Häufig gestellte Fragen zum Themenkomplex Migration und Gesundheit

Welches sind die verbreitetsten Gesundheitsprobleme von Flüchtlingen und Migranten bei ihrer Ankunft in der Europäischen Region?

Die Gesundheitsprobleme von Flüchtlingen und Migranten ähneln denen der übrigen Bevölkerung, auch wenn bestimmte Gruppen teilweise eine höhere Prävalenz aufweisen. Zu den häufigsten Gesundheitsproblemen neu angekommener Migranten gehören Unfallverletzungen, Unterkühlung, Verbrennungen, Herz-Kreislauf-Ereignisse, Komplikationen in Verbindung mit Schwangerschaft und Entbindung, Diabetes und Bluthochdruck. Migrantinnen sind häufig auch mit geschlechtsspezifischen Herausforderungen konfrontiert; dies betrifft insbesondere die Gesundheit von Müttern, Neugeborenen und Kindern und den Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, aber auch Frauen mit Gewalterfahrungen. Die Exposition von Migranten gegenüber den mit großen Bevölkerungsbewegungen verbundenen Risiken – psychosoziale Probleme, Probleme der Reproduktionsgesundheit, höhere Neugeborenensterblichkeit, Drogenmissbrauch, Ernährungsstörungen, Alkoholismus und Gewalterfahrungen – erhöht ihre Anfälligkeit gegenüber nichtübertragbaren Krankheiten. Das zentrale Thema in Bezug auf nichtübertragbare Krankheiten ist die Unterbrechung der Versorgung aufgrund eines fehlenden Zugangs oder der Dezimierung der Gesundheitssysteme und der Leistungsanbieter. Vertreibung führt zur Unterbrechung der kontinuierlichen Behandlung, die bei chronischen Erkrankungen unverzichtbar ist. 

Kinder sind aufgrund der unzureichenden Lebensbedingungen und der Entbehrungen während der Migration besonders anfällig für akute Infekte wie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen und benötigen daher einen Zugang zur Akutversorgung. Ein Mangel an Hygiene kann auch zu Hautinfektionen führen. Darüber hinaus hat sich die Zahl der Krankheits- und Todesfälle unter den Flüchtlingen und Migranten, die das Mittelmeer überqueren, rapide erhöht. So wurden nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 1867 Personen als ertrunken oder auf See vermisst gemeldet.

Tragen Migranten zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten bei?

Entgegen der weit verbreiteten Auffassung gibt es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Migration und der Einschleppung von Infektionskrankheiten. Übertragbare Krankheiten sind in erster Linie durch Armut bedingt. Migranten kommen oft aus Gemeinschaften, die von Kriegen, Konflikten oder Wirtschaftskrisen betroffen sind, und müssen eine lange, erschöpfende Reise bewältigen, durch die sich ihr Risiko speziell in Bezug auf übertragbare Krankheiten wie Masern und lebensmittel- und wasserbedingte Krankheiten erhöht. Die Europäische Region verfügt über langjährige Erfahrung bei der Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten wie Tuberkulose, HIV/Aids, Hepatitis, Masern und Röteln und hat die aus diesen resultierende Krankheitslast durch wirtschaftliche Entwicklung, die Verbesserung von Wohnbedingungen, Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie durch effiziente Gesundheitssysteme, Impfstoffe und Antibiotika signifikant reduziert. Doch diese Krankheiten sind noch nicht eliminiert, sondern in der Europäischen Region nach wie vor vorhanden – unabhängig von der Migration. Dies trifft auch auf im Mittelmeerraum verbreitete Vektorkrankheiten wie Leishmaniose zu, für die vor kurzem Ausbrüche in der Arabischen Republik Syrien gemeldet wurden. Leishmaniose wird nicht von Mensch zu Mensch übertragen und lässt sich wirksam behandeln. Die Gefahr der Einschleppung exotischer und seltener Erreger in die Europäische Region (z. B. Ebola-, Marburg- oder Lassa-Virus oder Nahost-Atemwegssyndrom-Coronavirus) ist äußerst gering. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine solche Einschleppung nicht durch Flüchtlinge oder Migranten, sondern allenfalls durch reguläre Reisende, Touristen oder Gesundheitspersonal erfolgt.

Tuberkulose

Das Risiko einer Ansteckung mit bzw. einer Erkrankung an Tuberkulose ist für Migranten von folgenden Faktoren abhängig: der Tuberkuloseinzidenz im Herkunftsland; den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Aufnahmeland, einschließlich des Zugangs zu Gesundheits- und Sozialleistungen; der Frage, ob sie in Kontakt mit einem Erkrankten gekommen sind (Infektiösität und Dauer des Einatmens derselben Luft); und den Umständen ihrer Reise nach Europa (höheres Infektionsrisiko in schlecht belüfteten Räumen). Menschen mit schweren Formen infektiöser Tuberkulose sind oftmals nicht reisetauglich. Die Inzidenzraten der Tuberkulose in den Herkunftsländern liegen zwischen 17 Neuerkrankungen je 100 000 EW in der Arabischen Republik Syrien und 338 Fällen in Nigeria. Die durchschnittliche Tuberkuloserate in der Europäischen Region beträgt 39 Fälle je 100 000 EW. Tuberkulose ist nicht leicht übertragbar, und nur bei einem kleinen Teil der Infizierten (lebenslanges Risiko: 10%; bei HIV-positiven Personen: 10% im Jahr) kommt es zu einer aktiven Erkrankung, meist innerhalb von einigen Monaten oder Jahren nach der Infektion.  Tuberkulose wird nicht oft von Migranten auf die ortsansässige Bevölkerung übertragen, da es nur begrenzte Kontakte zwischen diesen beiden Gruppen gibt.

