Welche Lehren lassen sich aus Tristanos Geschichte für die Psychiatriepolitik ziehen?
Die Zähigkeit eines Menschen ist oft eine entscheidende Eigenschaft in solchen Lebensgeschichten. Anstatt sich auf eine Kritik des Systems zu beschränken, beziehen manche Menschen Stärke aus ihren widrigen Lebensumständen und bauen darauf ein erfüllendes Leben für sich auf. Tristanos Geschichte ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Er verfügt über Erfahrungen, die teilweise psychologischer Art waren, teilweise ihm durch seine Umwelt aufgezwungen wurden und deren Tragweite die meisten von uns nicht verstehen können. Dennoch ist er entschlossen, anderen dabei zu helfen, daraus zu lernen.
Tristanos Erfahrungen lesen sich stellenweise wie ein Katalog der Probleme und Missstände in der psychiatrischen Versorgung. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Denken und Handeln des psychiatrischen Personals oft ebenso von Stigmatisierung und Diskriminierung geprägt ist wie das der Allgemeinbevölkerung. Haftanstalten und forensische Psychiatrien sind oft stark institutionalisierte Apparate, die alle Eigenschaften aufweisen, die in Goffmans Buch „Asylums“ beschrieben werden (Goffman E. Asylums: Essays on the Social Situation of Mental Patients and Other Inmates, London, Penguin, 1991).
Eine andere Herausforderung liegt an der Schnittstelle zwischen Kriminalität und Psychiatrie und in dem Spannungsverhältnis zwischen Schuldfähigkeit und Behandlung. Der Mangel an Vertraulichkeit, von dem Tristano berichtet, ist besorgniserregend, denn schließlich sind Ärzte und Pflegepersonal in Haftanstalten für die medizinische Betreuung und nicht für die Sicherheit zuständig. All diese Aspekte und viele andere in dieser beeindruckenden Geschichte verdienen es, auf der Website des WHO-Regionalbüros für Europa weiter vertieft zu werden, und deshalb freue ich mich auf Beiträge von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, aber auch auf die Meinungen von anderen.
Dr. Matt Muijen, Regionalbeauftragter, WHO-Regionalbüro für Europa