Neuer Bericht der WHO: Vernachlässigung der Gesundheit von Häftlingen kommt die Gesellschaft später teuer zu stehen

Weitere Auskunft erteilt:

Olga Oleinik
Kommunikationsreferentin
WHO-Regionalbüro für Europa
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Kopenhagen, 21. November 2019

In einem neuen Bericht der WHO werden verbesserte Gesundheitskontrollen und Surveillance-Systeme in Haftanstalten in der Europäischen Region gefordert. Konkret wird dringend darauf hingewiesen, dass die Insassen von Haftanstalten weiterhin unverhältnismäßig häufig von undiagnostizierten und unbehandelten Erkrankungen betroffen sind und damit nach ihrer Entlassung zu einer zusätzlichen gesundheitlichen Belastung für die Außenwelt werden.

Der Sachstandsbericht über Gesundheit im Strafvollzug in der Europäischen Region der WHO enthält eine Analyse der erhobenen Daten über den Gesundheitsstatus von Häftlingen und die Gesundheitssysteme im Strafvollzug in 39 Ländern der Europäischen Region. Im Rahmen der Studie der WHO wurden zwischen 2016 und 2017 Daten aus den Mitgliedstaaten in der Region zur Beobachtung und epidemiologischen Überwachung der Gesundheit im Strafvollzug erhoben.

Aus dem Bericht geht hervor, dass der allgemeine Zustand der Beobachtungs- und Überwachungssysteme in Haftanstalten dürftig ist. Er hat Auswirkungen auf die Entwicklung evidenzbasierter Konzepte, die den Bedürfnissen der Häftlinge gerecht werden.

„Zwar liegen uns nur Daten aus 39 Ländern vor, doch lassen diese auf einen enormen Unterschied zwischen dem allgemeinen Gesundheitszustand der Häftlinge und dem der Allgemeinbevölkerung schließen. Die Erhebung dieser Daten ist unverzichtbar, um die Einbeziehung von Gesundheitskonzepten für Haftanstalten in die übergeordneten gesundheitspolitischen Ziele für die gesamte Gesellschaft zu ermöglichen“, erklärt Dr. Carina Ferreira Borges, Leiterin des Programms „Alkohol und illegale Drogen“ beim WHO-Regionalbüro für Europa.

Von der Haftentlassung zurück in die Gesellschaft

Nach Schätzungen durchlaufen in der Europäischen Region jedes Jahr etwa 6 Mio. Menschen den Strafvollzug. Nach der Haftentlassung werden viele ehemalige Insassen rückfällig und kommen erneut in Haft. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass dieser Zyklus zwischen Haft und Leben in der Gesellschaft oft dazu führt, dass die Gesundheitsversorgung außerhalb des Strafvollzugs unstet und wenig wirksam ist.

In der ersten Phase nach der Haftentlassung besteht ein erhöhtes Risiko in Bezug auf Suizid, Selbstschädigung und Überdosis. Deshalb kommt es während dieser Übergangsphase entscheidend auf die Kontinuität der Versorgung an. Defizite in der Versorgung während dieses Zeitraums können erhebliche negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben und die Fähigkeit eines Landes zur Beseitigung von Ungleichheiten beeinträchtigen.

„Jedes Jahr kehrt ein erheblicher Teil der Häftlinge in die Gesellschaft zurück. Deshalb bietet die Behandlung von Haftanstalten als Umfelder für die Gesundheitspolitik die Gelegenheit für Maßnahmen zur Förderung der öffentlichen Gesundheit und zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz, die dem Schutz anfälliger Bevölkerungsgruppen zugute kommen“, erklärt Dr. Bente Mikkelsen, Leiterin der Abteilung Nichtübertragbare Krankheiten und Gesundheitsförderung im gesamten Lebensverlauf beim WHO-Regionalbüro für Europa

Sie fügt hinzu: „Eine Haftstrafe beschneidet die Freiheit eines Menschen; sie sollte nicht auch noch ihre Gesundheit beeinträchtigen und damit ihr Recht auf Gesundheit beschneiden.

Eine Chance für mehr Gesundheit

Haftanstalten und andere Einrichtungen im Strafvollzug bieten die Chance, auf Prävention und Risikominderung abzielende Interventionen und Behandlungen für eine Bevölkerungsgruppe durchzuführen, die zuvor vielleicht keinen oder nur begrenzten Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zu einem gesunden Lebensstil hatte.

In dem Bericht werden Haftanstalten als Umfelder betrachtet, in denen Gesundheitsinterventionen bestehende Gesundheitsprobleme beheben und so zu positiven Lebensgewohnheiten und Verhaltensänderungen beitragen können. Die Zeit im Strafvollzug kann auch dazu genutzt werden, die Fähigkeiten der Betroffenen so zu verbessern, dass sie nach der Entlassung Arbeit finden und sich wieder in die Gesellschaft einfügen können.

„Bei der Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung darf die WHO die Gefängnispopulation mit ihrer unverhältnismäßig hohen Krankheitslast nicht außer Acht lassen. Um eine allgemeine Gesundheitsversorgung sowie mehr Gesundheit und Wohlbefinden für alle zu erreichen, wie in der Zukunftsvision der WHO angestrebt, kommt es entscheidend darauf an, die Gefängnisse als ein Zeitfenster zu begreifen, in dem Lebensgewohnheiten geändert und dafür gesorgt werden kann, dass niemand zurückgelassen wird“, unterstreicht Dr. Mikkelsen.