Neue Studie der WHO verdeutlicht, wie Irland durch Bereitstellung eines allgemeinen Zugangs zur Gesundheitsversorgung gesundheitsbedingte finanzielle Härten und ungedeckten Bedarf verringern kann

WHO

2017 verabschiedete die irische Regierung einen unter dem Namen Sláintecare bekannt gewordenen Zehn-Jahres-Plan zur Reformierung des Gesundheitswesens, mit dem ein allgemeiner Zugang zur Gesundheitsversorgung in Irland verwirklicht werden soll. Eine neue Studie der WHO verdeutlicht, wie wichtig die Umsetzung der Reformen im Rahmen von Sláintecare für Irland ist, um einen chancengleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu finanzieller Absicherung herzustellen, und dass dabei auf den bereits zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie ergriffenen Maßnahmen aufgebaut werden kann.

In Irland wird der Anspruch auf eine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung durch Einkommen, Alter und Gesundheitsstatus begründet. Dieser ungewöhnlich komplexe Ansatz hat zu deutlichen Lücken in der Versorgung und zu Ungleichheiten beim Zugang zu unentbehrlichen Gesundheitsleistungen geführt. So ist Irland das einzige Land in Westeuropa, in dem es keinen allgemeinen Zugang zur primären Gesundheitsversorgung gibt. Es hat auch einen großen Markt für private Krankenversicherungen, von denen in erster Linie wohlhabendere Bürger profitieren.

Eine Analyse der Daten von Umfragen aus den Jahren 2009–2010 und 2015–2016 durch die WHO kam zu dem Ergebnis, dass Irland im europäischen Vergleich zwar einen niedrigen Anteil an ruinösen Gesundheitsausgaben und speziell außerordentlich niedrige Zahlungen aus eigener Tasche aufweist, dass hier aber seit einiger Zeit ein steigender Trend zu beobachten ist. Der niedrige Anteil ruinöser Gesundheitsausgaben in Irland ist auf das Fehlen hoher Nutzergebühren für das einkommensschwächste Drittel der Bevölkerung sowie eine Reihe von Schutzmechanismen für Personen, die solche Gebühren bezahlen müssen, zurückzuführen. Er spiegelt aber wohl teilweise auch den ungedeckten Bedarf an Gesundheitsleistungen aufgrund finanzieller Zugangsbarrieren sowie die außerordentlich langen Wartezeiten für die stationäre fachärztliche Versorgung wider.

Die Autorin des Berichts der WHO, Dr. Bridget Johnston vom Zentrum für Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement am Trinity College Dublin, erklärte: „Diese Forschungsarbeiten sind die ersten ihrer Art in Irland. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst niedrige Nutzergebühren eine Zugangsbarriere darstellen und für manche Haushalte zu finanziellen Härten führen können. Obwohl das Gesundheitssystem viele Bürger wirksam schützt, gibt es doch auch erhebliche Versorgungslücken für die Ärmsten.“

Finanzielle Absicherung durch Austeritätspolitik gefährdet

Die Versorgungslücken wuchsen nach der Finanzkrise von 2008 aufgrund der Einschnitte in die staatlichen Gesundheitsausgaben und das Gesundheitspersonal, der Einführung von Nutzergebühren für ambulant verschriebene Medikamente für das einkommensschwächste Drittel der Bevölkerung im Jahr 2010 sowie höherer Nutzergebühren und niedrigerer Leistungen in der Zahnversicherung für alle Haushalte (2009–2014). Diese Kürzungen und die Nutzergebühren sind mit einer Zunahme der ruinösen Gesundheitsausgaben und des ungedeckten Bedarfs an Gesundheitsleistungen und zahnärztlicher Versorgung verbunden, insbesondere für die einkommensschwächeren Haushalte.

Private Krankenversicherungsbeiträge sind eine finanzielle Belastung

Etwa die Hälfte der Bevölkerung hat eine private Krankenversicherung, was auf die langen Wartezeiten für gesetzlich Versicherte sowie auf erhebliche steuerliche Anreize zurückzuführen ist. Obwohl sie eine Verringerung bestimmter Zahlungen aus eigener Tasche bewirkt – insbesondere für elektive fachärztliche Versorgung –, stellt sie für viele Menschen eine erhebliche finanzielle Belastung dar, die im Durchschnitt etwa 3% des Haushaltseinkommens ausmacht und zu den 2% hinzukommt, die Haushalte bereits für Zahlungen aus eigener Tasche aufwenden. Wie andere Untersuchungen gezeigt haben, untergraben private Krankenversicherungen auch Chancengleichheit und Effizienz im Gesundheitssystem, indem sie es einem großen Teil der Bevölkerung ermöglichen, aufgrund ihrer Zahlungsfähigkeit anstatt von Notwendigkeit Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten.

Anknüpfen an der Reaktion auf COVID-19

In ihren Bemühungen zur Bekämpfung des COVID-19-Ausbruchs hat die Regierung Maßnahmen zur Behebung lange bestehender Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung ergriffen, etwa die Bereitstellung eines allgemeinen und kostenlosen Zugangs zu Tests, Diagnose und Behandlung bei COVID-19 sowie von kostenlosen Fernkonsultationen für alle COVID-bedingten Symptome für die gesamte Bevölkerung. Darüber hinaus könnte eine Anwerbung privater Krankenhäuser zur Behandlung von COVID-19 durch die öffentliche Hand in Zukunft zum Modell für die Erweiterung der Kapazitäten und die Verkürzung der Wartezeiten werden.

Die neue irische Regierung kann nun auf diesen Erfolgen aufbauen, indem sie einen allgemeinen Anspruch auf Gesundheitsversorgung einführt, der eine staatlich finanzierte zahnärztliche und allgemeinärztliche Versorgung umfasst. Zu den nach und nach durchgeführten Maßnahmen zur Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung gehören: die Befreiung einkommensschwacher Haushalte von Rezeptgebühren; die Einführung einer einkommensabhängigen jährlichen Obergrenze für Rezeptgebühren; die Einführung garantierten Maximal-Wartezeiten bei staatlichen Krankenhäusern, um die Notwendigkeit von Zahlungen aus eigener Tasche für fachärztliche Leistungen oder eine private Krankenversicherung zu verringern; und die Einführung von Maßnahmen zur Begrenzung der negativen Überlaufeffekte eines großen Marktes für private Zusatzversicherungen. Viele dieser Maßnahmen sind mit den Grundsätzen des Sláintecare-Berichts vereinbar, u. a. dem Grundsatz, dass die Versorgung am Ort der Inanspruchnahme kostenlos sein und ausschließlich nach Maßgabe der klinischen Notwendigkeit erfolgen soll.