Begrüßungsansprache auf dem Seminar über die Eindämmung und Prävention der Antibiotikaresistenz anlässlich des Weltgesundheitstages
Moskau, 7. April 2011
Meine Damen und Herren!
Heute feiern wir den Weltgesundheitstag, den Jahrestag des Inkrafttretens der Sat-zung der WHO am 7. April 1948, die mit ihren zentralen Grundwerten Glück, harmonische Beziehungen und Sicherheit für alle Völker zuvor von 61 Ländern verabschiedet worden war. In jedem Jahr stellen wir an diesem Tag ein anderes Gesundheitsthema in den Mittelpunkt.
In diesem Jahr wurde ein besonders akutes Thema gewählt. Die Plakate sprechen für sich: Wer heute nicht handelt, kann morgen nicht mehr heilen. Antimikrobielle Resistenz hat sich zu einem weltweiten Problem entwickelt, auch in den Ländern der Europäischen Region. Kein Land kann dieses Problem im Alleingang lösen. Wenn wir jetzt nicht handeln, kann die antimikrobielle Resistenz all unsere Maß-nahmen zur Bekämpfung von Malaria, HIV und Tuberkulose sowie einer Vielzahl anderer bakterieller Infektionen gefährden. Die WHO ruft zu abgestimmtem Handeln auf, um der Ausbreitung von Arzneimittelresistenzen Einhalt zu gebieten. In der Europäischen Region der WHO haben wir vor allem die Antibiotikaresistenz von Bakterien sowie deren Ursachen und Ausbreitung im Visier.
Schon vor 70 Jahren wies Alexander Fleming, der Entdecker des Penizillins, dar-auf hin, dass der Gebrauch von Antibiotika zur Entstehung von Resistenzen führen werde. Dies bewahrheitete sich schon kurz nach Entdeckung des Penizillins im Jahr 1928 und vor allem nach 1940, nachdem es in großem Umfang vermarktet wurde. Deshalb wurden viele neue Antibiotika entwickelt, die allesamt denselben Prozess durchliefen, bei dem die Bakterien, die sie abtöten sollten, Resistenzen entwickelten.
Nur allzu oft und in zu vielen Ländern werden Antibiotika übermäßig und miss-bräuchlich eingesetzt, da sie rezeptfrei erhältlich sind. Viele Menschen glauben, Antibiotika seien zur Behandlung jeglicher Infektion geeignet, und wissen nicht, dass sie nur gegen bakterielle Infektionen wirken. Häufig werden Antibiotika auch unnötigerweise dem Viehfutter beigemischt. Resistente Bakterien und Gene breiten sich von Tieren auf den Menschen und von Land zu Land aus. In unserer heutigen Zeit sind wir auf Antibiotika und andere antimikrobielle Mittel angewiesen, um Erkrankungen behandeln zu können, die noch vor einigen Jahrzehnten tödlich ge-endet hätten.
Jedes Jahr sterben nach Schätzungen allein in den Ländern der Europäischen Uni-on 25 000 Menschen an einer schweren Infektion mit resistenten Bakterien, die meist im Krankenhaus erworben wurde. Die Gesamtzahl der Todesfälle in der Re-gion ist nicht bekannt, doch dürfte sie in den Ländern außerhalb der Europäischen Union ähnlich hoch oder sogar noch höher liegen.
Aufgrund der längeren Dauer der Erkrankungen und der höheren Komplexität der Behandlungen erhöht Antibiotikaresistenz die Kosten für die Gesundheitsversor-gung und damit die finanzielle Belastung für Familien und Gesellschaft. Die Ge-samtkosten der Antibiotikaresistenz für die Gesellschaft werden allein für die EU-Staaten auf 1,5 Mrd. € geschätzt. Mit steigenden Einkommen in den Ländern wer-den auch mehr Antibiotika verschrieben und verwendet, was die Ausbreitung resis-tenter Bakterien begünstigt.
