Zahl der HIV-Infektionen in Europa erstmals über 2 Millionen

Weitere Auskünfte erteilen:

Cristiana Salvi
Kommunikationsreferentin
Abteilung Gesundheitliche Notlagen und übertragbare Krankheiten
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Tel.: +45 45 33 68 37
E-Mail: salvic@who.int

Kopenhagen, 29. November 2016

Die kumulative Zahl der HIV-Fälle in der Europäischen Region der WHO ist erstmals auf über 2 Mio. gestiegen. Zu dieser Zahl trugen über 153 000 neue HIV-Fälle im Jahr 2015 bei – ein Anstieg um 7% gegenüber dem Vorjahr und die höchste jährliche Zahl seit Beginn der Erhebungen in den 1980er Jahren. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse des neuen Berichts mit dem Titel „HIV/Aids-Surveillance in Europa 2015“, der vom WHO-Regionalbüro für Europa zusammen mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) kurz vor dem Welt-Aids-Tag 2016 veröffentlicht wurde.

„Trotz erheblicher Anstrengungen gehört HIV weiter zu den größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit in der Europäischen Region der WHO, insbesondere im östlichen Teil der Region. 2015 wurde die höchste Zahl der Neudiagnosen in einem Jahr registriert, sodass die kumulativen Fälle auf erschreckende 2 Mio. angestiegen sind,“ erklärt Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Um diese kritische Situation zu bewältigen, haben wir einen neuen Aktionsplan ausgearbeitet, dem im September 2016 alle Länder der Europäischen Region zugestimmt haben. Wir appellieren jetzt an die politische Führung der Länder, auf der Grundlage dieses Plans sofort beschleunigte und innovative Maßnahmen gegen HIV in der Europäischen Region zu ergreifen, um die Aids-Epidemien unverzüglich umzukehren und bis 2030 zu beenden.“

„Die Fakten, die wir über die HIV-Epidemie kennen, basieren auf der Zahl der jährlich gemeldeten Neudiagnosen, die den Eckpfeiler der HIV-Surveillance in der Europäischen Region bildet“, erklärt die Geschäftsführende Direktorin des ECDC, Andrea Ammon. „Aber wir wissen auch, dass diese Zahlen nicht das wahre Bild widerspiegeln. Nach Schätzungen des ECDC sind gegenwärtig mehr als 122 000 Menschen in den Ländern der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums mit HIV infiziert, ohne es zu wissen – das ist etwa jede siebte Person mit HIV in diesen Ländern. Um die geschätzt 15% zu erreichen, die nicht von ihrer Infektion wissen, müssen wir unsere Anstrengungen zur Förderung und Erleichterung von HIV-Tests erhöhen und den diagnostizierten Fällen Zugang zur Gesundheitsversorgung verschaffen.“

Sehr uneinheitliche Muster und Trends der HIV-Epidemie innerhalb der Europäischen Region

Mit 153 407 HIV-Neudiagnosen in 50 Ländern der Europäischen Region setzte sich der jährliche Anstieg der Zahl der Neuinfektionen auch 2015 fort, wobei sich die Zahl folgendermaßen auf die geografischen Regionen verteilte:

  • 27 022 neue HIV-Fälle (18%) wurden im westlichen Teil der Europäischen Region diagnostiziert. Dies ist kein wesentlicher Rückgang in den vergangenen zehn Jahren.
  • 5297 neue HIV-Fälle (3%) wurden im mittleren Teil der Europäischen Region diagnostiziert. Auch wenn die Intensität der Epidemie in diesen Ländern nach wie vor gering ist, so ist doch eine erhebliche Zunahme gegenüber der Zahl vor zehn Jahren zu verzeichnen.
  • 121 088 neue HIV-Fälle (79%) wurden im östlichen Teil der Europäischen Region diagnostiziert. Dies ist mehr als eine Verdoppelung innerhalb eines Jahrzehnts. Die Zahl der Aids-Fälle in dieser Teilregion hat sich innerhalb von zehn Jahren um 80% erhöht.

Auch in Bezug auf den Hauptübertragungsweg gab es Unterschiede zwischen den geografischen Gebieten. Während im westlichen und mittleren Teil der Region ein stetiger Anstieg der Zahl der HIV-Infektionen unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten zu beobachten war, kam es im östlichen Teil zu einer Zunahme der heterosexuellen Übertragung. Die Übertragung durch injizierenden Drogenkonsum war noch für ein Drittel der neuen Fälle im östlichen Teil der Region verantwortlich.

Interventionen sollten an die örtlichen epidemiologischen Gegebenheiten angepasst werden

Der neue Aktionsplan gegen HIV knüpft an frühere Erfolge an und beinhaltet eine Neugestaltung der gesundheitspolitischen Reaktion auf HIV/Aids. Er enthält mit Blick auf das Jahr 2020 drei ehrgeizige Zielvorgaben für die Länder nach der Formel 90–90–90: Danach sollen 90% der Menschen mit HIV von ihrer Infektion wissen; 90% der diagnostizierten Personen sollen eine Behandlung erhalten; und bei 90% der in Behandlung befindlichen Personen soll eine Virussuppression erreicht werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollte jedes Land ein Paket unentbehrlicher Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Test, Therapie und Versorgung einführen, das an die örtlichen Gegebenheiten in Bezug auf Epidemie, Ressourcenausstattung und Kapazitäten angepasst ist.

Die Daten zu Trends und Mustern der HIV-Übertragung in dem heute veröffentlichten Bericht führen zu folgenden Empfehlungen:

  • In den Ländern Westeuropas sollten Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen bei Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten weiterhin der Eckpfeiler der HIV-Bekämpfung bleiben. Neue Strategien wie Präexpositionsprophylaxe für HIV als Teil einer umfassenden Präventionsstrategie könnten dazu beitragen, die ansteigenden Trends umzukehren. Der in jüngster Zeit in einigen Ländern beobachtete Anstieg der Zahl der HIV-Fälle unter injizierenden Drogenkonsumenten zeigt, dass die Schadensminderungsprogramme aufrechterhalten oder ausgebaut werden müssen.
  • Im mittleren Teil der Region, wo die HIV-Epidemie weniger stark ausgeprägt ist, zielen die Bemühungen vorrangig darauf ab, die Prävention unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten zu verbessern, die für einen Großteil des jüngsten Anstiegs der Neuinfektionen verantwortlich sind. Für einen Erfolg kommt es entscheidend auf eine Beteiligung der Bürger und auf Bemühungen zur Verringerung von Stigmatisierung und Diskriminierung an.
  • Im östlichen Teil der Region ist es dringend erforderlich, durch Gesundheitssysteme, die den sozialen Determinanten von Gesundheit besser gerecht werden, integrierte Gesundheitsangebote bereitzustellen. Dazu zählen: Präventionsmaßnahmen für Personen, die in Bezug auf eine sexuelle oder drogenbedingte HIV-Übertragung gefährdet sind; gezielte HIV-Tests; Beteiligung der Bürger an der Gestaltung und Bereitstellung von Gesundheitsleistungen; und der Grundsatz „Behandlung für alle“ gemäß den Empfehlungen der WHO. Die hohe Zahl der Neuinfektionen unter injizierenden Drogenkonsumenten verdeutlicht, dass es entscheidend darauf ankommt, Handlungskonzepte auf der Grundlage einschlägiger Evidenz zu erstellen, die wichtigsten Zielgruppen ins Visier zu nehmen und Schadensminderungsprogramme zu stärken.