HIV-Infektion und virale Hepatitis

Konflikte und Krisensituationen können zu einer Unterbrechung der Versorgung im Bereich HIV führen, doch die HIV-Prävalenz ist unter den Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika generell niedrig. Deshalb besteht nur ein geringes Risiko, dass HIV von Migranten aus diesen Ländern nach Europa gebracht wird. Der Anteil der Migranten unter den mit HIV lebenden Menschen ist innerhalb der Europäischen Region sehr unterschiedlich und liegt im östlichen und mittleren Teil der Region bei unter 10%, in den meisten Ländern Nordeuropas bei rund 40% und in Westeuropa zwischen 20% und 40%. Trotz eines Rückgangs in den vergangenen zehn Jahren sind immer noch 35% aller HIV-Neuinfektionen in den Ländern der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums Migranten. Doch es gibt zunehmend Indizien dafür, dass manche Migranten sich erst nach ihrer Ankunft mit HIV infizieren.

Da zahlreiche Entwicklungsländer hohe Fallzahlen für virale Hepatitis aufweisen, hat der wachsende Flüchtlingsstrom aus diesen Hochprävalenzländern spürbare Auswirkungen auf die Krankheitslast in der Europäischen Region.

Atemwegserkrankungen und MERS-CoV

Flüchtlinge stellen für die Bevölkerung der Aufnahmeländer keine erhöhte Gefahr in Bezug auf Atemwegserkrankungen (Influenzaviren, respiratorische Synzytial-Viren, Adenoviren, Parainfluenzaviren) dar, weil diese Infektionskrankheiten in diesen Ländern weit verbreitet sind. Doch durch die Entbehrungen und die körperlichen und psychischen Belastungen, die durch mangelhafte Unterbringung, Ernährung und Trinkwasserversorgung bedingt sind, erhöht sich für die Flüchtlinge die Gefahr von Atemwegsinfektionen, die bei besonders anfälligen Gruppen (Schwangere, Neugeborene, Kinder unter fünf Jahren, Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, Senioren) schwere Verläufe nehmen können.

Seit September 2012 wurden aus acht Ländern der Europäischen Region insgesamt 15 im Labor bestätigte Fälle von Infektion mit dem MERS-Coronavirus gemeldet, davon sieben mit tödlichem Ausgang. Die meisten dieser Fälle waren eingeschleppt und hatten keine weitere Ausbreitung des Virus zur Folge. Dennoch bleibt ein – wenn auch geringes – Risiko bestehen, dass weitere mit dem MERS-CoV infizierte Personen in ein Land der Europäischen Region einreisen. Die meisten Reisenden in die Europäische Region durchqueren nicht die Länder, aus denen gegenwärtig Fälle von Infektion mit dem MERS-CoV gemeldet werden. Wo dies doch der Fall ist, nehmen sie meist nicht die dortigen Krankenhäuser in Anspruch. Der einzige unbekannte Einflussfaktor ist die Wahrscheinlichkeit von Kontakten mit Kamelen und Kamelprodukten. Auch wenn die Gefahr eines größeren Ausbruchs in den Ländern der Europäischen Union als gering eingestuft wird, so zeigt doch der Ausbruch in der Republik Korea im Frühsommer, dass diese Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.

Vektorkrankheiten

Die Gefahr einer Wiedereinschleppung und örtlich begrenzter Ausbrüche von Vektorkrankheiten wie Malaria und Leishmaniose kann sich durch einen massiven Zustrom von Flüchtlingen erhöhen, wie sich vor kurzem an dem Wiederauftreten von Malaria in Griechenland erkennen ließ, das in direktem Zusammenhang mit dem Zustrom von Migranten aus Pakistan gesehen wird. Diese Erfahrungen verdeutlichen die anhaltende Gefahr eines Wiederauftretens und die Notwendigkeit einer ständigen Wachsamkeit, um ein Wiederaufflammen der Krankheit sofort eindämmen zu können. Gegenwärtig sind zwei Länder der Europäischen Region der WHO, Tadschikistan und die Türkei, in Bezug auf ein Wiederauftreten der Malaria stark gefährdet, das ihnen bei einer Einschleppung aus Afghanistan bzw. der Arabischen Republik Syrien droht.

Antimikrobielle Resistenz

Antimikrobielle Resistenz ist kein Krankheitsbild für sich, sondern eine Komplikation bei der Behandlung einer Krankheit. In bestimmten Situationen, etwa in beengten Wohnverhältnissen mit schlechten hygienischen Bedingungen in Flüchtlingslagern, können Infektionskrankheiten leicht übertragen werden und sich ausbreiten. Ob eine Infektion durch resistente Erreger verursacht wird, hängt von ihrer Herkunft ab; hier kommen die Umwelt, Tiere, Lebensmittel oder der Mensch in Frage.

