WHO und ECDC fordern Verbesserungen bei HIV-Tests in Europa

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Stephanie Brickman
WHO-Regionalbüro für Europa
UN City, Marmorvej 51
2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Tel.: +45 45 33 68 44
E-Mail: brickmans@who.int

Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC)
Tel.: +46 858 60 16 78
E-Mail: press@ecdc.europa.eu

Pressmitteilung

Kopenhagen/Stockholm, 26. November 2020

In der gesamten Europäischen Region der WHO steigt die Zahl der Menschen, die mit HIV leben und nichts von ihrer Infektion wissen. Den heute vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und vom WHO-Regionalbüro für Europa veröffentlichten Daten zufolge wurde HIV im Jahr 2019 bei mehr als 136 000 Menschen neu diagnostiziert. Etwa 20% dieser Diagnosen entfielen dabei auf die Europäische Union (EU) und den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), 80% auf den östlichen Teil der Europäischen Region der WHO.

Jede zweite HIV-Diagnose (53%) erfolgt erst in einem späten Stadium der Infektion, wenn das Immunsystem bereits schwächelt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Teststrategien in der Europäischen Region nicht ausreichend sind, um HIV frühzeitig zu diagnostizieren.

Die Zahl der mit Aids – also dem Endstadium einer unbehandelten HIV-Infektion – diagnostizierten Menschen ist in den letzten zehn Jahren um mehr als die Hälfte gesunken, und die Zielvorgabe der Ziele für nachhaltige Entwicklung bezüglich der Beendigung der Aids-Epidemie bis 2030 wäre erreichbar. In der EU und im EWR wurden 74% der 2772 Aids-Diagnosen im Jahr 2019 jedoch schon sehr rasch nach der ursprünglichen HIV-Diagnose erstellt, innerhalb von drei Monaten. Dies zeigt, dass späte Diagnosen von HIV-Infektionen ein erhebliches Problem darstellen. Späte Diagnosen tragen zur anhaltenden Übertragung von HIV bei, da die Menschen oft jahrelang nicht wissen, dass sie sich mit HIV infiziert haben, und keine entsprechende Behandlung erhalten.

Auch wenn sich dieser Trend insgesamt in der Region in den letzten Jahren stabilisiert hat, ist die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen seit 2010 dennoch um 19% gestiegen. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der neuen Diagnosen in den Ländern der EU und des EWR im gleichen Zeitraum um 9% gesunken.

Die Zahl der neu gemeldeten HIV-Diagnosen und die geschätzte Zahl der neuen HIV-Infektionen in der gesamten Region zeigen, dass sich im Laufe der letzten zehn Jahre mehr Menschen mit dem Virus infiziert haben, als entsprechende Diagnosen gestellt wurden. Dies deutet darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die mit HIV leben und nichts von ihrer Infektion wissen, in der Europäischen Region steigt. In der EU und im EWR ist ein gegenläufiger Trend zu beobachten: dort ist die Zahl der Menschen, die mit HIV leben und nichts von ihrer Infektion wissen, zurückgegangen.

Dr. Hans Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, erklärt: „Ich erinnere mich noch daran, als eine HIV Diagnose einem Todesurteil gleich kam. Heutzutage können mit HIV infizierte Menschen bei richtiger Behandlung ohne die Angst vor Aids leben. Diese Daten stammen aus dem Jahr 2019, und im Jahr 2020 müssen wir uns nun fragen, inwiefern sich die Pandemie bis Ende 2021 auf die Durchführung von HIV-Tests ausgewirkt haben wird. Vorläufig muss unsere Botschaft lauten, die Fortschritte der letzten zehn Jahre zu schützen, indem HIV-Tests und der Behandlung von Menschen, die darauf angewiesen sind, weiterhin hohe Priorität eingeräumt werden. Wir können nicht zulassen, dass die Pandemie uns einer Aids-freien Zukunft beraubt, die bereits zum Greifen nahe ist.“

Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC, betont: „Auch wenn der Schwerpunkt derzeit in erster Linie auf COVID-19 liegt, dürfen wir andere Gesundheitsthemen, wie HIV, nicht aus den Augen verlieren. Eine frühzeitigere Diagnose von HIV ist dringend erforderlich. Wir können die Zielvorgabe der Ziele für nachhaltige Entwicklung nicht verwirklichen, wenn es durchschnittlich drei Jahre dauert, bevor Menschen nach einer Infektion mit dem Virus erfahren, dass sie HIV-positiv sind – drei Jahre, in denen ihnen eine lebensrettende Behandlung nicht zur Verfügung steht und in denen sie HIV unwissentlich weiter übertragen. Wenn wir den hohen Anteil der späten Diagnosen verringern wollen, ist es entscheidend, unsere HIV-Teststrategien zu diversifizieren, wie es auch in den Leitlinien für HIV-Tests des ECDC dargelegt wird.“

Frühzeitige Diagnose: höhere Lebenserwartung und geringere Übertragung

Aus den Surveillance-Daten über HIV/Aids für 2019 [add link] geht hervor, dass der Anteil der spät Diagnostizierten mit zunehmendem Alter ansteigt. Insgesamt wurden in der Europäischen Region 67% (EU/EWR: 65%) der über 50-Jährigen erst spät im Verlauf ihrer HIV-Infektion diagnostiziert. 2019 entfiel jede fünfte neue HIV-Diagnose auf einen Menschen über 50 Jahre.

Die Gründe hierfür sind noch nicht endgültig geklärt. Es mag sein, dass ältere Erwachsene selbst oder die sie betreuenden Gesundheitsfachkräfte das Risiko einer Infektion unterschätzen. Ältere Erwachsene sind möglicherweise stärker von dem Stigma der Erkrankung betroffen und fühlen sich mit der Frage nach einem Test unwohler.

Das WHO-Regionalbüro und das ECDC betonen, dass Europa sich zur Verringerung der Zahl neuer HIV Infektionen auf drei zentrale Handlungsfelder konzentrieren muss:

  1. Vorrang für eine Reihe von Präventionsmaßnahmen wie Sensibilisierung, Förderung von geschütztem Geschlechtsverkehr und Kondomgebrauch, die Einführung von Nadeltauschprogrammen und Opioidsubstitutionstherapie, sowie Präexpositionsprophylaxe für HIV (auch bekannt als „PrEP“);
  2. Bereitstellung einer effizienten HIV-Beratung und effizienter HIV-Tests, einschließlich Schnelldiagnosen, gemeindenahen HIV-Tests und HIV-Selbsttests; und
  3. Gewährleistung eines schnellen Zugangs zu hochwertiger Behandlung und Versorgung für die diagnostizierten Fälle.

Eine frühzeitige Diagnose ist so wichtig, weil sie den Betroffenen einen früheren Therapiebeginn ermöglicht, was wiederum ihre Chancen auf ein langes und gesundes Leben erhöht und eine weitere Übertragung verhindert.

Empfehlungen zur Verbesserung der Teststrategien für HIV in Europa

In ihren Leitlinien empfehlen sowohl das Regionalbüro als auch das ECDC, dass die Angebote für HIV-Tests auch HIV-Selbsttests und von Laien durchgeführte gemeindenahe Schnelltests umfassen sollten.