Folgen unterschiedlich ausfallen, so bleibt doch keine demografische Gruppe oder Altersgruppe verschont.

Die Auswirkungen von COVID-19 auf die psychische Gesundheit werden durch Ängste verstärkt, die oft während der Winter- und Feiertagssaison auftreten. Wir dürfen nicht unterschätzen, welche Folgen dies für unseren Freundeskreis, unsere Angehörigen und unsere eigene psychische Gesundheit haben kann.

Ohne die stützenden traditionellen physischen Netzwerke ist es lebenswichtig, dass wir alles Erdenkliche tun, um den psychischen Folgen für Einzelpersonen und unsere Gemeinschaften entgegenzuwirken.

In dieser Zeit des Schenkens gehören der Schutz unserer eigenen Gesundheit und unseres Wohlbefindens und die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden anderer zu den schönsten Geschenken.

Dies war für niemanden ein leichtes Jahr, und wenn Sie Niedergeschlagenheit oder Angst verspüren, so sind sie mit diesen Emotionen nicht allein.

Jeder hat eine andere Art der Bewältigung, aber es gibt viele Wege, Gefühle von Angst und Depression in den Griff zu bekommen. Von einem Spaziergang in der Natur (sofern erlaubt) und körperlicher Betätigung bis zur Strukturierung und Planung von Tagesabläufen – es kann ungeheuer aufbauend wirken, Dinge einmal anders zu tun. Im Mittelpunkt der gegenseitigen Fürsorge steht die Notwendigkeit, Brücken zu bauen und Unterstützung anzubieten und anzunehmen.

Psychische Gesundheitsprobleme sind in unseren Gesellschaften oftmals noch mit einem starken Stigma verbunden. Eine Sensibilisierung der Gesellschaft für die große Bandbreite an psychischen Gesundheitsproblemen wird nun, da sich das volle Ausmaß der Krise allmählich offenbart, immer wichtiger. Für Personen, die unter schwereren psychischen Problemen leiden, müssen spezialisierte Versorgungs- und Betreuungsangebote aufrechterhalten werden.

Während wir uns auf die Feiertage in den nächsten Wochen vorbereiten – in welcher Form auch immer wir sie diesmal begehen –, lassen Sie uns auf dem kollektiven Geist aufbauen, der uns durch die letzten Monate geholfen hat.

COVID-19 hat verdeutlicht, dass wir Teil einer Gemeinschaft sind und eine gemeinsame Erfahrung durchlaufen. Trotz der räumlichen Distanz haben wir eine Chance, Verbindungen zu knüpfen und füreinander zu sorgen. Die vielen Tools der sozialen Vernetzung, die uns zur Verfügung stehen, machen es uns leichter, die Hand auszustrecken. Die Feiertage sind ein perfekter Grund, Kontakte zu erneuern.

Mobilisieren wir unsere sozialen und nachbarschaftlichen Netzwerke und die unterstützenden Angebote, die für ausgegrenzte und isolierte Menschen sowie für Personen, die auf eine kontinuierliche Betreuung und Behandlung angewiesen sind, einen Rettungsring bilden. Da die psychische Gesundheitsversorgung wegen der Bekämpfung der Pandemie oft überlastet ist und zurückgefahren wurde, ist es unbedingt erforderlich, den Gesundheitssystemen die Mittel zu geben, die sie zur Bewältigung des Nachholbedarfs im kommenden Jahr benötigen.

Und schließlich muss ich noch unser Personal im Gesundheits- und Sozialwesen und die anderen systemrelevanten Kräfte erwähnen, die im Mittelpunkt unserer Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 stehen. Ohne sie können wir diese Pandemie nicht überstehen. Doch auch wenn im Augenblick ihre dringlichen psychosozialen Bedürfnisse im Vordergrund stehen, so müssen wir doch langfristig auch Wege finden, um ihren Mut und ihren Beitrag konkreter zu würdigen.

In den kommenden Monaten erwarten wir einen Anstieg der Zahl der Menschen, die mit schwereren psychischen Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben, wenn sich die Wirkung der gegenwärtigen Umstände verfestigt. Im Bewusstsein der sich verschärfenden Krise rufe ich zu abgestimmten Maßnahmen für mehr Investitionen in die psychische Gesundheitsversorgung auf, insbesondere in Angebote der gemeindenahen Versorgung oder digitale Angebote zur Beseitigung von Hindernissen für diese lebenswichtige Hilfe.

Es ist das Risiko nicht wert.

Während Familien darüber beraten, wie sie ihre Ferien verbringen sollen, habe ich noch einen letzten Appell an Sie. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was die Behörden in Ihrem Land Ihnen erlauben, und dem, was empfehlenswert ist. Im Augenblick ist es am sichersten, zuhause zu bleiben.

Vor Beginn der Feiertage habe ich drei wesentliche Botschaften für Sie:

  1. Auch wenn Sie von Ihren Angehörigen getrennt sind, so sind Sie doch nicht allein.
  2. Entzünden Sie wieder den Gemeinschaftsgeist, der uns durch diese Krise getragen hat: Hand reichen, Brücken bauen und Unterstützung leisten.
  3. Denken Sie daran: die sicherste Lösung ist es, daheim zu bleiben.

Meine Familie, meine alten Eltern und ich, haben die schwierige Entscheidung getroffen, die Feiertage getrennt voneinander und jeweils zuhause zu verbringen. Ich selbst wage die Prognose, dass wir guten Grund zu der Hoffnung haben, dass wir im nächsten Jahr wieder beisammen sein können.

Mein Wunsch für 2021 ist, dass wir alle in unseren Gemeinschaften sicher und gesünder leben können. Angesichts der nun beginnenden Impfungen glaube ich, dass wir viel Grund zum Optimismus haben.

Vor uns liegen noch ein paar Monate, in denen wir Opfer bringen müssen und in denen wir uns so verhalten können, dass wir kollektiv darauf stolz sein können. Es ist meine Hoffnung, dass wir, wenn wir auf diese beispiellose Zeit zurückblicken, einmal alle das Gefühl haben werden, im Geiste einer gemeinsamen Menschlichkeit zum Schutz der Bedürftigen gehandelt zu haben.

Meine Gedanken sind bei den Menschen in unserer gesamten Region. Bitte verhalten Sie sich sicherheitsbewusst und bleiben Sie gesund.