Selbst verschriebene Antibiotika begünstigen rapide Ausbreitung von Superbakterien
Kopenhagen, 16. November 2012
Antibiotika töten Bakterien ab, nicht Viren. Gegen Viren zeigen Antibiotika keine Wirkung; diese sind jedoch für neun Zehntel aller Halsschmerzen sowie für alle Grippeerkrankungen verantwortlich. Die unnötige Einnahme von Antibiotika schwächt deren Wirksamkeit gegen Infektionen dort, wo sie benötigt werden. So können Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln. Am Europäischen Antibiotikatag 2012 (1) rät die WHO der Öffentlichkeit, nur verschriebene Antibiotika zu nehmen und sich dabei genau an die ärztlichen Anweisungen zu halten.
„Seit ihrer Entdeckung vor über 70 Jahren schützen Antibiotika unser Leben, indem sie bakterielle Infektionen bekämpfen, die anderenfalls leicht tödlich enden könnten. Die Verwendung von Antibiotika und Impfstoffen hat unsere Lebensdauer um durchschnittlich 20 Jahre erhöht“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Wenn wir dieses medizinische Wunder erhalten wollen, müssen wir uns vollkommen darüber im Klaren sein, wann Antibiotika wirken und wann nicht, und dementsprechend handeln. Dies geht alle an – von denjenigen, die Handlungskonzepte und Strategien festlegen, über die Forscher, die Hersteller und Vertreiber von Antibiotika bis zu den verschreibenden Ärzten und den Nutzern.“
Das Bewusstsein für die Risiken eines übermäßigen und unsachgemäßen Gebrauchs von Antibiotika ist weltweit durchaus entwickelt; dies gilt jedoch weit weniger für Länder, in denen Antibiotika weniger strengen Beschränkungen unterliegen und rezeptfrei verkäuflich sind, wie es in zwei Dritteln der Länder im östlichen Teil der Europäischen Region der WHO der Fall ist. Eine weltweit durchgeführte Untersuchung der WHO ergab, dass mehr als die Hälfte aller Medikamente (einschließlich Antibiotika) unsachgemäß verschrieben, abgegeben oder verkauft werden und dass die Hälfte aller Personen die verschriebenen Medikamente nicht ordnungsgemäß einnehmen. Dies führt zu einer Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen und damit zur Verringerung der Zahl wirksamer Antibiotika. Besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass es der Forschung in den letzten 25 Jahren nicht mehr gelungen ist, neue Klassen von Antibiotika zu entwickeln.
Das Problem hat nicht nur enorme gesundheitliche Konsequenzen, sondern auch weitreichende ökonomische Auswirkungen für Bürger und Gesellschaft, da die Behandlung von Infektionen mit resistenten Bakterien um ein bis zu 100-Faches mehr kosten kann. Bereits heute treten in der Europäischen Region unheilbare oder schwer behandelbare Infektionen auf. Jedes Jahr erkranken über 80 000 Menschen an einer antibiotikaresistenten Form der Tuberkulose. In einigen entwickelten Ländern der Europäischen Region sind in jüngster Zeit Fälle von cephalosporinresistenter Gonorrhö gemeldet worden, die äußerst schwierig zu behandeln sind.
Eine der größten Bedrohungen für die Region in diesem Bereich ist heute die Ausbreitung von Bakterien, die zunehmend resistent gegen Antibiotika aus der Familie der Carbapeneme sind. Diese sind das einzige verbleibende Mittel gegen ernste Krankheiten, wie sie etwa von multiresistenten Escherichia-coli-Bakterien verursacht werden. Virulente Stämme der E. coli können zu Gastroenteritis, zu Harnwegsinfektionen und zu schwereren Erkrankungen wie Meningitis, hämolytisch-urämischem Syndrom, Septikämie oder Lungenentzündung führen. In den letzten beiden Jahren sind Resistenzen gegen Carbapeneme in mehreren Ländern der Europäischen Union aufgetreten, wo sie die Behandlung von Patienten gefährden. Erschwert wird die Situation durch die leichte Übertragung von carbapenemresistenten Bakterien zwischen Patienten und die zunehmende Einschleppung dieser Bakterien in die Europäische Region aus Ländern, in denen sie weit verbreitet sind.
Die Kartierung von Antibiotikagebrauch und -resistenzen ist ein zentraler Aspekt des Strategischen Aktionsplans zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen in der Europäischen Region, der 2011 von allen Mitgliedstaaten in der Europäischen Region unterstützt wurde. Am 30. Oktober 2012 unterzeichnete das WHO-Regionalbüro für Europa mit dem Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) in den Niederlanden und der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID) eine Vereinbarung mit den Ziel, Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in Ländern der Europäischen Region, die nicht der EU angehören, zu untersuchen, einzudämmen und zu verhindern. Dadurch wird die in den EU-Staaten über das Europäische Netzwerk zur Überwachung von Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe (EARS-NET) durchgeführte Arbeit des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ergänzt. Ein vereinheitlichtes und abgestimmtes Surveillance-Netzwerk in allen Ländern der Europäischen Region ist von entscheidender Bedeutung für den Schutz der Gesundheit vor einer grenzüberschreitenden Bedrohung.
Das ECDC koordiniert den Europäischen Antibiotikatag seit 2008. In diesem Jahr will die WHO gemeinsam mit dem ECDC die Veranstaltung auf sämtliche 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region ausdehnen. Damit führen neben den EU-Staaten erstmals auch Länder Osteuropas und Zentralasiens Maßnahmen zur Förderung einer umsichtigen Verwendung von Antibiotika durch. Das WHO-Regionalbüro für Europa und das ECDC werden gemeinsam sowie mit Unterstützung durch die Europäische Kommission am 20. November 2012 (15.00 bis 16.00 MEZ) einen Twitter-Chat veranstalten.
Weitere Auskünfte erteilen:
Danilo Lo Fo Wong
Leitender Berater, Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen
Abteilung Übertragbare Krankheiten, Gesundheitssicherheit und Umwelt
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39171423
E-Mail: dlo@euro.who.int
Cristiana Salvi
Kommunikationsreferentin
Abteilung Übertragbare Krankheiten, Gesundheitssicherheit und Umwelt
WHO-Regionalbüro für Europa
Tel.: +45 39171379 +45 29634218 (Mobiltel.)
E-Mail: csa@euro.who.int
(1) Der Europäische Antibiotikatag (EAAD) ist eine europäische Initiative, die unter der Federführung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten stattfindet und von der Europäischen Kommission und dem WHO-Regionalbüro für Europa unterstützt wird.