Erstes Instrumentarium der WHO zur Stärkung der gesundheitlichen Maßnahmen der Länder der Europäischen Region angesichts der Migration
Weitere Auskünfte erteilen:
Dr Santino Severoni
Koordinator, Öffentliche Gesundheit und Migration
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Tel.: +45 45 33 68 43
Mobiltel.: +45 51 97 92 48
E-Mail: severonis@who.int
Ms Sara Barragán Montes
Fachreferentin, Öffentliche Gesundheit und Migration
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Tel.: +45 45 33 70 39
Mobiltel.: +45 30 71 70 07
E-Mail: barraganmontess@who.int
Im Laufe des Jahres 2015 sind über eine Million Flüchtlinge und Migranten auf dem Seeweg nach Europa gekommen. 2016 war bisher das verhängnisvollste Jahr für Flüchtlinge: Bisher wurden über 4700 Menschen tot geborgen oder gelten als auf See vermisst. Plötzliche größere Ströme von Flüchtlingen und Migranten können in Durchgangs- wie Zielländern ganze Gesundheitssysteme aus dem Gleichgewicht bringen, sofern diese nicht hinreichend auf diesen Ansturm vorbereitet sind. Zwar ähneln die gesundheitlichen Probleme von Flüchtlingen und Migranten generell denen der übrigen Bevölkerung, doch leiden viele von ihnen zusätzlich an körperlichen und seelischen Erkrankungen aufgrund ihrer Konflikt- und Gewalterfahrungen vor der Flucht sowie unter den Folgen des Reise und den Lebensbedingungen nach ihrer Ankunft.
Deshalb hat das WHO-Regionalbüro für Europa ein neuartiges Instrumentarium entwickelt, um den Ländern bei der Analyse und ggf. Verbesserung ihrer Kapazitäten im Gesundheitswesen und bei den Erstmaßnahmen zur Bewältigung größerer Migrationsströme behilflich zu sein.
„Als Flüchtlinge und Migranten in großer Zahl über das Mittelmeer nach Europa kamen, erkannten wir die Notwendigkeit eines gesundheitspolitischen Instruments für die Bewältigung dieser Situation“, erklärte Dr. Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa. „Nun haben wir den ersten Schritt-für-Schritt-Ratgeber für die Bewältigung der gesundheitlichen Aspekte der Migration veröffentlicht, der inzwischen in elf Ländern erprobt wird. Wir ermutigen die Länder, die in dem Migrationsprozess in vorderster Linie stehen, dieses Instrument zu nutzen, um die Gesundheit der Neuankömmlinge wie auch der ortsansässigen Bevölkerung zu schützen und dabei den Grundsätzen der Chancengleichheit, Solidarität, Menschenrechte und Menschenwürde gerecht zu werden.“
Reaktion auf die gesundheitlichen Bedürfnisse der Migranten und der ortsansässigen Bevölkerung
Das neu geschaffene Instrumentarium, das mit Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Amts des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) entstand, ist ein konkretes Instrument, das Flüchtlingen, Migranten und der Bevölkerung der Aufnahmeländer dieselben Zugangschancen zur Gesundheitsversorgung geben soll, wie in dem Europäischen Rahmenkonzept „Gesundheit 2020“ und in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vorgesehen.
