Die Hälfte aller mit HIV lebenden Menschen in der Europäischen Region erhalten eine verspätete Diagnose: ECDC und WHO fordern dringend Verbesserungen bei den Testverfahren

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Pressemitteilung

Kopenhagen und Stockholm, 28. November 2017

Die Europäische Region ist weltweit die einzige Region der WHO, in der die Zahl der HIV-Neuinfektionen noch steigt. Dieser Trend setzte sich auch 2016 mit über 160 000 HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region, darunter 29 000 Fälle aus den Ländern der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), fort. Ein Grund für diese besorgniserregende Entwicklung liegt darin, dass über die Hälfte (51%) aller gemeldeten HIV-Diagnosen erst in einem späten Stadium der Infektion erfolgen.

„Die HIV-Epidemie breitet sich in der Europäischen Region weiter mit alarmierender Geschwindigkeit aus, vor allem im östlichen Teil der Region, auf den fast 80% der insgesamt 160 000 HIV-Neudiagnosen entfallen. Das ist die bisher höchste registrierte Zahl von neuen Fällen innerhalb eines Jahres. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, werden wir die in den Zielen für nachhaltige Entwicklung enthaltene Zielvorgabe, die HIV-Epidemie bis 2030 zu beenden, nicht erfüllen können“, warnt Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Eine verspätete Diagnose, vor allem bei Hochrisikogruppen, hat eine verspätete Behandlung zur Folge und trägt zur weiteren Ausbreitung des HIV bei. Je später eine Person diagnostiziert wird, desto wahrscheinlicher wird sie an Aids erkranken, wodurch sich ihr Leiden und auch ihr Sterberisiko erhöhen. Am Welt-Aids-Tag appelliere ich dringend an alle Länder, jetzt entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um in der Europäischen Region eine Trendwende bei der HIV-Epidemie herbeizuführen.“

Auf die Frage nach Maßnahmen der EU in Bezug auf frühzeitige Tests antwortete der Europäische Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Dr. Vytenis Andriukaitis: „Um unserem Ziel, HIV zu eliminieren, näherzukommen, müssen wir eine frühzeitige Diagnose für alle sicherstellen und die Risikogruppen und die anfälligsten Menschen erreichen. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir grenzüberschreitend, fach- und organisationsübergreifend darauf hinarbeiten, einen leichten Zugang zu Diagnoseangeboten zu schaffen und Barrieren wie Stigmatisierung und Diskriminierung abzubauen. Initiativen der EU wie die Gemeinsame Maßnahme zur Prävention und Schadensminderung im Bereich von HIV und seinen Koinfektionen (HA-REACT) (1) sind von entscheidender Bedeutung für die Beseitigung von Defiziten bei der Prävention von HIV und Koinfektionen wie Tuberkulose und Virushepatitis unter den schwer erreichbaren Gruppen. Im nächsten Jahr beabsichtige ich, eine Übersicht über Konzepte und bewährte Praktiken bei der Bekämpfung von HIV, einschließlich Präventionsmaßnahmen und frühzeitiger Tests, zu präsentieren und alle Mitgliedstaaten und maßgeblichen Akteure dazu zu ermutigen, sie in die Tat umzusetzen.“

ECDC-Direktorin Dr. Andrea Ammon erklärt: „Unsere Daten zeigen, dass Europa angesichts von jährlich über 29 000 neu gemeldeten HIV-Infektionen in den Ländern der EU und des EWR mehr zur Bekämpfung von HIV tun muss. Im Durchschnitt braucht es vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Diagnose etwa drei Jahre, und das ist viel zu lang. Dies führt langfristig zu weniger günstigen Verläufen für die zahlreichen verspätet Diagnostizierten und erhöht gleichzeitig das Risiko einer Weiterübertragung des Virus. Gut zwei Drittel der Aids-Neudiagnosen in den Ländern der EU und des EWR – genauer: 68% – erfolgten innerhalb der ersten drei Monate nach der HIV-Diagnose, was darauf hindeutet, dass diese Personen sich schon Jahre zuvor infiziert haben.“

