Können Patienten ihre eigene Gesundheitsversorgung steuern? Europäische Konferenz fordert patientenzentrierte Gesundheitssysteme

Kopenhagen, 11. April 2012

Gesundheitssysteme räumen in der Regel den Erbringern der Gesundheitsversorgung gegenüber den Patienten eine zentrale Position ein. Gerade das traditionelle Verhältnis zwischen Patient und Arzt steht jedoch während der ersten Konferenz für die Europäische Region zum Thema Patientenbefähigung auf dem Prüfstand, die am 11. und 12. April in Kopenhagen stattfindet.

„Ursprünglich waren die Gesundheitsdienste so angelegt, dass sie auf akute Krankheiten reagieren und diese therapieren konnten. Heute ist angesichts der Zunahme chronischer Erkrankungen allerdings ein anderer Ansatz erforderlich“, erläutert WHO-Regionaldirektorin für Europa Zsuzsanna Jakab. „Das Verhältnis zwischen Patient und Arzt wandelt sich grundlegend: Der Patient wird zunehmend als ein durch Erfahrung qualifizierter Experte angesehen, dessen aktive Beteiligung für die Entscheidungsfindung wesentlich ist.“

Chronische Erkrankungen wie manche Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs-, Diabetes-, Adipositas- und Atemwegserkrankungen führen heute weltweit die Liste der häufigsten Ursachen von Tod und Behinderung an und führen zu 86% aller Todesfälle und 77% der gesamten Krankheitslast in der Europäischen Region (gemessen in um Behinderungen bereinigten Lebensjahren). Diese Entwicklung hat zu einer fundamentalen Veränderung der Gesundheits- und Versorgungssysteme und hierin auch der Rolle der Patienten geführt. Die Selbstversorgung des Patienten ist stärker ins Blickfeld gerückt und ein Großteil von Versorgung und Behandlung findet heute schon im Haus des Patienten statt, sodass sowohl Patient als auch Angehörige mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit erhalten. „Dieser Paradigmenwechsel ist richtig für eine Gesundheits- und Sozialversorgung des 21. Jahrhunderts, in der die Patienten durch Beteiligung die eigene Behandlung stärker steuern“, sagt Zsuzsanna Jakab.

Die Befähigung der Patienten ist eine neue Herausforderung für das Gesundheitssystem

In einigen Ländern der Region, etwa in Dänemark und dem Vereinigten Königreich, wird die Gesundheitsversorgung bereits als Koproduktion eines Teams angesehen, an dem Gesundheitspersonal und Patienten, Angehörige und Hilfegruppen beteiligt sind. Dieses Herangehen macht einige grundlegende Änderungen im Krankheitsmanagement und dessen Funktion erforderlich:

  • die Umstellung des Fachpersonals und der Patienten von hierarchischen Denkweisen auf Dialog und Kooperation,
  • die Dekodierung des Gesundheitssystems und seiner Funktionen, damit sich die Patienten in ihnen entsprechend ihrer Bedürfnisse bewegen und in einen Dialog einbringen können – durch das Stellen von Fragen und das Äußern von Bedürfnissen und Erwartungen usw.
  • die Schulung des Personals für die Übermittlung von Inhalten und das Auffangen von Signalen,
  • die Erstellung und Verfügbarmachung verständlicher Informationen.

Menschen mit chronischer Erkrankung sind eine Ressource

Im Idealfall erreicht die Patientenbefähigung, dass Menschen mit langfristigen Erkrankungen eher als Ressource denn als Kostenfaktor gesehen werden. Durch den Einsatz ihrer einzigartigen Erfahrungen können sie in Ehrenamt oder Beruf anderen Patienten helfen und eine andere Perspektive bieten als das Gesundheitspersonal. Menschen, die ihre eigene Erkrankung aktiv steuern und ihr Leben positiv verändern, können sehr wirksam als Vorbilder dienen.

Maßnahmen in der Europäischen Region zur Befähigung der Patienten

Das WHO-Regionalbüro für Europa ist am Europäischen Netz für Patientenbefähigung (ENOPE) beteiligt, das sich für Gesundheitsförderungs- und Krankheitspräventionsinitiativen einsetzt, welche die Befähigung von Patienten unterstützen. ENOPE fördert den Erfahrungsaustausch und wirbt für Patientenbeteiligung und Patientenrechte. Gemeinsam sollen die Länder der Region dazu gebracht werden, Initiativen für die Befähigung der Bürger und Patienten auf der Ebene der Gesundheitssysteme und -dienste sowie vor Ort in der Gemeinde zu unterstützen. Das liegt auf der Linie des künftigen Rahmenkonzepts für die Europäische Region „Gesundheit 2020“, das ebenfalls patientenzentrierte Gesundheitssysteme fordert.

Erste Europäische Konferenz „Befähigung von Patienten“

Die Konferenz findet am 11. und 12. April statt und wird in enger Zusammenarbeit zwischen dem WHO-Regionalbüro für Europa, dem dänischen Gesundheitsministerium, dem dänischen Ausschuss für Gesundheitserziehung, der Stiftung Careum (Schweiz) und einem englischen Projekt für Patientenexperten im Rahmen der dänischen EU-Ratspräsidentschaft durchgeführt.

Weitere Auskünfte erteilen:

Fachinformationen:

Anja Esther Baumann
Fachreferentin, Patientenbefähigung
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39171341, +45 51203458
E-Mail: anj@euro.who.int

Medienanfragen:

Tina Kiær
Kommunikationsreferentin
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39 17 12 50, +45 30 36 37 76 (Mobiltel.)
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