Norwegen: Pilotstudie enthüllt erschreckendes Ausmaß der Werbung für ungesunde Lebensmittel und Getränke bei Kindern und Jugendlichen

WHO/Malin Bring

8 out of 10 food and drink adverts in Norway promote unhealthy nutrition.

Nach einer neuen Studie der Metropolitanischen Universität Oslo (OsloMet) fördern acht von zehn Lebensmittel- und Getränkewerbungen für Kinder in Norwegen ungesunde Ernährung und verstoßen damit gegen Leitlinien der WHO. Bei der Untersuchung kam der sog. CLICK-Kontrollrahmen zum Einsatz – ein Tool zur Überwachung und Beschränkung von Werbung für ungesunde Produkte bei Kindern, das vom Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten entwickelt wurde.

Bei ihrer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Landschaft der digitalen Vermarktung von Lebensmitteln und Getränken an Kinder von 3 bis 17 Jahren in Norwegen haben Forscher festgestellt, dass die Mehrheit der beworbenen Produkte Lebensmittel oder Getränke mit hohem Fett-, Salz- oder Zuckergehalt waren. Zwar sollten nach den Leitlinien der WHO die meisten von ihnen nicht an eine junge Zielgruppe vermarktet werden, doch waren nach den derzeit in Norwegen geltenden Leitlinien nur 9% von ihnen unzulässig.

„Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Online-Werbung für gesundheitsschädliche Produkte ist ungeheuer wichtig“, unterstreicht Prof. Knut-Inge Klepp, Exekutivdirektor für psychische und körperliche Gesundheit am Norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit. „Dieser Bericht verdeutlicht, dass viele Kinder und Jugendliche durch die derzeit in Norwegen geltenden Leitlinien nicht ausreichend geschützt werden, und die Ergebnisse der Studie können dazu herangezogen werden, die nationalen Vorschriften entsprechend anzupassen.“

Digitale Vermarktung begünstigt ungesunde Essgewohnheiten bei Kindern

Viele Länder in der Europäischen Region der WHO haben weiter mit hohen Adipositasraten bei Kindern zu kämpfen. Es gibt erdrückende Hinweise darauf, dass die Vermarktung von Lebensmitteln mit hohem Gehalt an gesättigten Fetten, Transfetten, freien Zuckern oder Salz Wissen, Einstellungen und Präferenzen von Kindern in Bezug auf Lebensmittel beeinflusst. Der Konsum dieser Produkte bringt ein erhöhtes Risiko in Bezug auf Übergewicht und Adipositas mit sich. Adipositas im Kindesalter ist ein Risikofaktor für nichtübertragbare Krankheiten, von denen viele verhinderbar wären, wenn die wichtigsten Risikofaktoren und Verhaltensweisen während der Kindheit ins Visier genommen würden.

Adipositas im Kindesalter ist eine wachsende Herausforderung für Norwegen, wo ca. 24% der Jungen und 22% der Mädchen im Grundschulalter an Übergewicht oder Adipositas leiden; unter Jugendlichen sind es landesweit rund 25%. Hinzu kommt, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im vergangenen Jahrzehnt nicht abgenommen hat, und die Gesundheitsbehörden interessieren sich dafür, welche Rolle dabei die Werbung für ungesunde Produkte spielt.

„Die Behörden sollten die Vorschriften und die Altersgrenzen überprüfen“, sagt Kamilla Knutsen Steinnes vom Institut für Verbraucherforschung an der OsloMet. „Die norwegischen Leitlinien sollten stärker an denen der WHO ausgerichtet werden. Nach den bisherigen Leitlinien werden nur Kinder unter 13 Jahren geschützt; dabei sind doch gerade Jugendliche über 13 Jahre am häufigsten Werbung ausgesetzt. Alle Kinder müssen vor Online-Werbung geschützt werden.“

Pilotstudie mit beeindruckenden Ergebnissen

Bei der in Norwegen durchgeführten Studie wurde der von WHO/Europa entwickelte CLICK-Kontrollrahmen verwendet, der fünf jeweils an nationale Gegebenheiten anpassbare Schritte umfasst. Norwegen ist das erste unter den beteiligten Ländern, das mit Erfolg den dritten Schritt des Rahmens (Untersuchung der Exposition) abgeschlossen hat, indem es direkt von den Geräten der Kinder Daten über bezahlte Werbeanzeigen sammelte.

„Da sich die digitale Landschaft ständig verändert, ist es schwierig, sich ein zuverlässiges Bild zu verschaffen, ohne direkt auf die Geräte der Kinder zuzugreifen“, erklärt Vilde Haugrønning von der OsloMet. „Wir bedienen uns der besten Methode, die uns derzeit zur Verfügung steht.“

Aus den Ergebnissen dieser Pilotstudie über Werbungsdaten von den Mobiltelefonen von 47 teilnehmenden Kindern geht hervor, dass ein Zehntel der insgesamt 5076 erfassten Anzeigen Werbung für (überwiegend ungesunde) Lebensmittel oder Getränke enthielt und dass die Kinder sich die Anzeigen im Durchschnitt 13 Sekunden lang ansahen.

Auch wenn diese Studie nur die Wirkung bezahlter Werbung betrachtet, so beinhaltet der CLICK-Kontrollrahmen doch auch zusätzliche Protokolle zur Überwachung indirekter Werbung, etwa durch Prominente oder Influencer in den sozialen Medien. Indirekte Vermarktung ungesunder Produkte an Kinder durch Influencer mit einer enormen Reichweite ist oft nur schwer als Werbung zu erkennen – ein sehr problematisches Phänomen. Dies könnte bedeuten, dass Kinder in noch höherem Maße als in dem Bericht beschrieben Werbung für ungesunde Produkte ausgesetzt sind.

„Die Daten aus dieser neuen norwegischen Studie mit dem von WHO/Europa entwickelten CLICK-Kontrollrahmen gehören zu den bisher aussagekräftigsten über das Ausmaß des Problems“, erklärt Dr. Kremlin Wickramasinghe, geschäftsführender Leiter des Programms für Ernährung, Bewegung und Adipositas beim WHO-Regionalbüro für Europa. „Dies erinnert uns daran, dass wir prüfen müssen, wie geeignet die gegenwärtigen Konzepte zum Schutz der Kinder in der Europäischen Region der WHO vor Werbung eigentlich sind.“

In dem Bericht wird angeregt, die norwegischen Leitlinien mehr an denen der WHO auszurichten, indem die Vorschriften zum Schutz der Kinder vor unzulässiger Online-Werbung für ungesunde Produkte neugestaltet und verbessert werden. Anfang März wird der Bericht auf einer Tagung des norwegischen Ministeriums für Kinder und Familien Vertretern der Regierung präsentiert.