„Migration, ob freiwillig oder gezwungenermaßen, ist zu einem zentralen Thema auf der weltpolitischen Tagesordnung geworden. Sie sollte nicht als ein zu lösendes Problem, sondern vielmehr als eine Realität und als Chance begriffen werden, die es wahrzunehmen gilt“, erklärte Botschafter William L. Swing, der Generaldirektor der IOM. „Angesichts der überragenden Beiträge von Migranten zur Gesellschaft der Aufnahmeländer sollten sie die Chance erhalten, von einer sicheren, geordneten und menschenwürdigen Migration zu profitieren. Dieses wichtige Instrument wird den Mitgliedstaaten bei der Förderung der Gesundheit von Migranten behilflich sein und einen chancengleichen Zugang zu den benötigten Gesundheitsleistungen als integralem Bestandteil der Menschenrechte und einer soliden Gesundheitsschutzpolitik anstreben.“
„Dieses Instrumentarium ist eine Erweiterung der Strategie und des Aktionsplans der Europäischen Region, die eine umfassende, konkrete und praktische Antwort darstellt, und baut auf den Erfahrungen und zahlreichen Lehren aus dem vergangenen Jahr auf“, fügte Steven Corliss, der Direktor der Abteilung Programmunterstützung und -management beim UNHCR, hinzu. „Die Bereitstellung einer ausreichenden Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten ist ein wesentlicher Baustein einer nachhaltigen, lösungsorientierten Antwort, die allen zugute kommt. Sie demonstriert auch die Entschlossenheit der Länder, „niemanden zurückzulassen“, wie dies in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gefordert wird.“
Gesundheitsprobleme infolge der Migration
Zu den häufigsten Gesundheitsproblemen neu angekommener Flüchtlinge und Migranten gehören:
- Unterkühlung, Dehydrierung, Traumata und Verbrennungen, die während der Reise auf dem See- oder Landweg erlitten wurden;
- schwangerschafts- und entbindungsbedingte Komplikationen bei Frauen sowie ein höheres Risiko neonataler Todesfälle;
- gesundheitliche Folgen von Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel;
- Atemwegsinfektionen und Magen-Darm-Erkrankungen, insbesondere bei Kindern, aufgrund ungünstiger Lebensbedingungen, unzureichender Hygiene sowie der Entbehrungen während der Reise, die auch zu Hautinfektionen führen;
- psychische Gesundheit und psychosoziale Probleme oder Verschlimmerung chronischer Erkrankungen nach der Ankunft, insbesondere infolge einer Unterbrechung der Versorgung.
Das neue Instrumentarium der WHO stützt sich auf evidenzbasierte Methoden und Erfahrungen und will den Ländern dabei helfen, diese Erkrankungen zu bekämpfen. Darüber hinaus bietet es Orientierungshilfe bei der Einschätzung der ökonomischen Kosten der Gegenmaßnahmen sowie der potenziellen sozialen Spannungen und bei der Bewältigung der gesundheitlichen Risiken für die Fachkräfte, die an der Rettung, Gesundheitsversorgung und Eingewöhnung beteiligt sind.
Reaktion der Gesundheitssysteme auf die Migration
Für eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen durch die Migration ist eine wirksame Bereitschaftsplanung mit entsprechenden Kapazitäten in den Gesundheitssystemen erforderlich. Durch das Instrumentarium unterstützt die WHO die Länder bei der Stärkung von sechs miteinander verknüpften Funktionen der Gesundheitssysteme nach Maßgabe der Strategie und des Aktionsplans für die Gesundheit von Flüchtlingen und Migranten in der Europäischen Region:
- eine starke Führungskompetenz und gute Politiksteuerung durch strategische Rahmenkonzepte und Rechtsvorschriften;
- ein Gesundheitspersonal, das für die Versorgung von Menschen unterschiedlicher Kultur und Sprache und aus unterschiedlichen epidemiologischen Hintergründen geschult ist, die oftmals traumatische Erfahrungen hinter sich haben;
- eine umsichtige und faire Anwendung von medizinischen Produkten, Impfstoffen und Technologien;
- belastbare Gesundheitsinformationssysteme, die den gesundheitlichen Anforderungen während eines großen Zustroms von Migranten gewachsen sind;
- nachhaltige Mechanismen für die Gesundheitsfinanzierung, die eine Versorgung aller gewährleisten, dabei jedoch unnötige gesundheitsbezogene Kosten vermeiden; und
- die Bereitstellung sicherer und wirksamer Gesundheitsinterventionen durch entsprechende Normen und Protokolle.