Gesundheitsversorgung oberstes Gebot für Tausende Gewaltopfer in Kirgisistan
Kopenhagen/Genf, 22. Juni 2010
Die Weltgesundheitsorganisation koordiniert die internationale medizinische Hilfe angesichts der humanitären Krise in Kirgisistan und Usbekistan, wo die medizinische Versorgung Tausender Vertriebener weiterhin erhebliche Probleme bereitet.
Seit Ausbruch des Konfliktes im Süden Kirgisistans am 10. Juni sind offenbar mindestens 300 000 Menschen, überwiegend Angehörige der usbekischen Minderheit, innerhalb des Landes vertrieben worden. Mindestens weitere 75 000 Menschen sind vor der Gewalt nach Usbekistan geflohen, wo sie nun als Flüchtlinge registriert werden. Viele von ihnen leben in Notlagern.
Die Zahl der Toten in Kirgisistan beträgt nach offiziellen Angaben 192; ferner wurden 2029 Menschen verletzt und 912 in Osch und Dschalal-Abad in Krankenhäuser eingeliefert. Nach Ansicht hochrangiger Regierungsvertreter wie auch des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (ICRC) liegt die tatsächliche Zahl der Opfer jedoch vermutlich um ein Mehrfaches höher.
„Die WHO und ihre Partnerorganisationen im Gesundheitsbereich unterstreichen die dringende Notwendigkeit, die von der Gewalt betroffene Bevölkerung zu unterstützen und ihre medizinische Versorgung sicherzustellen“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Die von der Gewalt betroffenen Menschen müssen Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten, insbesondere diejenigen mit Schussverletzungen, aber auch die Opfer sexueller und häuslicher Gewalt, chronisch Kranke und Kinder, die gegen Polio geimpft werden müssen.“
Zur Bewertung der Lage und zur Koordinierung der Notfallmaßnahmen hat die WHO Teams in die beiden Länder entsandt. Inzwischen erhalten die Städte Osch und Dschalal-Abad in Kirgisistan sowie die usbekische Stadt Andischan humanitäre Hilfe, insbesondere in Form von medizinischen Hilfsgütern. Eine besondere Herausforderung stellt die medizinische Versorgung der Angehörigen der usbekischen Minderheit in Kirgisistan entlang der Grenze zu Usbekistan dar. Ferner häufen sich in beiden Ländern auch die Berichte über sexuelle Gewalt in der betroffenen Bevölkerung.
Zur medizinischen Notversorgung für Kirgisistan hat die WHO am vergangenen Wochenende zwei sog. „Interagency Emergency Health Kits“ versandt, die am 23. Juni ankommen sollen. Damit wird die medizinische Basisversorgung von 60 000 Menschen für die Dauer eines Monats gedeckt. Außerdem hat die WHO dank Unterstützung durch die italienische Regierung Arzneimittel und andere Hilfsgüter in die Region verschickt, mit denen das Gesundheitspersonal Traumapatienten versorgen soll. Das Gesundheitsministerium Kirgisistans hat seinerseits 1,5 Tonnen Medikamente sowie ein Team von 58 medizinischen Fachkräften zur Verfügung gestellt, um die Gesundheitsdienste in Osch und den umliegenden Gebieten zu unterstützen.
Auch Usbekistan hat ein solches Interagency Emergency Health Kit erhalten, zwei weitere sollen am 23. Juni eintreffen. Diese Lieferungen medizinischer Hilfsgüter ermöglichen die Bereitstellung einer Basisgesundheitsversorgung für 90 000 Menschen pro Monat sowie die Durchführung von 200 chirurgischen Eingriffen. Eine interinstitutionelle Mission zu fünf Standorten in Andischan am 17. und 18. Juni kam zu dem Ergebnis, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Flüchtlinge erfüllt würden, jedoch die Gesundheitsversorgung und die Wasserver- und Abwasserentsorgung verbessert werden müssten.
Die Gesundheitsdienste in den Flüchtlingslagern im usbekischen Andischan sind offenbar gut organisiert und verfügen über Einrichtungen für die Behandlung kleinerer Verletzungen und über Überweisungsverfahren an die zentralen Krankenhäuser. Die nach Usbekistan einreisenden Flüchtlinge werden an der Grenze untersucht, um festzustellen, ob sie ärztliche Behandlung benötigen. Diejenigen unter den Flüchtlingen, die zu Opfern oder Zeugen von Gewalt, auch sexueller Gewalt, wurden, sind in erheblichem Maße auf psychologische Hilfe angewiesen. Die WHO hat Postexpositionsprophylaxe-Kits für die Opfer von sexueller Gewalt und Vergewaltigung zur Verfügung gestellt.
In Kirgisistan wird in der von dem Konflikt betroffenen Bevölkerung zunehmend auch von häuslicher Gewalt berichtet. In der Stadt Osch, die von der jüngsten Gewalt am stärksten betroffen war, funktionieren Betrieb und Versorgung in den wichtigsten Krankenhäusern offenbar gut, dagegen benötigen die peripheren Gesundheitseinrichtungen mehr Unterstützung.
„Angesichts der anhaltenden Krise müssen die internationalen Bemühungen zur Unterstützung der medizinischen Versorgung aufrechterhalten werden“, sagt Zsuzsanna Jakab.
Ausbreitung von Polio unterbinden
Aufgrund des Polioausbruchs in Tadschikistan arbeitet die WHO seit April mit den Gesundheitsministerien Kirgisistans und Usbekistans zusammen, um die Gefahr einer Einschleppung und Ausbreitung des Polio-Wildvirus zu begrenzen.
Die usbekische Regierung hat landesweit zwei zusätzliche Impfrunden durchgeführt; eine weitere wird in der Woche vom 5. bis 9. Juli 2010 folgen. Darüber hinaus werden in Usbekistan nach offiziellen Angaben alle Flüchtlinge unter 15 Jahren gegen das Poliovirus geimpft.
Die Regierung Kirgisistans plant im Juli und August zwei landesweite zusätzliche Impfkampagnen. Die WHO hat Kirgisistan empfohlen, in den Lagern und an anderen Orten in weniger stabilen Gebieten, an denen große Menschenaufläufe zu erwarten sind, unverzüglich mit Impfmaßnahmen gegen Polio zu beginnen.
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