Was geschieht, wenn eine Frau ins Gefängnis kommt? Neue Checklisten sollen Gefängnisaufenthalt erträglicher machen

Kopenhagen und Abano Terme, 4. Oktober 2011

In einer neuen Publikation des WHO-Regionalbüros für Europa und des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung werden die besonderen Bedürfnisse von Frauen im Strafvollzug thematisiert. Dies geschieht durch Erstellung von Checklisten für politische Entscheidungsträger sowie Führungs- und Gesundheitspersonal in Haftanstalten, mit denen eine Überwachung der Gesundheitsversorgung weiblicher Häftlinge gewährleistet werden soll.

„Wenn eine Frau in Haft kommt, begibt sie sich in eine von Männern dominierte Welt, in der die Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Frauen nicht berücksichtigt werden“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Deshalb zahlen Frauen einen weit höheren gesundheitlichen Preis als Männer. Aber es gibt eine Reihe von Sofortmaßnahmen, die hier etwas bewirken würden.“

Auch wenn der Anteil von Frauen an der Gefängnispopulation weltweit mit durchschnittlich 4% bis 5% nur sehr gering ist, so nimmt doch die Zahl der inhaftierten Frauen rapide zu. In der Europäischen Region der WHO befinden sich zu jedem Zeitpunkt etwa 100 000 Frauen in Haft. Frauen bringen bei ihrem Haftantritt äußerst komplexe Probleme, Bedürfnisse, Ängste, Traumata, Krankheiten und Abhängigkeiten mit. In der Haft verschärfen sich diese Probleme meist, und die Anfälligkeit der Frauen nimmt in der Regel zu.

Frauen, die ins Gefängnis müssen, sind meist Mütter und oft auch die einzige oder hauptsächliche Betreuungsperson für ihre Kinder. Während ihrer Haft brechen nicht selten ihre Familien auseinander, so dass ihre Kinder in staatlichen Einrichtungen untergebracht oder anderweitig betreut werden müssen. Frauen tragen auch in Bezug auf Selbstverletzung oder Selbstmord ein höheres Risiko als männliche Häftlinge; in der Gesellschaft ist es normalerweise umgekehrt. Sie haben meist traumatische Erlebnisse in Form von sexuellem, psychischem und körperlichem Missbrauch oder Gewalterfahrungen hinter sich, die nicht selten schon in frühester Kindheit begannen. Die Hälfte der weiblichen Häftlinge hat auch häusliche Gewalt erlebt. Frauen leiden zum Zeitpunkt ihres Haftantritts häufiger an psychischen Problemen als männliche Häftlinge und die Allgemeinbevölkerung; teilweise betragen die Raten bis zu 90%. Die Situation und die Bedürfnisse inhaftierter Frauen unterscheiden sich meist erheblich von denen männlicher Häftlinge. In Haftanstalten kann und sollte Frauen das Gefühl vermittelt werden, unterstützt und mit ihren gesundheitlichen und sonstigen Bedürfnissen ernst genommen zu werden.

Erforderliche Sofortmaßnahmen – eine Checkliste

Die Publikation Women’s health in prison: action guidance and checklists to review current policies and practices [dt.: Gesundheit von Frauen im Strafvollzug: Handlungsempfehlungen und Checklisten für die Überprüfung aktueller Konzepte und Praktiken] soll auf einer Tagung der Ansprechpersonen der WHO für Gesundheit im Strafvollzug am 7. Oktober 2011 in Abano Terme (Italien) veröffentlicht werden. Die in dem Dokument enthaltene Liste soll mehr Sicherheit und Qualität in der Gesundheitsversorgung gewährleisten und zu einer Überprüfung der aktuellen Konzepte und Praxis in Bezug auf die Gesundheit weiblicher Häftlinge beitragen. Sie ermöglicht es drei miteinander verknüpften Zielgruppen, sich einen Überblick über die Gesundheitsangebote für Frauen in Haftanstalten zu verschaffen. Diese drei Gruppen sind:

  • Politiker und Entscheidungsträger (bei der Überprüfung geltender Handlungskonzepte und Rechtsvorschriften);
  • das Führungspersonal von Haftanstalten (bei der Überprüfung geltender Verfahren und bei Qualitätskontrollen); und
  • das Gesundheitspersonal in den Haftanstalten (bei der Überprüfung der jeweils angebotenen Gesundheitsleistungen).

Die Autoren der Publikation kommen zu dem Schluss, dass die Angebote und Konzepte nur dann Erfolg haben können, wenn das Strafvollzugssystem den Interessen der ihm anvertrauten Frauen dient und ihren geschlechtsspezifischen gesundheitlichen und sonstigen Bedürfnissen gerecht wird. Jede Haftanstalt, in der weibliche Häftlinge untergebracht sind, sollte über ein schriftlich festgehaltenes Konzept verfügen, aus dem hervorgeht,

  • dass die in ihr angewandten Praktiken den besonderen Anforderungen von Frauen gerecht werden und dass das Personal eine entsprechende Schulung durchlaufen hat;
  • dass bei Beteiligung von Kindern deren Bedürfnisse und Wohl eindeutig als erstes und maßgebliches Kriterium bei der Erstellung der entsprechenden Angebote herangezogen werden.

Die WHO hofft, dass jetzt ein besser geplanter und systematischerer Ansatz möglich wird, mit dem Defizite hinsichtlich der Geschlechtssensibilität sowie der Bestimmungen für weibliche Häftlinge in Angriff genommen werden können. Ein Ausgangspunkt könnte darin bestehen, die geltenden Konzepte und Praktiken mittels einer Checkliste zu überprüfen und konkret diejenigen aufzuzeigen, mit denen sich etwas bewirken lässt.

Weitere Auskünfte erteilen:

Brenda Van den Bergh
Fachreferentin
HIV-Prävention und Gesundheit im Strafvollzug
WHO-Regionalbüro für Europa
E-Mail: bvb@euro.who.int
Tel.: +45 30 61 14 90

Tina Kiær
Kommunikationsreferentin
Nichtübertragbare Krankheiten und Gesundheitsförderung
WHO-Regionalbüro für Europa
E-Mail: tki@euro.who.int
Tel.: +45 24 91 08 44

Weitere Auskünfte an Journalisten erteilt:

Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung
Fabienne Hariga
Leitende Sachverständige
Referat HIV/Aids
E-Mail: Fabienne.hariga@unodc.org
Tel.: +43 69914594292