Interview mit Arzt, der in vorderster Linie auf Lampedusa ankommende Migranten versorgt

Dr Pietro Bartolo, Head of health services on Lampedusa.

Dr. Bartolo leitet die Gesundheitsdienste auf Lampedusa, einer kleinen Insel mit weniger als 6000 Bewohnern, die als südliches Einfallstor Europas für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sowie aus Afrika südlich der Sahara weltweit Bekanntheit erlangt hat. Dr. Bartolo koordiniert den Einsatz der Gesundheitsdienste auf der Insel seit 1990 und ist einer von zwei Ärzten, welche die Menschen am Kai in Empfang nehmen: „Die Arbeit mit Migranten gehört eigentlich nicht zu meiner Stellenbeschreibung. Ich habe dafür nie einen Cent erhalten, habe aber auch nicht darum gebeten und würde sowieso nichts annehmen. Doch als Arzt bin ich nun einmal verantwortlich für die Gesundheit auf dieser Insel."

Im Dezember 2013 erzählt er im Gespräch mit dem Regionalbüro von seinem Traum, dass es keine Todesopfer im Mittelmeer mehr geben solle. Leider hat sich dieser Traum nicht erfüllt, sondern es ertranken viele Hundert Menschen mehr beim Versuch über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. 

Ein nie versiegender Migrantenstrom überflutet die Gesundheitssysteme

Häufigkeit und Umfang der Migrationswellen über das Mittelmeer haben in den vergangenen Jahren noch zugenommen, weil die Menschen einfach vor Krieg, Armut und Unterdrückung in eine bessere und glücklichere Zukunft fliehen wollen.

„Vor zehn Tagen kamen in einer Nacht 1200 Flüchtlinge," sagt Dr. Bartolo. Gemeinsam mit seinem Kollegen nahm er am Kai eine Eingangsuntersuchung vor. „Die meisten hatten nach ihrer Rettung Stunden auf den Booten der Küstenwache zugebracht, waren bis auf die Haut durchnässt und litten an Unterkühlung. Als Mensch wie als Arzt möchte ich gerne schnell erkennen, wer ernsthaft erkrankt ist und wer nicht."

Während die Gesunden ins Aufnahmezentrum kommen, werden Behandlungsbedürftige in Krankenhäuser der Insel überführt. Dr. Bartolo: „In dieser Woche hatten wir große Schwierigkeiten, weil mehr als 20 Menschen mit schweren Verbrennungen ankamen. Unsere Einrichtung war so überwältigt von dem Ansturm, dass wir die sizilianischen Gesundheitsbehörden um Unterstützung baten, die dann die Patienten im Helikopter zum Krankenhaus nach Catania (Sizilien) flogen."

Gesundheitspolitische Herausforderung annehmen

Am Kai trifft Dr. Bartolo am häufigsten auf Unterkühlung und Verbrennungen durch Benzin als Gesundheitsprobleme: „Später führt der Arzt im Zentrum eine genauere Untersuchung durch, wobei mehr auf andere Gesundheitsprobleme und chronische Erkrankungen geachtet wird."

Psychische Probleme sind ebenfalls verbreitet, insbesondere bei jungen Flüchtlingen, die Opfer von Tortur und Gewalt geworden sind. Dr. Bartolo fügt hinzu: „Die jungen Menschen können mit allem fertig werden, wenn sie es nur in das „Land der Freiheit" schaffen. Wenn sie dann aber feststellen, dass ihre Reise noch nicht zu Ende ist, treten psychische Probleme auf."

WHO unterstützt die Länder in ihren Maßnahmen

Das Regionalbüro unterstützt die Länder beim Ausbau der Kapazitäten ihrer Gesundheitssysteme, damit sie die gesundheitspolitischen Folgen der Migrantenströme bewältigen können. 2012 rief es als Reaktion auf den wachsenden Bedarf der Länder nach Lösungsvorschlägen mit Unterstützung des italienischen Gesundheitsministeriums das Projekt über gesundheitsschutzbezogene Aspekte der Migration in der Europäischen Region (PHAME) ins Leben. Die WHO führte gemeinsam mit den Gesundheitsministerien Bewertungsmissionen nach Bulgarien, Griechenland, Italien, Malta, Portugal, Spanien und Zypern durch und untersuchte vor Ort die Gesundheitsbedürfnisse der Migranten sowie die Fähigkeit der Länder, diesen gerecht zu werden.

„Malta ist ein stark von Migration betroffenes Land. In dieser Woche hat sich die Welt angesichts der Tragödie im Mittelmeer empört und kollektive Maßnahmen gefordert. Malta hat die Bewertung unserer Vorbereitungen für den massiven Zustrom von Flüchtlingen durch das WHO-Team begrüßt, durch den die Notwendigkeit von Unterstützung betont wurde. Ich danke der WHO für ihre Hilfe sowie allen Bediensteten der verschiedenen Einrichtungen, die sich so sehr für die Bedürfnisse der Migranten einsetzen," sagte der Parlamentarische Staatssekretär für Gesundheit beim maltesischen Ministerium für Energie und Gesundheit.

In Italien führte die gemeinsame Bewertung zur Schaffung einer Planungsgruppe für die gesundheitspolitische Notversorgung von Migranten in der Region Sizilien. Das Parlament der Region billigte den von ihr angefertigten Plan am 23. September 2014. Außerdem setzt das Regionalbüro auf fachliche Unterstützung für Italien und andere Länder, über welche die Migranten nach Europa gelangen, um vermeidbare gesundheitspolitische Probleme zu bewältigen.

Anonyme Helden

„Glauben Sie mir, wir richten hier Wunder aus." Auf die Frage nach den Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal, nennt Dr. Bartolo seinen Arztkollegen und das Küstenwachepersonal als seine größten Stützen: „Ich bin glücklich über die Zusammenarbeit mit solchen Menschen und sie wissen, dass ich nie aufgeben werde. Manchmal kann ich eine ganze Woche nicht nach Hause gehen, aber meine Kollegen und ihre unbegrenzte Verfügbarkeit und ihre Professionalität geben mir die Kraft dazu."