In der Altersgruppe über 50 werden zwei Drittel verspätet diagnostiziert

Aus den heute vom ECDC und vom WHO-Regionalbüro für Europa veröffentlichten Surveillance-Daten über HIV/Aids für 2016 geht hervor, dass der Anteil der verspätet Diagnostizierten mit zunehmendem Alter ansteigt. Insgesamt wurden in der Europäischen Region 65% (EU/EWR: 63%) der über 50-Jährigen erst spät im Verlauf ihrer HIV-Infektion diagnostiziert.

Vor allem für diese höhere Altersgruppe spielt die gemeindenahe Gesundheitsversorgung eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Chance auf eine frühzeitige HIV-Diagnose. Die Durchführung von HIV-Tests aufgrund des Vorliegens bestimmter Erkrankungen wie sexuell übertragbarer Infektionen, Virushepatitis, Tuberkulose oder bestimmter Krebsarten könnte ebenfalls zu einer verbesserten Diagnose beitragen (2).

Frühzeitige Diagnose: höhere Lebenserwartung und geringeres Risiko einer Weiterübertragung

Die Direktorinnen des WHO-Regionalbüros für Europa und des ECDC betonen, dass sich Europa zur Verringerung der Zahl neuer HIV-Infektionen auf drei zentrale Handlungsfelder konzentrieren müsse:

  1. Vorrang für wirksame und umfassende Präventionsmaßnahmen wie Sensibilisierung, Förderung von geschütztem Geschlechtsverkehr, Kondomgebrauch und Substitutionstherapie und Einführung von Nadeltauschprogrammen und Präexpositionsprophylaxe für HIV;
  2. Bereitstellung von HIV-Beratung und HIV-Tests, einschließlich Schnelldiagnosen, gemeindenahen HIV-Tests und HIV-Selbsttests; und
  3. Herstellung eines schnellen Zugangs zu hochwertiger Behandlung und Versorgung für die diagnostizierten Fälle.

Eine frühzeitige Diagnose ist so wichtig, weil sie den Betroffenen einen früheren Therapiebeginn ermöglicht, was wiederum ihre Chancen auf ein langes und gesundes Leben erhöht. Darüber hinaus verringert eine frühzeitige Behandlung das Risiko:

  • einer Weiterübertragung des HIV, da sie zu einer nicht nachweisbaren Viruslast führt, das Virus also nicht mehr auf andere Personen übertragen werden kann;
  • einer Ausbildung von Aids (die Zahl der Aids-Fälle hat sich in den letzten zehn Jahren im östlichen Teil der Europäischen Region fast verdoppelt); und
  • einer Ansteckung mit und einer Erkrankung an Tuberkulose, der häufigsten Aids-definierenden Erkrankung in der Europäischen Region, insbesondere im östlichen Teil.

Leitlinien für die Verbesserung der Tests in der Europäischen Region

Die Konsolidierten Leitlinien der WHO für die Durchführung von HIV-Tests zielen auf die Leiter von HIV-Programmen, das Gesundheitspersonal und andere maßgebliche Akteure ab und sollen sie bei der Verbesserung des Zugangs zu HIV-Beratung und HIV-Tests unterstützen.

Insbesondere wird darin für die Einführung von Selbsttests bzw. das Angebot der Beratung und Untersuchung durch geschulte gemeindenahe Leistungsanbieter geworben, um die Akzeptanz unter den Betroffenen zu erhöhen. Diese Leitlinien sollen zusammen mit den Leitlinien für HIV-Selbsttests und die Benachrichtigung von Partnern die Länder bei der allmählichen Verwirklichung der global und für die Regionen und Länder geltenden Zielvorgabe unterstützen, bis 2020 90% der HIV-infizierten Personen zu diagnostizieren.