Antibiotikaresistenz: Was nicht gemessen wird, das wird auch nicht verbessert. Surveillance muss in der gesamten Europäischen Region gestärkt werden

Kopenhagen, 17. November 2011

Die beiden verbreitetsten antibiotikaresistenten Erreger von Blutvergiftungen – methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und resistente Escherichia coli – waren im Jahr 2007 für 8215 zusätzliche Todesfälle (5503 bzw. 2712) in 31 Ländern der Europäischen Region verantwortlich. Nach einer neueren Studie (1) waren diese beiden Erreger außerdem für 260 000 Blutvergiftungen und über 370 000 zusätzliche Krankenhaustage verantwortlich, deren Gesamtkosten auf 62 Mio. € beziffert werden. Weniger bekannt ist über die Verbreitung dieser und ähnlicher Infektionen in anderen Ländern der Europäischen Region der WHO, die keine Daten an die internationalen Surveillance-Systeme melden.

Die multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb) breitet sich mit alarmierender Geschwindigkeit in der Europäischen Region aus. Zur Europäischen Region gehören nicht nur die neun Länder mit den weltweit höchsten Raten an Arzneimittelresistenz unter neu diagnostizierten Patienten (bis zu 40%), sondern auch die sechs Länder mit den weltweit höchsten Raten an MDR-Tb unter zuvor bereits behandelten Tuberkulosepatienten (bis zu 70%). Nach Schätzungen der WHO kommt es in der Europäischen Region jährlich zu ca. 81 000 Fällen von MDR-Tb; wegen begrenzter Laborkapazitäten werden davon nur etwa 28 000 (34%) gemeldet, und offenbar erhalten nur etwa 17 000 der gemeldeten Fälle (62%) eine Behandlung mit qualitativ hochwertigen Zweitrangmedikamenten. Der Bedarf an Finanzmitteln für die Behandlung dürfte von 454 Mio. US-$ im Jahr 2011 auf 1,7 Mrd. US-$ im Jahr 2015 ansteigen. Gegenwärtig liegt die Behandlungserfolgsrate bei Patienten mit MDR-Tb bei nur 57,4%, da viele Patienten entweder die Behandlung abbrechen oder sterben.

Um die Resistenzen wirksam bekämpfen zu können, werden Informationen über den Antibiotikagebrauch sowie über die Herkunft und Ausbreitung resistenter Erreger und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft benötigt. Gesundheitsfachkräfte, Risikomanager und Entscheidungsträger können anhand dieser Informationen ihre Ressourcen und Anstrengungen zur Eindämmung von Antibiotikaresistenzen priorisieren. Surveillance bildet die Grundlage für evidenzbasierte Konzepte.

Nach der Annahme des Strategischen Aktionsplans zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen durch die Mitgliedstaaten im September 2011 wird das WHO-Regionalbüro für Europa die Surveillance der Antibiotikaresistenz stärken, indem es insgesamt 21 Ländern bei der Erhebung und Weitergabe von Daten behilflich ist, die dann für die vorhandenen Surveillance-Systeme verwertbar sind.

„Eine Abstimmung der Anstrengungen bei der Surveillance der Antibiotikaresistenz in der gesamten Europäischen Region wird dringend erforderliche Erkenntnisse in Bezug auf diese wachsende Gefahr für die öffentliche Gesundheit bringen. Ich begrüße es, dass die Länder mit ihrem Bekenntnis zum Aktionsplan der Europäischen Region politische Entscheidungsträger und Gesundheitsfachkräfte in die Lage versetzt haben, mit sachgerechten Entscheidungen zur Prävention und Eindämmung der Antibiotikaresistenz und zur Verringerung ihrer Folgen beizutragen“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa.

Ein integraler Bestandteil des Aktionsplans ist die Zusammenarbeit mit den maßgeblichen Akteuren in der Region – wie der Europäischen Kommission, dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) –, aber auch mit leistungsfähigen fachlichen Partnerorganisationen wie dem Nationalen Lebensmittelinstitut in Dänemark (WHO CC and EURL in antimicrobial resistance), dem Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) in den Niederlanden und der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID) sowie mit der Organisation ReAct (Action on Antibiotic Resistance) in Schweden.

Aktueller Stand der Surveillance in der Europäischen Region

Die Länder der Europäischen Union sammeln durch das vom ECDC betriebene Europäische Netzwerk zur Überwachung von Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe (EARS-Net) Daten über Antibiotikaresistenz. Im Rahmen der Europäischen Überwachung des Verbrauchs antimikrobieller Mittel (ESAC) werden Daten über den Gebrauch antimikrobieller Mittel in 34 Ländern Europas (darunter 27 EU-Mitgliedstaaten) erhoben. Darüber hinaus führen das WHO-Regionalbüro für Europa und das ECDC gemeinsam Maßnahmen zur Surveillance von Resistenzen gegen Antituberkulotika durch; dies geschieht im Rahmen eines Konzeptes, an dem sämtliche 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO beteiligt sind.