Lebensmittel- und wasserbedingte Krankheiten

Die Gefahr lebensmittel- und wasserbedingter Krankheiten kann sich unter den mit Migration verbundenen ungünstigen Lebensbedingungen erhöhen. Manche Migranten sind vielleicht schon vor ihrer Abreise erkrankt, doch häufiger ist eine Erkrankung während der Reise, insbesondere in überfüllten Unterkünften. Ungünstige Lebensbedingungen können eine Störung der Versorgung mit sicheren Lebensmitteln und unbedenklichem Trinkwasser zur Folge haben und zu unhygienischen Verhältnissen bei der Gewinnung, Lagerung oder Zubereitung von Lebensmitteln und Wasser führen. Wenn die Versorgung mit sicheren Lebensmitteln und sicherem Trinkwasser nicht gesichert ist, verwenden die Menschen teilweise verseuchte Zutaten oder verdorbene Lebensmittel. Beengte Wohnverhältnisse sind eine entscheidende Determinante von Ausbrüchen lebensmittel- und wasserbedingter Krankheiten. Durchfall ist das häufigste Symptom, das jedoch auch von Übelkeit, Erbrechen und Fieber begleitet sein kann. Beispiele für solche Krankheiten sind Salmonellose, Shigellose, Campylobacteriose und Hepatitis A. Besonders anfällig für solche Erkrankungen sind Säuglinge und Kleinkinder, Schwangere und ältere Menschen sowie Personen mit geschwächtem Immunsystem, etwa aufgrund von HIV/Aids.

In dem Sphere-Handbuch  wird die zum Überleben erforderliche Wasseraufnahme auf 2,5 bis 3 l Trinkwasser pro Person pro Tag beziffert; in Lagern liegt der grundlegende Wasserbedarf bei 15 l pro Person. Diese Normen können unterwegs von den meisten Migranten nicht eingehalten werden, und das Trinkwasser ist oft unbekannter Herkunft und ungeklärt. Händewaschen mit Seife und die Einhaltung persönlicher Hygiene (einschließlich Wäschewaschen) sind oft nicht möglich. 

An Grenzübergängen gibt es meist kein Trinkwasser, keine Toiletten und keine Duschen. Abfalltonnen und die regelmäßige Abfallentsorgung in Aufnahmezentren sind oft unzureichend und stellen eine zusätzliche Bedrohung für die Gesundheit der Migranten dar, da so ideale Bedingungen für Fliegen, Mücken und Nagetiere entstehen.

Hitze

Große Hitze kann zu Krankheit und sogar zum Tod führen. Wenn die Außentemperatur höher ist als die Hauttemperatur, ist die einzige Möglichkeit zur Wärmeregulierung Verdunstung (Schwitzen). Deshalb kann jeder Einflussfaktor, der diese Verdunstung behindert, etwa hohe Luftfeuchtigkeit oder allzu enge Kleidung, zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen, die einen lebensbedrohlichen Hitzschlag auslösen kann. Sie kann Erschöpfung, Herzinfarkte oder Verwirrung auslösen und bereits bestehende Leiden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen verschlimmern.
Die individuelle Anfälligkeit für Hitzebelastung wird durch ein breites Spektrum von Einflussfaktoren erhöht, darunter chronische Erkrankungen, soziale Isolation, beengte Wohnverhältnisse, Bettlägerigkeit und bestimmte medizinische Behandlungen.

Welche Interventionen sind zur Verhinderung der Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten zu empfehlen?

Tuberkulose

Die Länder der Europäischen Region sollten eine allgemeine Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und (reguläre und irreguläre) Migranten sicherstellen, u. a. eine Frühdiagnose von Tuberkulose und eine wirksame Versorgung während der gesamten Dauer der Therapie. Dies ist nicht nur aus Menschenrechtsgründen unbedingt erforderlich, sondern auch für eine erfolgreiche Bekämpfung und Eliminierung der Tuberkulose in der Europäischen Region notwendig. Europa ist die einzige unter den WHO-Regionen, die über ein Konsensdokument über ein Mindestpaket an grenzüberschreitenden Tuberkulosebekämpfungsmaßnahmen und Versorgungsleistungen verfügt. Dazu gehören die Gewährleistung eines Zugangs zur Gesundheitsversorgung unabhängig vom Registrierungsstatus eines Migranten und eine Unterlassung von Deportationen bis zum Abschluss einer intensiven Tuberkulosetherapie. Tuberkulosefälle unterliegen der Meldepflicht gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005).

