Frauen und Krebs: Reihenuntersuchungen und Therapien retten Menschenleben
Jede fünfte Frau in der Europäischen Region der WHO erkrankt vor Vollendung des 75. Lebensjahrs an Krebs. Gemessen an ihrem jeweiligen Anteil an der Gesamtinzidenz sind die acht häufigsten Krebsarten bei Frauen in der Europäischen Region:
- Brustkrebs (28,0%)
- Darmkrebs (13,2%)
- Lungenkrebs (6,7%)
- Gebärmutterkörperkrebs (5,8%)
- Eierstockkrebs (4,3%)
- Magenkrebs (4,1%)
- Gebärmutterhalskrebs (3,8%)
- Bauchspeicheldrüsenkrebs (3,0%).
In Bezug auf die Krebsmortalität ergibt sich allerdings ein etwas anderes Bild. Gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtzahl der krebsbedingten Todesfälle spielen folgende Krebsarten die wichtigste Rolle:
- Brustkrebs (17,0%)
- Darmkrebs (13,1%)
- Lungenkrebs (11,2%)
- Magenkrebs (6,6%)
- Bauchspeicheldrüsenkrebs (6,0%).
Die WHO unterstützt die Länder bei der Umsetzung der vier grundlegenden Komponenten der Krebsbekämpfung (Prävention; Früherkennung; Diagnose und Therapie; Palliativversorgung), um möglichst viele Krebserkrankungen verhindern bzw. heilen oder Leiden lindern zu können.
Über die Ursachen ist bereits genug bekannt, um mindestens ein Drittel aller Krebsfälle verhindern zu können. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören die Durchführung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums, das Halten eines gesunden Körpergewichts und die Durchführung von bevölkerungsbezogenen Reihenuntersuchungen (z. B. für Gebärmutterhalskrebs).
Einige der bei Frauen verbreitetsten Krebsarten – u. a. Brust-, Darm- und Gebärmutterhalskrebs – können bei rechtzeitiger Erkennung durch das Gesundheitssystem geheilt werden. Die Früherkennung dieser drei Krebsarten ist eine der vorrangigen Interventionen im Rahmen des Aktionsplans zur Umsetzung der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (2012–2016), der im September 2011 von den 53 Ländern der Europäischen Region der WHO angenommen wurde.
Zur Früherkennung sind bevölkerungsbezogene Screening-Programme und eine erhöhte Sensibilisierung für die frühen Anzeichen und Symptome von Krebs erforderlich. Eine zügige Weiterverfolgung durch Überweisung und Behandlung ist entscheidend.
„Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass die Gesundheit von Frauen sich auf die Gesundheit von Müttern vor und während der Schwangerschaft beschränkt. Gebärmutterhalskrebs lässt sich verhindern; andere Krebsarten sind behandelbar, wenn sie rechtzeitig entdeckt werden“, erklärt Dr. Gunta Lazdane, Leiterin des Programms „Sexuelle und reproduktive Gesundheit“ beim WHO-Regionalbüro für Europa.
Gebärmutterhalskrebs: Impfung und Screening
Die WHO ruft die Länder dazu auf, systematische bevölkerungsbezogene Reihenuntersuchungen auf Gebärmutterhalskrebs durchzuführen, durch die sich 80% aller Fälle verhindern ließen. (Durch solche Untersuchungen können präkanzeröse Veränderungen des Gebärmutterhalses erkannt werden.)
Darüber hinaus gibt es inzwischen einen Impfstoff, der Frauen wirksam gegen das humane Papillomavirus (HPV), die primäre Ursache für Gebärmutterhalskrebs, schützt. Viele Länder in der Europäischen Region haben HPV-Impfungen in ihre staatlichen Impfprogramme aufgenommen bzw. sind dabei, dies zu tun.
Im Oktober diskutierten über 100 Experten und politische Entscheidungsträger aus 42 Ländern sowie von sieben Partnerorganisationen auf einer Tagung in Istanbul über die Prävention von Gebärmutterhalskrebs in der Europäischen Region der WHO. Die Experten waren sich darüber einig, dass Impfungen und Reihenuntersuchungen gleichermaßen wichtig seien und dass eine Maßnahme die andere nicht ausschließe, sondern dass die Gesundheitssysteme vielmehr beide anbieten sollten.
Dennoch bleiben Herausforderungen bestehen, wie:
- die Gewährleistung, dass Frauen die Bedeutung der Reihenuntersuchungen verstehen, und Sicherung eines gleichberechtigten Zugangs zu den Untersuchungen; und
- die Deckung der Kosten des Impfstoffs und die Überwindung damit verbundener kultureller Sensibilitäten.
Für eine breite Akzeptanz des Impfstoffs sind klare Informationen in Bezug auf dessen Nutzen von entscheidender Bedeutung; deshalb haben manche Länder bereits erfolgreiche Kampagnen durchgeführt, in denen Reihenuntersuchungen von Müttern auf Gebärmutterhalskrebs mit Impfungen für Töchter sowie einer effektiven Öffentlichkeitsarbeit verbunden werden.