Beseitigung von Wissenslücken

Das Regionalbüro hat eine informelle Untersuchung in 21 Ländern im östlichen Teil der Europäischen Region durchgeführt, um Basisdaten über deren Fähigkeit (Sensibilisierung, Infrastruktur und Vorsorge) zur Bewältigung einer schnell wachsenden Bedrohung der Gesundheit von Menschen und Tieren durch Antibiotikaresistenzen zu erhalten.

Im Ergebnis zeigte sich, dass sechs der untersuchten Länder (29%) über nationale Koordinationsausschüsse verfügen und aktuelle bzw. ehemalige Mitglieder des EARS-Net sind und dass sieben über nationale Surveillance-Systeme für Antibiotikaresistenz verfügen. Ein Drittel der befragten Länder verfügen über nationale Programme zur Bekämpfung von Krankenhausinfektionen, und fast die Hälfte erheben in diesem Bereich Daten.

Informationen über den Gebrauch von Antibiotika im medizinischen Bereich liegen aus acht Ländern (38%) vor, und fünf Länder (24%) haben Informationen über die Verwendung von Antibiotika in der Tiermedizin und Viehzucht vorgelegt. Dies zeugt von der dringenden Notwendigkeit, in einigen Teilen der Region den Komplex Antibiotikaresistenz auch in Verbindung mit dem Thema Lebensmittelsicherheit zu betrachten. In der neuen Publikation des Regionalbüros mit dem Titel „Bekämpfung von Antibiotikaresistenz in Europa aus Sicht der Lebensmittelsicherheit“ werden Lösungsansätze für die Prävention und Eindämmung von Antibiotikaresistenzen in der Nahrungskette untersucht. Zu diesen gehören u. a. die Regulierung und Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika in der Viehzucht, Schulungsmaßnahmen und Kapazitätsaufbau, die Surveillance von Antibiotikaresistenz und
-einsatz, die Förderung von Sachverstand und Forschung sowie Sensibilisierung durch gezielte Überzeugungs- und Kommunikationsarbeit.

Aktionspläne in der Europäischen Region

Zwei der vom WHO-Regionalkomitee für Europa im September 2011 angenommenen neuen Aktionspläne – der Strategische Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen in der Europäischen Region und der Konsolidierte Aktionsplan für die Prävention und Bekämpfung von multiresistenter und extensiv resistenter Tuberkulose (MDR-/XDR-Tb) in der Europäischen Region der WHO (2011–2015) – enthalten eine Reihe zentraler strategischer Maßnahmen zur Bekämpfung der Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen sowie zur Verringerung ihrer Folgen. Dazu zählen u. a.:

  • die Förderung einer nationalen Abstimmung mit dem Ziel der Umsetzung von Strategieplänen und der Entwicklung von regulatorischen Funktionen und Empfehlungen;
  • die Förderung eines umsichtigen Einsatzes von Antibiotika in allen betroffenen Sektoren;
  • der Ausbau der Surveillance-Systeme für den Gebrauch von Antibiotika und für resistente Bakterien in der Human- und Tiermedizin, unter Berücksichtigung der Nahrungskette; und
  • die Sensibilisierung für einen umsichtigen Umgang mit Antibiotika sowie für die Tatsache, dass in nächster Zeit keine neuen Antibiotika auf den Markt kommen werden.

Aufklärung der Öffentlichkeit

Aus der Studie des Regionalbüros geht hervor, dass in 19 der untersuchten Länder die Patienten (90%) von ihren Ärzten üblicherweise die Verschreibung von Antibiotika erwarten. Mit der Kampagne zum Weltgesundheitstag 2011 wurde das Ziel verfolgt, für die realen und akuten Risiken eines Wirkungsverlustes lebensrettender Antibiotika infolge eines übermäßigen und unsachgemäßen Einsatzes in der Human- und Tiermedizin zu sensibilisieren. Der jährlich am 18. November begangene Europäische Antibiotikatag dient dazu, die Personen und Gruppen, die Antibiotika regulieren, herstellen, verschreiben oder verabreichen, an die Notwendigkeit einer anhaltenden Wachsamkeit in Bezug auf deren Gebrauch und die Bekämpfung von Resistenzen zu erinnern.

Anzeichen für den Erfolg solcher Kampagnen sind nicht nur eine nachweisliche Wirkung auf den Gebrauch von Antibiotika in einigen Ländern, sondern auch ähnliche jährliche Veranstaltungen am bzw. um den 18. November in Ländern außerhalb Europas wie Kanada, Japan und den Vereinigten Staaten. Das Regionalbüro bemüht sich, alle Länder der Europäischen Region zur Teilnahme an dieser Initiative zu veranlassen.

Weitere Auskunft erteilen:

Danilo Lo Fo Wong
Leitender Berater für Antibiotikaresistenz
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 14 23, +45 51 53 96 16 (Mobiltel.)
E-Mail: DLO@euro.who.int

Gregory Härtl
Kommissarischer Leiter, Referat Kommunikation
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 12 31, +41 79 203 6715 (Mobiltel.)
E-Mail: hartlg@who.int

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1. De Kraker MEA, Davey PG, Grundmann H. Mortality and hospital stay associated with resistant Staphylococcus aureus and Escherichia coli bacteremia: estimating the burden of antibiotic resistance in Europe. “PLoS Medicine”, 2011, 8(10) e1001104 8.