HIV-Infektion und virale Hepatitis

Die Gesundheitssysteme müssen die Präventions- und Versorgungsprogramme für virale Hepatitis ausweiten. In mehreren Ländern der Europäischen Region werden nur Angehörige von Hochrisikogruppen gegen Hepatitis B geimpft – entgegen den Empfehlungen der WHO zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für Neugeborene, die den wirksamsten Weg zur Verhinderung einer Mutter-Kind-Übertragung darstellt. Soziale, ökonomische und politische Faktoren in den Herkunfts- und Zielländern der Migranten beeinflussen ihr Infektionsrisiko in Bezug auf HIV und Hepatitis. Zu diesen Faktoren gehören Armut, Trennung vom Ehepartner, soziale und kulturelle Normen, Sprachbarrieren, unzureichende Lebensbedingungen und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, einschließlich sexueller Gewalt. Isolation und Stressbelastung können Migranten zu riskanten Verhaltensweisen veranlassen, die für sie das Infektionsrisiko erhöhen. Das Risiko wird durch einen unzureichenden Zugang zu Angeboten im Bereich HIV sowie durch die Angst vor Stigmatisierung verschärft. Frauen sind hier oft besonders gefährdet. Einige Länder der Europäischen Region stellen keine Leistungen im Bereich HIV für Personen mit ungeklärtem Rechtsstatus bereit; davon können auch Migranten betroffen sein. Die WHO befürwortet Konzepte zur Bereitstellung von HIV-Tests sowie entsprechenden Präventions- und Therapieangeboten unabhängig vom Rechtsstatus von Migranten. In manchen Ländern werden obligatorische HIV-Tests für Migranten durchgeführt. Die WHO und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten raten dringend von solchen Pflichtuntersuchungen von Migranten auf HIV ab, empfehlen aber ein standardmäßiges Angebot von HIV-Schnelltests und eine Verknüpfung von HIV-Therapie und -Betreuung. Ebenso haben sich freiwillige Reihenuntersuchungen für Migranten auf virale Hepatitis als kosteneffektiv erwiesen. Manche Länder befürchten, dass eine Einreiseerlaubnis für HIV-positive Asylbewerber zu einer Flut von Behandlungsanträgen führen und dass ein Zustrom von mit HIV infizierten Asylbewerbern bzw. Flüchtlingen eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen würde. Solche Bedenken entbehren jeglicher sachlichen Grundlage und sind auch in moralischer, juristischer und gesundheitlicher Hinsicht nicht haltbar.

Atemwegserkrankungen und MERS-CoV

Durchgangs- und Aufnahmeländer sollten über die nötigen Kapazitäten für die Erkennung und Behandlung schwerer Atemwegserkrankungen verfügen. Diese Länder oder die WHO sollten erwägen, ab Oktober oder November 2015 gefährdeten Flüchtlingen eine Impfung gegen saisonale Grippe anzubieten, bevor sich die Grippe in der Europäischen Region ausbreitet. Laborkapazitäten zur Entdeckung des MERS-CoV, Behandlungseinrichtungen mit Isolierstationen, Modalitäten für die Rückverfolgung von Kontakten, eine konsequente Anwendung ausreichender Infektionsschutzmaßnahmen und die Bereitstellung von Gesundheitsberatung sind allesamt gleichermaßen wichtig, um die Übertragung zu verhindern oder abzuschwächen.

Vektorkrankheiten

Die Erfahrungen in der Türkei haben gezeigt, dass ein gut gerüstetes Gesundheitssystem die Wiedereinschleppung von Vektorkrankheiten verhindern kann. Seit 2012 hat das türkische Gesundheitssystem eine starke Fähigkeit und große Flexibilität in Bezug auf die Anpassung an sich verändernde Anforderungen unter Beweis gestellt, und bisher konnten eine Wiedereinschleppung von Malaria und Ausbrüche von Leishmaniose verhindert werden.

Antimikrobielle Resistenz

Für eine erfolgreiche Behandlung sind Erkenntnisse über die in dem Herkunftsland bzw. der Herkunftsregion von Migranten sowie in ihrem Aufnahmeland vorherrschenden Muster antimikrobieller Resistenzen wichtig. So sollten Patienten möglichst getestet werden, damit die Ärzte fundierte Entscheidungen für die individuelle Behandlung treffen können. Voraussetzung hierfür ist ein Zugang zum Gesundheitssystem des Gastlandes. Wenn den Migranten dieser Zugang verweigert wird, so kann dies zur Folge haben, dass sie die richtigen antimikrobiellen Mittel nicht erhalten. Dies schadet dem Patienten und kann in Mikroorganismen, die in Kontakt mit ihm kommen, die Entstehung von Resistenzen begünstigen.

Lebensmittel- und wasserbedingte Krankheiten

Es ist wichtig, die Entstehung lebensmittel- und wasserbedingter Krankheiten unter Migranten zu verhindern; dies gilt insbesondere während ihres Aufenthalts in Lagern, wo die Seuchen epidemieartige Ausmaße annehmen können, vor allem in improvisierten Notunterkünften. Es gilt, Informationen über den sicheren Umgang mit Lebensmitteln zu verbreiten, wie etwa die von der WHO ausgearbeiteten fünf Tipps für sicherere Lebensmittel. Der Zugang zu unbedenklichem Trinkwasser ist für die Prävention lebensmittel- und wasserbedingter Krankheiten von entscheidender Bedeutung, und an Grenzübergängen und in Aufnahmezentren sollte eine gründliche Bewertung der Wasser- und Sanitärversorgung vorgenommen werden. Dies sollte die Einrichtung einer Wassernotversorgung (aus Flaschen oder Tanks), aber auch Verfahren zur Klärung, Desinfektion, Speicherung und Verteilung umfassen. Die zuständigen Kommunalbehörden müssen über die Wasserqualität wachen und in der Nähe von Toiletten Einrichtungen zum Händewaschen sowie ausreichend Seife bereitstellen. Zwar wird in dem Sphere-Handbuch bei Notlagen eine Toilette für maximal 20 Personen empfohlen, doch ist dies in den meisten Situationen nicht realistisch. So stehen etwa für die Tausenden von Migranten, die täglich in dem Aufnahmelager Gevgelija im Süden der Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien ankommen, nur zehn Toiletten zur Verfügung, und die Lage in dem serbischen Aufnahmelager ist keineswegs besser.