Die Einführung des HPV-Impfstoffs als Teil des Impfprogramms in den Niederlanden im Jahr 2009 war heftig umstritten, namentlich unter Wissenschaftlern, die teilweise den Einsatz des Impfstoffs für verfrüht hielten. Das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport änderte daraufhin seine Informationsstrategie in Bezug auf den Impfstoff, um Gerüchten entgegenzutreten und Widerstände zu überwinden.
„Aus der ersten Phase der Einführung des HPV-Impfstoffs haben wir gelernt, dass wir einen Dialog mit den Zielgruppen anstoßen und uns mit Ungewissheiten und Emotionen auseinandersetzen müssen“, erklärt Dr. Marina Conyn vom Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) in den Niederlanden. „Wir müssen betonen, dass dies anders ist als bei der Polioimpfung, wo wir eine hohe Durchimpfung benötigen, um die Immunität der Gruppe sicherzustellen und Ausbrüche zu verhindern. Hier dagegen geht es um den Schutz der einzelnen Person, und die Betroffenen müssen jetzt eine Entscheidung treffen, um ein in Zukunft liegendes Ereignis abzuwenden. Wir versuchen den Frauen klar zu machen, dass sie auch an dem Untersuchungsprogramm teilnehmen können, wenn sie nicht geimpft sind. Dabei unterstreichen wir aber nachdrücklich, dass zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs Impfungen und Reihenuntersuchungen gleichermaßen wichtig sind.“
Brustkrebs: Früherkennung und Behandlung
Wie bereits erwähnt, ist Brustkrebs die häufigste Form von Krebs bei Frauen in der Europäischen Region, doch sein Anteil an der Krebsmortalität ist geringer, was auf Verbesserungen in den Untersuchungsverfahren und Behandlungsmethoden zurückzuführen ist.
Von den 1950er bis in die späten 1980er Jahre stieg die Mortalität aufgrund von Brustkrebs – von Ausnahmen wie Norwegen und Schweden abgesehen – in sämtlichen Ländern der Europäischen Region kontinuierlich an. Dieser Trend kehrte sich in den 1990er Jahren um, und bis 2004 hatten sich die Raten in den meisten Ländern verringert oder zumindest stabilisiert.
Am 15. Oktober 2011 hielt die WHO in der Türkei eine Fachtagung ab, die sich mit Fortschritten bei der Früherkennung und Behandlung von Brustkrebs und mit Problemen in Verbindung mit der Durchführung von Reihenuntersuchungen und einer rechtzeitigen Behandlung befasste. Die Experten unterstrichen die erhöhte Inzidenz von Brustkrebs in den Entwicklungsländern, auf die inzwischen 60% aller Todesfälle entfallen. Prognosen deuten darauf hin, dass die Brustkrebsraten in der Türkei und in den Entwicklungsländern noch weiter steigen werden.
Eine Erkennung der frühen Anzeichen und Symptome ist für die Diagnose und eine frühzeitige Behandlung unverzichtbar. Zur Früherkennung wird ein breites Spektrum von Methoden (Brust-Selbstuntersuchung, klinische Untersuchung und Mammografie) angewandt. Wenn der Krebs entdeckt ist, muss das Gesundheitssystem über ausreichende Kapazitäten für eine angemessene Behandlung verfügen.
Dennoch ist Angst nach wie vor eine große Hürde, die einem regelmäßigen Screening im Wege steht. Prof. Riccardo Masetti, Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Brusterkrankungen an der Universität Rom, schildert exemplarisch die Situation in seinem Land, wo über 55% der Frauen nicht zu den Reihenuntersuchungen kämen, obwohl sie über deren Wichtigkeit aufgeklärt würden. „Es ist schwer, die Angst zu beseitigen; aber es ist leichter, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, indem man nämlich mit den jungen Menschen arbeitet und sie informiert und ihnen so die Notwendigkeit vermittelt, auf die eigene Gesundheit zu achten“, erklärt er.
Als weiteres Hindernis wurde ein mangelnder Zugang zu Untersuchungen und zu Gesundheitsfachkräften allgemein genannt. So kommen in der Türkei auf eine Gesamtbevölkerung von 72 Mio. Menschen weniger als 200 Onkologen. Das nationale Krebsprogramm zielt jetzt darauf ab, in dem Land bis 2020 insgesamt 54 multidisziplinäre Krebszentren zu bauen.
Zusammen mit dem türkischen Gesundheitsministerium hat die WHO den am 16. Oktober 2011 in Istanbul durchgeführten 33. Eurasien-Marathon dazu genutzt, für Brustkrebs-Screening und -Therapie zu sensibilisieren. Die Bürger wurden aufgefordert, im Rahmen des Marathons an einem Lauf bzw. Marsch unter dem Motto „Walking for the cure“ teilzunehmen; Tausende folgten diesem Aufruf.
Frauen und Krebs in der Europäischen Region: Grafiken