Besonders besorgniserregend sind bakterielle Resistenzen gegenüber Tuberkuloti-ka, und in vielen Ländern im östlichen Teil der Europäischen Region sind multire-sistente Tuberkulosestämme weit verbreitet.
Gegenwärtig sind sehr wenige neue Antibiotika in Entwicklung oder auf dem Arz-neimittelmarkt. Wenn wir jetzt nicht handeln, kann es so weit kommen, dass be-stimmte bakterielle Infektionen künftig nicht mehr heilbar sind. Dieser Gefahr soll-te sich jeder bewusst sein.
In der Landwirtschaft sollten Antibiotika mit Augenmaß eingesetzt werden, zumal dies einen wesentlichen Einfluss auf bestimmte Bakterien hat, die Tier und Mensch gleichermaßen befallen können. Die Verabreichung von Antibiotika an gesunde Tiere zwecks Wachstumsförderung ist in der Europäischen Union verboten, in an-deren Ländern der Region jedoch nicht.
Am Weltgesundheitstag 2011 rufen wir zu verstärkten Anstrengungen zur Erhal-tung dieser Arzneimittel für künftige Generationen auf. Für die Europäische Regi-on schlagen wir einen strategischen Sieben-Punkte-Aktionsplan vor, um die Ent-stehung und Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen zu bekämpfen und an ihren wichtigsten Ursachen anzusetzen, nämlich einem unzureichenden Infektionsschutz und dem übermäßigen bzw. unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika.
Der Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie ist ein gut funktionierendes Surveillan-ce-System. Um das Problem bekämpfen zu können, müssen wir uns ein umfassen-des Bild von der Situation machen. Eine Abstimmung auf nationaler Ebene ist dringend notwendig, weil Antibiotikaresistenzen und Antibiotikamissbrauch in so vielen Bereichen vorkommen. Darüber hinaus müssen wir den Infektionsschutz in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen verbessern und weitere Maßnahmen durchführen, über die wir heute diskutieren werden.
Es ist wichtig, dass sich jedes Land diese Strategie zu eigen macht. Manche Länder verfügen bereits über leistungsfähige Surveillance-Systeme, andere noch nicht. Je-des Land sollte eine Bestandsaufnahme der eigenen Situation vornehmen und in Bezug auf die sieben Schwerpunkte des Aktionsplans bestimmte Prioritäten setzen.
Deshalb freue ich mich, dass wir uns heute hier in Moskau mit diesem Thema be-fassen und über die wichtigsten Herausforderungen sowie mögliche Lösungsansät-ze sprechen. Ich halte es auch für eine ausgezeichnete Gelegenheit, in Ihrem Land die neue Strategie der WHO zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz vorzustel-len, und ich hoffe hierbei auf die Unterstützung der Regierung der Russischen Fö-deration.
Russische Wissenschaftler haben bei der Erforschung von Bakterien und Antibio-tika immer eine bedeutende Rolle gespielt. Wir hoffen, dass die Russische Födera-tion auch weiterhin einen aktiven Beitrag zur Suche nach Konzepten gegen Antibi-otikaresistenz leisten wird.
Der Regierung der Russischen Föderation möchte ich für die Ausrichtung des Weltgesundheitstages hier in Moskau danken. Wir freuen uns auf eine sehr interes-sante und konstruktive Veranstaltung heute Vormittag. Wir sind Ihnen äußerst dankbar für Ihre warmherzige Begrüßung und für die Gestaltung des Programms, das uns eine gezielte Analyse der Probleme ermöglichen und die Suche nach Lö-sungskonzepten erleichtern wird. Dies können wir nur gemeinsam, und nicht im Alleingang schaffen.
Ich bedanke mich herzlich bei der Gesundheitsministerin und der stellvertretenden Gesundheitsministerin sowie bei allen Rednern, Partnern und Teilnehmern, die uns heute über die aktuelle Situation im Bereich der Antibiotikaresistenz berichten und mit uns über mögliche Lösungen diskutieren.
Ich wünsche Ihnen einen ergiebigen Vormittag!