Hitze

Während einer Hitzewelle sind als wichtigste Maßnahmen geboten: Vermeidung oder Verringerung der Hitzebelastung; effektive Risikokommunikation; besondere Berücksichtigung der Bedürfnisse anfälliger Bevölkerungsgruppen; und Behandlung mäßiger wie schwerer Hitzeerkrankungen. Das WHO-Regionalbüro für Europa hat für verschiedene Zielgruppen Informationsblätter mit gesundheitsrelevanten Ratschlägen zur Verhinderung der gesundheitlichen Auswirkungen von Hitzebelastung ausgearbeitet.

Warum spielen nichtübertragbare Krankheiten bei einem großen Zustrom von Flüchtlingen und Migranten eine wichtige Rolle?

Nichtübertragbare Krankheiten sind eine weit verbreitete Ursache vermeidbarer Mortalität und Morbidität:

  • Die häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs und chronische Lungenerkrankungen.
  • Die Prävalenz von nichtübertragbaren Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck liegt bei Erwachsenen in bestimmten Ländern mit niedrigem bis mittlerem Volkseinkommen bei 25% bis 35%. 

Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten sind oft aufgrund der Umstände ihrer Migration anfälliger

Nichtübertragbare Krankheiten weisen gemeinsame Merkmale auf, die Flüchtlinge oder Migranten oft anfälliger machen. 

Nichtübertragbare Krankheiten:

  • machen eine kontinuierliche Gesundheitsversorgung über längere Zeiträume hinweg (oft lebenslang) erforderlich;
  • erfordern oft eine regelmäßige Behandlung mit bestimmten Medikamenten, Technologien oder Geräten;
  • können mit akuten Komplikationen verbunden sein, die eine medizinische Versorgung erfordern, Gesundheitsausgaben nach sich ziehen und die Funktionstüchtigkeit der Betroffenen und ihren täglichen Aktionsradius einschränken und sogar ihre Lebenserwartung verringern können;
  • machen eine Koordinierung der Versorgung und Nachsorge zwischen verschiedenen Leistungsanbietern und Umfeldern erforderlich; 
  • können die Notwendigkeit einer Palliativversorgung nach sich ziehen.

Herausforderungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Maßnahmen der WHO auf diesem Gebiet

In den vergangenen 20 Jahren sind in den Ländern der Europäischen Region der WHO infolge der verstärkten Zuwanderung verschiedenartige Probleme im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu beobachten. So ist etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen für Länder wie Belgien, Norwegen, Schweden und das Vereinigte Königreich zu einem aktuellen Thema geworden, und die Mitgliedstaaten haben die WHO um Empfehlungen für den Umgang mit dieser Problematik gebeten. Weiterhin leidet ein Teil der Migranten und Flüchtlinge an nicht diagnostizierten nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Diese Gesundheitsprobleme können zu Komplikationen während der Schwangerschaft führen und bei Müttern schwere Erkrankungen und sogar den Tod zur Folge haben. 

Irreguläre Migranten, die nicht über Angebote im Bereich der Reproduktionsgesundheit (z. B. vorgeburtliche Versorgung) informiert sind und somit keinen Zugang zu ihnen haben, geben hier besonderen Grund zur Besorgnis, da sie häufig eine verspätete Diagnose erhalten und dies zu teils lebensbedrohlichen Situationen für die betroffenen Frauen, Mütter und Säuglinge führen kann.

Eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation hinsichtlich der Gesundheit von Müttern unter den Migranten und Flüchtlingen wird derzeit vom Health Evidence Network der WHO durchgeführt und soll 2016 vorgelegt werden. Der Aktionsplan zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in der Europäischen Region der WHO, der der 66. Tagung des Regionalkomitees für Europa im Jahr 2016 vorgelegt werden soll, wird sich speziell mit dieser Zielgruppe befassen.

Wie wirkt sich eine plötzliche Migrationswelle auf die Gesundheit von Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten aus?

Die Umstände, unter denen Flüchtlinge und Migranten unterwegs sind, können dazu führen, dass die Lebensbedingungen von Menschen, die an nichtübertragbaren Krankheiten leiden, sich akut verschärfen oder dass eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands eintritt. Besonders gefährdet sind ältere Menschen und Kinder. Komplikationen können durch folgende Umstände verursacht werden:

  • körperliche Verletzungen: direkte traumatische Verletzungen (z. B. Sekundärinfektion, unzureichende glykämische Kontrolle), die die Behandlung einer akuten Verletzung beeinträchtigen;
  • Zwangsvertreibung: Verlust des Zugangs zu Medikamenten oder medizinischen Geräten, Verlust von Verschreibungen und fehlender Zugang zur Gesundheitsversorgung können zur Verlängerung der Behandlungsunterbrechung beitragen;
  • Verschlechterung der Lebensbedingungen: Verlust des Dachs über dem Kopf, Engpässe in der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung und fehlendes Einkommen können eine Verschärfung der körperlichen und seelischen Belastung bewirken;
  • Unterbrechung der Versorgung: aufgrund der Zerstörung der gesundheitlichen Infrastruktur, der Unterbrechung der Versorgung mit medizinischen Gütern und des fehlenden Zugangs zu Gesundheitsleistungen, deren Erbringer möglicherweise getötet oder verletzt worden sind oder aus anderen Gründen nicht zur Arbeit gehen können; die Unterbrechung der Strom- oder Trinkwasserversorgung kann lebensbedrohliche Folgen haben, insbesondere für Personen mit Nierenversagen im Endstadium, die eine Dialyse benötigen.

