Zuschnitt von Gesundheitsinterventionen: verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse zur Förderung der Gesundheit

Wie kann uns ein besseres Verständnis des Konzepts der Männlichkeit dabei behilflich sein, bessere Handlungskonzepte zur Förderung der psychischen Gesundheit zu entwickeln? Inwiefern kann ein kulturzentrierter Ansatz für die Gesundheitskompetenz das Wissen iranischer und afghanischer Minderheiten in Schweden über sexuelle und reproduktive Gesundheit verbessern? Und warum werden in Rumänien nicht genügend Menschen geimpft?

Verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse werden im globalen Gesundheitsbereich noch immer zu wenig genutzt. Durch die Heranziehung anderer Bereiche außerhalb der Medizin, etwa der Sozial- und der gesundheitsbezogenen Humanwissenschaften (z. B. Anthropologie, Geschichte, Soziologie und Psychologie), lassen sich wirksamere Gesundheitsinterventionen entwickeln.

„Um die Länder auf praktische und umsetzbare Weise entsprechend ihrer jeweiligen Bedürfnisse unterstützen zu können, ist es von grundlegender Bedeutung, den Reichtum und die Vielfalt an sozialen, kulturellen, politischen und geschichtlichen Dimensionen anzuerkennen und zu verstehen, die sich auf die Gesundheit in der Europäischen Region der WHO auswirken können“, erklärt WHO-Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Henri P. Kluge. „Das Referat für die Verwertung von Erkenntnissen wird Gesundheitsbehörden dabei behilflich sein, ihr Leistungsangebot besser an den Erwartungen der Bürger auszurichten – und so eine respektvolle, patientenorientierte Versorgung zu gewährleisten“, fügt er abschließend hinzu.

Ein neues Referat beim WHO-Regionalbüro für Europa

Das WHO-Regionalbüro für Europa hat erkannt, dass es bei Gesundheitskonzepten nicht immer die eine Patentlösung gibt, die gleichzeitig auch den wirksamsten Lösungsansatz darstellt, und daher verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse zu einem Flaggschiffbereich für die kommenden Jahre in der Europäischen Region erklärt. Aus diesem Grund wurde ein neues Referat für die Verwertung von Erkenntnissen eingerichtet, um die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und über Ressortgrenzen, wissenschaftliche Fachrichtungen und Fachbereiche hinweg zu verbessern. Bei seiner Arbeit lässt sich das Referat von vier zentralen Grundsätzen leiten:

  • Evidenz – Evidenz heranziehen, prüfen und evaluieren und bewährte Praktiken verbreiten;
  • Kontext – sozial differenzierte, kultursensible, am Menschen orientierte gesundheitliche Erkenntnisse generieren;
  • Reichweite – die Ausweitung von Interventionen mit nachgewiesener Wirkung unterstützen; und
  • Partnerschaften – mit Experten, Umgestaltern, Kollegen und Kritikern zusammenarbeiten.

Das Referat soll Barrieren und Triebkräfte für gesunde Praktiken identifizieren. Es gibt ausreichend Gelegenheit, nationale Gesundheitsprogramme und Gesundheitsbehörden zur Nutzung dieser Erkenntnisse zu ermutigen, um durch die Gewährleistung ihrer Relevanz für die Bevölkerung wirksamere Gesundheitsinterventionen zu entwickeln.

Verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse in der Praxis

In allen Teilen der Europäischen Region werden verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse bereits vielfach in der Praxis genutzt.

So hatte etwa Kirgisistan mit Masernausbrüchen unter Binnenmigranten zu kämpfen, die sehr niedrige Impfraten verzeichneten. Auf der Suche nach den Gründen für diese niedrigen Raten ergab sich, dass eine gesetzliche Barriere für Menschen, die von ländlichen in städtische Gebiete umziehen, diese davon abhielt, Routine-Impfungen zu erhalten – ein Problem, dass sich leicht beheben ließ, um die Durchimpfung zu verbessern und Masernausbrüche zu verhindern.

In Rumänien zeigt sich anhand der hohen Inzidenz- und Sterblichkeitsraten bei Gebärmutterhalskrebs, inwiefern kulturelle Kontexte sich auf das Gesundheitsverhalten auswirken. Die historische und ethnografische Forschung hat sich mit dem dauerhaften Vermächtnis pronatalistischer Konzepte beschäftigt, die unter dem Regime Ceaușescus (1966–1989) eingeführt wurden, sowie damit, wie Verbindungen zu diesen Konzepten zu einer erheblichen Stigmatisierung von Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs und der Impfung gegen das humane Papillomavirus (HPV) geführt haben. Es bedarf Anstrengungen zur Förderung der Gesundheit durch patientenorientierte Ansätze, die dieses historisch bedingte Stigma anerkennen, wenn die Inzidenzraten von Gebärmutterhalskrebs in Rumänien erfolgreich gesenkt werden sollen.

Ein weiteres Beispiel ist die laufende Arbeit des WHO-Regionalbüros für Europa zur Unterstützung der Mitgliedstaaten in allen Teilen der Region bei der Durchführung von Studien zur Generierung verhaltensbezogener Erkenntnisse vor dem Hintergrund von COVID-19. Das Wissen über die Ängste und Sorgen der Bevölkerung, das herrschende Maß an Vertrauen und die vorherrschende Risikowahrnehmung, sowie ihre Meinung zu Beschränkungen, Tests, der Ermittlung von Kontaktpersonen und einem künftigen Impfstoff gegen COVID-19 hilft den Regierungen bei der Gestaltung ihrer Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie.

Wenn Sie daran interessiert sind, die Antworten auf die eingangs aufgeführten Fragen zu erfahren, können Sie sich den Podcast zum Thema „Gesundheit in Europa“ anhören, in dessen Rahmen Katrine Bach Habersaat, Nils Fietje und Anastasia Koylyu Beispiele erläutern, bei denen die Nutzung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse dazu beitragen konnte, die Auswirkungen sozialer Erwartungen auf die psychische Gesundheit zu ermitteln, die Gesundheitskompetenz zu verbessern und die Gründe für niedrige Impfraten zu verstehen.

Flaggschiff-Initiativen

Die Arbeit des Referats für die Verwertung von Erkenntnissen trägt zu einem der vier Flaggschiff-Initiativen im Europäischen Arbeitsprogramm des WHO-Regionalbüros für Europa bei, in dem die gesundheitlichen Prioritäten für die kommenden fünf Jahre dargelegt werden. Diese Initiativen – das Bündnis für psychische Gesundheit, die Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln mit Hilfe digitaler Gesundheitsangebote, die Europäische Impfagenda 2030 und die Initiative „Gesundheitsförderliches Verhalten: Berücksichtigung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse“ – sollen als Beschleuniger von Veränderungen dienen. Sie entfalten mobilisierende Wirkung in Bezug auf wesentliche Themen, die ganz oben auf der Tagesordnung der Mitgliedstaaten stehen und bei denen ein deutlich sichtbares und intensives Engagement der Politik grundlegende Veränderungen bewirken kann.