Welche Lehren lassen sich aus Annas Geschichte für die Psychiatriepolitik ziehen?

Eine ergreifende Geschichte, bei der aus Leiden Hoffnung wächst. Wer diese Geschichte liest, kommt nicht umhin, Schmerz und Wut darüber zu empfinden, was Anna von anderen Menschen angetan wurde, und gleichzeitig ihre Zähigkeit und ihren Willen zum Erfolg zu bewundern. Angesichts ihrer Fähigkeit, ihre Erfahrungen mit dem psychiatrischen System so objektiv und konstruktiv zu schildern, sollten wir ihren Rat sehr ernst nehmen.

Ihre Erfahrungen in der Psychiatrie entsprechen einem nur allzu vertrauten Bild, und ich musste unwillkürlich an den Begriff „nichttherapeutische Krankenhausaufenthalte“ denken. In einigen Ländern könnte man das Umfeld eher als „therapieverhindernd“ bezeichnen. Die unzutreffende Feststellung des Therapeuten, dass Gesprächstherapie für Patienten mit Schizophrenie nicht geeignet sei, verdeutlicht, in welchem Maße sich die Psychiatrie statt therapeutischer Maßnahmen einfach auf Medikamente verlässt. Es gibt mittlerweile umfangreiche Belege für die Wirksamkeit von Psychotherapie auch für Patienten mit Schizophrenie.

Ähnlich bedenklich ist die Tatsache, dass Anna für ihre Therapie bezahlen muss, obwohl sie sich das kaum leisten kann. Das kann doch wohl nicht gerecht sein; umso überraschender, dass sie mit ihrer Situation zufrieden ist. Vielleicht vergleicht sie ihre Lage mit der von Menschen, die keinerlei Versorgung erhalten. Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit sollten bei künftigen Reformen eine hohe Prioritätsstufe haben.

Annas Geschichte schildert die positive Rolle, die Patientengruppen generell und insbesondere bei der Förderung einer integrierten Versorgung spielen können. Auch der Vorschlag, einen Ansprechpartner zu benennen, sei es eine Person mit Psychiatrie-Erfahrung oder ein Sozialarbeiter, sollte geprüft werden. Tatsächlich haben sich solche Maßnahmen in einigen Ländern durchaus bewährt.

Auch wenn Fälle wie Annas weit entfernt von der konzeptionellen Arbeit der WHO erscheinen, so berühren sie doch den Kern unseres Schaffens. Denn der Europäische Aktionsplan der WHO für psychische Gesundheit ist kein trockenes Dokument zur Diskussion mit den Mitgliedstaaten, sondern vielmehr das Ergebnis von Forschungsarbeit und den Erfahrungen von Menschen. Indem sie über die Bedeutung der Unterstützung durch ihren Ehemann, über ihre Ausbildung und ihre Rolle in der Gesellschaft aufgrund ihrer Tätigkeit für die Patienten-Organisation sowie über ihren Umgang mit den Problemen beim Zugang zu ordnungsgemäßer Behandlung spricht, zeigt Anna, dass diese Politik für die Menschen gebraucht wird.

Ihre Geschichte hat mich zum Nachdenken gebracht: über die Rolle von Prävention und persönlichem Umfeld und über die Frage, wie die psychiatrische Versorgung verbessert werden kann. Wie viel Schmerz und Leid wäre Anna erspart geblieben, wenn jemand früher eingegriffen hätte: nicht erst, als Anna erkannte, dass ihr Gesundheitszustand sich ohne eine Einweisung in die Psychiatrie noch weiter verschlechtern würde, sondern schon viel früher in ihrem Leben, als manche Menschen bei dem Mädchen erste Anzeichen von Leiden erkannt haben müssen?

Dr. Matt Muijen, Regionalbeauftragter, WHO-Regionalbüro für Europa