Mindeststandards für die Erfüllung der Bedürfnisse von Flüchtlingen und Migranten, die an nichtübertragbaren Krankheiten leiden

  • Identifizierung von Personen mit nichtübertragbaren Krankheiten, um ihnen auch weiterhin Zugang zu der Art von Behandlung zu sichern, die sie vor der Migration erhielten.
  • Gewährleistung der Behandlung von Personen mit akuten, lebensbedrohlichen Komplikationen von nichtübertragbaren Krankheiten mit dramatischer Verschlechterung des Gesundheitszustands.
  • Wenn für nichtübertragbare Krankheiten keine Behandlung bereit steht, Festlegung klarer Standardverfahren für eine Überweisung.
  • Gewährleistung, dass im System der primären Gesundheitsversorgung die wesentlichen Diagnosegeräte, Labortests und Medikamente für eine routinemäßige Versorgung von Personen mit nichtübertragbaren Krankheiten vorhanden sind. Medikamente, die auf der vor Ort jeweils geltenden Liste der WHO mit unentbehrlichen Arzneimitteln stehen, sind als angemessen anzusehen.

Wichtigste Indikatoren

  • Alle Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung verfügen über klare Standardverfahren für die Überweisung von Patienten mit nichtübertragbaren Krankheiten an Einrichtungen der sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung.
  • Alle Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung verfügen über die notwendigen Medikamente, um für Patienten mit nichtübertragbaren Krankheiten die vor Eintreten der Notsituation laufende Behandlung (einschließlich Palliativversorgung) fortzusetzen.

Welche Empfehlungen gibt die WHO für die Triage und Reihenuntersuchungen von Migranten unmittelbar nach ihrer Ankunft?

Die WHO rät von obligatorischen Reihenuntersuchungen von Flüchtlings- und Migrantengruppen auf Krankheiten ab, da sie keinen eindeutig nachweisbaren Nutzen erbringen (und auch nicht kostenwirksam) und darüber hinaus bei einzelnen Flüchtlingen und in der Bevölkerung allgemein Angst auslösen können. 

Die WHO empfiehlt jedoch nachdrücklich, allgemeinärztliche Untersuchungen anzubieten und vorzunehmen, um allen Flüchtlingen und Migranten, die Gesundheitsschutz benötigen, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Die allgemeinärztlichen Untersuchungen sollten sich auf übertragbare wie nichtübertragbare Krankheiten erstrecken und unter Achtung der Menschenrechte und der Würde der Migranten erfolgen.

Die Ergebnisse von Reihenuntersuchungen dürfen in keinem Fall als Grund oder Rechtfertigung für die Abschiebung eines Flüchtlings oder Migranten aus einem Land dienen:

  • Obligatorische Reihenuntersuchungen halten Migranten davon ab, eine allgemeinärztliche Untersuchung zu beantragen, und gefährden die Ermittlung von Hochrisikopatienten.
  • Entgegen der weit verbreiteten Auffassung gibt es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Migration und der Einschleppung von Infektionskrankheiten. Flüchtlinge und Migranten werden vor allem durch Infektionskrankheiten belastet, die in Europa unabhängig von Migration allgemein verbreitet sind. In Europa ist das Risiko der Einschleppung exotischer Krankheitserreger, etwa des Ebolavirus, extrem gering, und aus Erfahrung wissen wir, dass die wenigen Fälle eher durch normale Reisende, Touristen und Gesundheitsfachkräfte als durch Flüchtlinge und Migranten verursacht werden.

Es wird empfohlen, die Triage an Grenzübergangsstellen durchzuführen, um Gesundheitsprobleme bei Flüchtlingen und Migranten gleich nach ihrer Ankunft festzustellen. Im Anschluss muss eine geeignete Diagnose und Behandlung vorgenommen werden, und bestimmte Bevölkerungsgruppen (Kinder, Schwangere, ältere Menschen) müssen Zugang zur erforderlichen Gesundheitsversorgung erhalten. 

Jeder, der sich auf der Flucht befindet, muss ohne Ansehen von Geschlecht, Alter, Religion, Nationalität oder Rasse vollständigen Zugang zu einem gastfreundlichen Umfeld und bei Bedarf zu hochwertiger Gesundheitsversorgung erhalten. So kann auch am ehesten gesichert werden, dass die ansässige Bevölkerung nicht unnötig eingeschleppten Krankheitserregern ausgesetzt wird. Die WHO unterstützt Konzepte, welche Migranten und Flüchtlingen unabhängig von ihrem rechtlichen Status im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsversorgung entsprechende Dienste anbieten.

Empfiehlt die WHO das Stillen im Kontext massiver Migrationsströme?

Die lebensrettende Rolle des Stillens in Notsituationen, insbesondere bei weiträumigen Wanderungsbewegungen, wird durch Evidenz und Leitlinien ausdrücklich belegt. Die Globale Strategie für die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern zeigt auf, wie die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern in Notsituationen verbessert werden kann. In allen Situationen lassen sich Mangelernährung, einige Krankheiten und die Sterblichkeit bei Säuglingen und Kleinkindern am besten dadurch verhindern, dass die Mütter binnen einer Stunde nach der Geburt mit dem Stillen beginnen, ihr Kind während der ersten sechs Lebensmonate ausschließlich stillen (ihm also keine Nahrungsmittel oder anderen Flüssigkeiten als Muttermilch, auch kein Wasser, geben) und das Stillen bis zum Ende des zweiten Lebensjahrs oder darüber hinaus mit geeigneter Beikost fortsetzen. Selbst in Notsituationen sollte nach Möglichkeit ein günstiges Umfeld für das häufige Stillen von Kindern bis mindestens zum Ende des zweiten Lebensjahrs aufrechterhalten werden. Leider herrscht weithin die Fehleinschätzung vor, dass Stress oder eine unzureichende Ernährung als übliche Begleiterscheinungen großer Migrationsbewegungen die Fähigkeit der Mutter zum erfolgreichen Stillen mindern können. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen können unverlangt abgegebene oder unkontrollierte Spenden von Muttermilchersatzprodukten das Stillen unterminieren und sollten abgelehnt werden. Stattdessen sollte das Stillen aktiv geschützt und gefördert werden. Im Rahmen der in diesem Kontext angebotenen Gesundheitsbetreuung sollten Krankenhäuser und andere Bereiche des Gesundheitswesens über geschultes Personal verfügen, das die Mütter beim erfolgreichen Stillen und der Überwindung von Schwierigkeiten unterstützen kann.

Was empfiehlt die WHO in Bezug auf Impfungen für neu angekommene Migranten?

Die Übertragung von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten auf die Bevölkerung von Aufnahmeländern ist genauso wahrscheinlich nach der Rückkehr eines Bewohners des jeweiligen Landes aus einem Urlaub in einem endemischen Land wie nach der Ankunft eines Migranten aus dem Land. Es gibt immer noch große Lücken bei der Durchimpfung der Bevölkerung in der Europäischen Region, entweder weil sich manche Bürger gegen die Vorzüge einer Impfung entscheiden oder wegen eines begrenzten Zugangs zu Impfangeboten.

Das WHO-Regionalbüro für Europa nimmt keine routinemäßigen Erhebungen zur Übertragung impfpräventabler Krankheiten bei Migranten oder zu ihrer Durchimpfungsrate vor. Es gibt jedoch hinreichende Belege dafür, dass Ausbrüche von Masern auf die Übertragung durch Migranten, nicht sesshafte Bevölkerungsgruppen, Auslandsreisende und Touristen gleichermaßen zurückzuführen sind. Chancengleichheit beim Zugang zu Impfmaßnahmen ist von entscheidender Bedeutung und eines der Ziele des Europäischen Impfaktionsplans (2015–2020). Dem Plan zufolge sollen alle Länder in der Europäischen Region besonderen Wert darauf legen, dass Migranten, Auslandsreisende und marginalisierte Gemeinschaften Berechtigung und Zugang zu (kulturell) geeigneten Impfangeboten und -informationen erhalten. Unser Beifall gebührt den vielen Ländern, die Migranten in ihre Routineimpfprogramme aufnehmen, so auch denjenigen, die einen großen Zustrom an Migranten bewältigen. Die Durchimpfungsrate aller Länder kann hier eingesehen werden: http://www.who.int/immunization/monitoring_surveillance/routine/coverage/en/.

Was empfiehlt die WHO in Bezug auf den Zugang von Flüchtlingen und Migranten zur Gesundheitsversorgung?

Eine der wichtigsten Determinanten für den Zugang von Migranten zu Gesundheitsleistungen in einem bestimmten Land ist ihr rechtlicher Status. Ausnahmslos alle Flüchtlinge und Migranten müssen ohne Ansehen von Geschlecht, Alter, Religion, Nationalität oder Rasse vollständigen Zugang zu einem gastfreundlichen Umfeld und bei Bedarf zu hochwertiger Gesundheitsversorgung haben. Die WHO unterstützt Konzepte, die eine Gesundheitsversorgung für Migranten unabhängig von ihrem rechtlichen Status vorsehen. Mit einem raschen Zugang zur Gesundheitsversorgung kann eine Heilung ermöglicht und somit die Ausbreitung von Krankheiten verhindert werden; daher ist es im Interesse der Migranten wie des Aufnahmelandes, sicherzustellen, dass die ansässige Bevölkerung nicht unnötig eingeschleppten Krankheitserregern ausgesetzt wird. Ebenso kann durch die Diagnose und Behandlung von nichtübertragbaren Krankheiten wie Bluthochdruck vermieden werden, dass sich der Zustand verschlechtert und lebensbedrohlich wird.

Sind die Länder in der Europäischen Region ausreichend für die mit großen Migrationsströmen verbundenen gesundheitspolitischen Herausforderungen gerüstet?

Die Gesundheitssysteme in den Ländern, die Migranten aufnehmen, sind gut ausgestattet für die Diagnose und Behandlung der häufigsten Infektions- und nichtübertragbaren Krankheiten und verfügen über entsprechende Erfahrungen; sie sollten auch bereit sein, diese Versorgung Migranten zu gewähren. Nach den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) sollten in allen Ländern wirksame Systeme für die Überwachung und Meldung von Krankheiten, die Fähigkeit zur Untersuchung von Ausbrüchen sowie Kapazitäten für Fallmanagement und Gegenmaßnahmen vorhanden sein. Sollte ein seltener exotischer Krankheitserreger eingeschleppt werden, so hat sich in den vergangenen zehn Jahren an eingeschleppten Fällen von Lassa-Fieber, Ebola-Fieber, Marburg-Fieber und MERS-CoV gezeigt, dass Europa gut darauf eingestellt ist, denn es verfügt über ausreichende Laborkapazitäten, Behandlungseinrichtungen mit Isolierstationen, geschulte Fachkräfte und ein System für die Rückverfolgung von Kontakten. Wir sollten wachsam bleiben, aber nicht überreagieren. 

Um die Ankunft großer Gruppen von Menschen aus dem Ausland rasch und effizient bewältigen zu können, ist eine wirksame zwischen- und innerstaatliche sowie bereichsübergreifende Koordinierung und Zusammenarbeit erforderlich. Eine gute Reaktion auf die Herausforderungen, vor die Migrantengruppen gestellt sind, setzt eine gute Bereitschaftsplanung voraus: Sie bildet die Grundlage für den Aufbau angemessener mittel- und langfristiger Kapazitäten und erfordert solide epidemiologische Daten und Erkenntnisse zur Migration, sorgfältige Planung, Ausbildung und vor allem die Einhaltung der Grundsätze der Menschenrechte. Mit der Festlegung von Notfallszenarien für eine angemessene Bewältigung des potenziell großen Zustroms von Migranten in ein Land wird die Koordinierung zwischen den zahlreichen beteiligten Akteuren verbessert, die Widerstandsfähigkeit gesteigert und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorgebeugt. 

Anfällige Gruppen, etwa kleine Kinder, müssen Zugang zur Akutversorgung für häufige und schwere Erkrankungen erhalten, da sich der Zustand von Kindern ohne eine geeignete Versorgung rasch verschlechtern kann. Bei Bedarf sollten Gesundheitsfachkräfte lernen, wie sich übertragbare Krankheiten, denen sie nicht oft begegnen, erkennen und behandeln lassen. Zudem sollten sie sich besser darauf einstellen, mit Ausländern zu kommunizieren, die andere Sprachen sprechen und einen anderen kulturellen Hintergrund aufweisen (durch Dolmetschdienste oder andere Mittel). Hochwertige Versorgung für Migrantengruppen kann nicht alleine von den Gesundheitssystemen geleistet werden. Die sozialen Determinanten der Gesundheit wie Bildung, Beschäftigung, soziale Sicherheit und Unterbringung haben sämtlich erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Migranten.

Wie bewältigt die WHO die Auswirkungen des großen Zustroms von Flüchtlingen und Migranten in die Europäische Region auf die öffentliche Gesundheit?

Im Einklang mit der Resolution WHA61.17 über die Gesundheit von Migranten, die 2008 von der 61. Weltgesundheitsversammlung gebilligt wurde, arbeitet die WHO darauf hin, migrantensensible Gesundheitskonzepte zu entwickeln, die Gesundheitssysteme im Hinblick auf den chancengleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu stärken, Informationen über bewährte Verfahren auszutauschen, die Kultur- und Geschlechtersensibilität zu steigern und verstärkt gezielte Schulungen für Leistungserbringer und Fachkräfte im Gesundheitsbereich anzubieten sowie die multilaterale Zusammenarbeit zwischen den Ländern zu fördern.

Gesundheitliche Aspekte der Bevölkerungsmigration sind seit vielen Jahren ein Thema für die Europäische Region der WHO. Im gesundheitspolitischen Rahmenkonzept der WHO für die Europäische Region, „Gesundheit 2020", wird mit besonderem Nachdruck auf den Themenkomplex Migration und Gesundheit hingewiesen, der auch die Anfälligkeit der Bevölkerung und die Menschenrechte berührt. Im Zuge der politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise in Nordafrika und im Nahen Osten rief das WHO-Regionalbüro für Europa im April 2012 in Zusammenarbeit mit dem italienischen Gesundheitsministerium das Projekt über gesundheitsschutzbezogene Aspekte der Migration in der Europäischen Region ins Leben. Ziel ist es, die Kapazitäten der Gesundheitssysteme für die Deckung der gesundheitlichen Bedürfnisse gemischter Migrationsströme und der aufnehmenden Bevölkerungen auszubauen, unmittelbare grundlegende Gesundheitsinterventionen zu fördern, eine migrantensensible Gesundheitspolitik zu gewährleisten, die Qualität der Leistungserbringung zu steigern und für eine optimale Nutzung der Strukturen und Ressourcen des Gesundheitssystems in den Aufnahmeländern zu sorgen. Bis August 2015 hat das Regionalbüro in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsministerien Bulgariens, Griechenlands, Italiens, Maltas, Portugals, Serbiens, Spaniens und Zyperns Bewertungsmissionen mit dem neuen „Instrumentarium für die Bewertung der Fähigkeit der Gesundheitssysteme zur Bewältigung eines plötzlichen Anschwellens des Zustroms an Migranten" durchgeführt, um auf komplexe, ressourcenintensive, bereichsübergreifende und politisch sensible Problemstellungen im Bereich Gesundheit und Migration zu reagieren und geeignete Maßnahmen zu treffen.